"Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" - читать интересную книгу автора (Роулинг Джоан)

Die Widmung dieses Buches ist siebengeteilt: für Neil, für Jessica, für David, für Kenzie, für Di, für Anne und für euch, wenn ihr zu Harry gehalten habt, bis ganz zum Schluss.

Erbteil des fluches,

hässlicher sünde

blutige wunde,

schmerzen, wer trüge sie?

quälen, wer stillte sie?

wehe weh!

Einzig der erbe

heilet des hauses

eiternde wunde,

einzig mit blut'gem schnitt.

götter der finsternis

rief mein lied.

Sel'ge geister drunten in der tiefe,

wenn ihr die beschwörungsrufe hörtet,

bringt den kindern hilfe, bringt den sieg.

Aischylos, Das Opfer am Grabe


Sterben ist nur ein Uebergang aus dieser Welt in die andere, als wenn Freunde über See gehen, welche dennoch in einander fortleben. Denn Diejenigen, die im Allgegenwärtigen lieben und leben, müssen nothwendig einander gegenwärtig seyn. In diesem göttlichen Spiegel sehen sie sich von Angesicht zu Angesicht, und ihr Umgang ist so wohl frey als rein. Und wenn sie auch durch den Tod getrennt werden, so haben sie doch den Trost, daß ihre Freundschaft und Gesellschaft ihnen, dem besten Gefühle nach, beständig gegenwärtig bleibt, weil diese unsterblich ist.

William Penn, Früchte der Einsamkeit. Zweyte Abtheilung


King's Cross

Er lag mit dem Gesicht nach unten da und lauschte in die Stille. Er war vollkommen allein. Niemand beobachtete ihn. Niemand sonst war da. Er war nicht einmal ganz sicher, dass er selbst da war.

Eine lange Zeit später, vielleicht aber auch im selben Augenblick, kam ihm, dass er existieren musste, mehr sein musste als körperloses Denken, denn er lag eindeutig auf irgendeiner Oberfläche. Folglich spürte er eine Berührung, und das Etwas, auf dem er lag, existierte ebenfalls.

Kaum war er zu diesem Schluss gelangt, wurde Harry bewusst, dass er nackt war. Da er überzeugt war, vollkommen allein zu sein, kümmerte es ihn nicht, aber es erschien ihm doch ein wenig rätselhaft. Er fragte sich, ob er, wenn er fühlen konnte, vielleicht auch sehen konnte. Indem er die Augen öffnete, fand er heraus, dass er welche hatte.

Er lag in einem hellen Nebel, doch der war ganz anders als alle Nebel, die er je erlebt hatte. Seine Umgebung wurde nicht durch trüben Dunst verborgen; vielmehr hatte sich aus dem trüben Dunst noch gar keine Umgebung gebildet. Der Boden, auf dem er lag, schien weiß zu sein, weder warm noch kalt, sondern einfach da, ein flaches, leeres Etwas, auf dem man sein konnte.

Er setzte sich auf. Sein Körper war offensichtlich unversehrt. Er berührte sein Gesicht. Er trug keine Brille mehr.

Dann drang durch das unförmige Nichts, das ihn umgab, ein Geräusch zu ihm: das leise dumpfe Patschen von etwas, das flatterte, um sich schlug, sich abquälte. Es war ein Mitleid erregendes Geräusch, doch auch ein wenig anstößig. Er hatte das unbehagliche Gefühl, dass er etwas Heimliches, Schmachvolles belauschte.

Zum ersten Mal wünschte er sich, bekleidet zu sein.

Kaum hatte sich der Wunsch in seinem Kopf gebildet, da tauchte nicht weit entfernt ein Umhang auf. Er nahm ihn und zog ihn sich über: Er war weich, sauber und warm. Es war seltsam, dass er aufgetaucht war, einfach so, in dem Moment, als er ihn haben wollte ...

Er stand auf und sah sich um. War er in irgendeinem großen Raum der Wünsche? Je länger er sich umblickte, desto mehr gab es zu sehen. Ein großes gläsernes Kuppeldach glitzerte hoch über ihm im Sonnenlicht.

Vielleicht war es ein Palast. Alles war still und friedlich, nur dieses merkwürdige Patschen und Wimmern kam von irgendwoher ganz nah aus dem Nebel ...

Harry drehte sich langsam auf der Stelle und seine Umgebung schien sich vor seinen Augen selbst zu erfinden. Ein weitläufiger offener Raum, hell und sauber, eine Halle, viel größer als die Große Halle, mit dieser klaren gläsernen Kuppel. Der Raum war völlig leer. Er war der einzige Mensch hier, außer -

Er schreckte zurück. Sein Blick war auf das Etwas gefallen, das die Geräusche verursachte. Es hatte die Gestalt eines kleinen nackten Kindes, das sich am Boden krümmte, sah wund und rau aus, wie gehäutet, und lag schaudernd unter einem Stuhl, wo es zurückgelassen worden war, unerwünscht, weggesteckt, vor Blicken verborgen und nach Atem ringend.

Er hatte Angst davor. So klein und gebrechlich und verletzt es war, er wollte sich ihm nicht nähern. Dennoch ging er langsam darauf zu, jederzeit bereit zurückzuspringen. Bald stand er so nahe vor ihm, dass er es hätte berühren können, doch er brachte es nicht über sich. Er kam sich vor wie ein Feigling. Er sollte es trösten, doch es widerte ihn an.

»Du kannst nicht helfen. «

Er schnellte herum. Albus Dumbledore kam auf ihn zu, munter lächelnd und aufrecht, in einem wallenden, mitternachtsblauen Umhang.

»Harry.« Er breitete die Arme weit aus, und seine Hände waren beide ganz und weiß und unversehrt. »Du wunderbarer Junge. Du mutiger, mutiger Mann. Lass uns ein Stück gehen.«

Völlig verblüfft folgte Harry Dumbledore, der ihn von dem Ort wegführte, wo das geschundene Kind wimmernd lag, hinüber zu zwei Sitzplätzen, die Harry zuvor nicht bemerkt hatte und die ein wenig entfernt unter diesem hohen funkelnden Dach standen. Dumbledore setzte sich auf den einen, und Harry ließ sich auf den anderen fallen und starrte dabei in das Gesicht seines alten Schulleiters. Dumbledores langes silbernes Haar, sein Bart, die stechend blauen Augen hinter der Halbmondbrille, die Hakennase: Alles war, wie er es in Erinnerung hatte. Und dennoch ...

»Aber Sie sind tot«, sagte Harry.

»O ja«, erwiderte Dumbledore nüchtern.

»Dann ... bin ich auch tot?«

»Ah«, sagte Dumbledore und lächelte noch breiter. »Das ist die Frage, nicht wahr? Im Großen und Ganzen, mein lieber Junge, glaube ich das nicht.«

Sie sahen sich an, der alte Mann immer noch strahlend.

»Nicht?«, wiederholte Harry.

»Nein«, sagte Dumbledore.

»Aber ...« Harry hob unwillkürlich die Hand zu seiner Blitznarbe. Sie war anscheinend nicht da. »Aber ich hätte sterben müssen – ich habe mich nicht verteidigt! Ich wollte mich von ihm töten lassen!«

»Und das«, sagte Dumbledore, »wird, denke ich, das alles Entscheidende gewesen sein.«

Dumbledore schien Glück auszustrahlen wie Licht, wie Feuer: Harry hatte den Mann noch nie so vollkommen, so offensichtlich zufrieden erlebt.

»Erklären Sie«, sagte Harry.

»Aber du weißt es schon«, sagte Dumbledore. Er drehte Däumchen.

»Ich habe mich von ihm töten lassen«, sagte Harry. »Oder nicht?«

»Doch«, sagte Dumbledore und nickte. »Fahr fort!«

»Also ist der Teil seiner Seele, der in mir war ...«

Dumbledore nickte noch begeisterter und drängte Harry weiter, mit einem breiten ermutigenden Lächeln im Gesicht.

»... ist er weg?«

»O ja!«, sagte Dumbledore. »Ja, er hat ihn zerstört. Deine Seele ist ganz, und ganz deine eigene, Harry.«

»Aber dann ...«

Harry blickte über seine Schulter, dorthin, wo das kleine verstümmelte Wesen unter dem Stuhl zitterte.

»Was ist das, Professor?«

»Etwas, dem wir beide nicht helfen können«, sagte Dumbledore.

»Aber wenn Voldemort den Todesfluch eingesetzt hat«, begann Harry erneut, »und diesmal niemand für mich gestorben ist – wie kann ich dann am Leben sein?«

»Ich glaube, du weißt es«, sagte Dumbledore. »Denk zurück. Erinnere dich an das, was er getan hat, in seiner Unwissenheit, in seiner Gier und seiner Grausamkeit.«

Harry dachte nach. Er ließ den Blick über seine Umgebung schweifen.

Wenn es tatsächlich ein Palast war, in dem sie saßen, dann war es ein merkwürdiger, mit Stühlen, die in kurzen Reihen aufgestellt waren, und hie und da einem Stück Geländer, und doch waren er und Dumbledore und das verkümmerte Geschöpf unter dem Stuhl die einzigen Lebewesen hier. Dann kam ihm die Antwort leicht und mühelos über die Lippen.

»Er hat Blut von mir genommen«, sagte Harry.

»Genau!«, sagte Dumbledore. »Er hat Blut von dir genommen und seinen lebenden Körper damit neu erschaffen! Dein Blut in seinen Adern, Harry, Lilys Schutz in euch beiden! Er hat dich ans Leben gebunden, solange er lebt!«

»Ich lebe ... solange er lebt? Aber ich dachte ... ich dachte, es war umgekehrt! Ich dachte, wir müssten beide sterben? Oder ist das dasselbe?«

Er war abgelenkt von dem Wimmern und Patschen des gequälten Geschöpfes hinter ihnen und warf erneut einen Blick darauf.

»Sind Sie sicher, dass wir nichts tun können?«

»Es gibt keine Hilfe.«

»Dann erklären Sie ... mehr«, sagte Harry und Dumbledore lächelte.

»Du warst der siebte Horkrux, Harry, der Horkrux, den er nie erzeugen wollte. Er hatte seine Seele so instabil gemacht, dass sie zerbrach, als er diese unsagbar bösen Taten beging, den Mord an deinen Eltern, die versuchte Tötung eines Kindes. Aber was aus jenem Zimmer floh, war sogar noch weniger, als er wusste. Er ließ mehr zurück als seinen Körper.

Er ließ einen Teil von sich selbst zurück, an dich festgeklammert, an das ausersehene Opfer, das überlebt hatte.

Und sein Wissen blieb weiterhin jämmerlich unvollständig, Harry!

Wenn etwas für Voldemort nicht wertvoll ist, macht er sich auch nicht die Mühe, es zu begreifen. Von Hauselfen und Kindermärchen, von Liebe, Treue und Unschuld weiß und versteht Voldemort nichts. Nichts. Dass sie alle eine Macht haben, die seine eigene übertrifft, eine Macht, die weiter reicht als jede Magie, das ist eine Wahrheit, die er nie erfasst hat.

Er nahm Blut von dir in dem Glauben, dass es ihn stärken würde. Er nahm einen winzigen Teil jenes Zaubers in seinen Körper auf, den deine Mutter auf dich legte, als sie für dich starb. Voldemorts Körper hält ihr Opfer lebendig, und solange dieser Zauber überlebt, überlebst auch du, und damit Voldemorts letzte Hoffnung für sich selbst.«

Dumbledore lächelte Harry zu und Harry starrte ihn an.

»Und Sie wussten das? Sie wussten das – die ganze Zeit?«

»Ich habe es vermutet. Aber meine Vermutungen erwiesen sich meistens als richtig«, sagte Dumbledore zufrieden, und sie saßen schweigend da, eine ganze Weile, wie es schien, während das Geschöpf hinter ihnen weiter wimmerte und zitterte.

»Da ist noch etwas«, sagte Harry. »Das ist noch nicht alles. Warum hat mein Zauberstab den Zauberstab zerbrochen, den er sich ausgeliehen hat?«

»Was das betrifft, bin ich mir nicht sicher.«

»Dann vermuten Sie mal«, sagte Harry und Dumbledore lachte.

»Du musst dir klarmachen, Harry, dass du und Lord Voldemort gemeinsam in Bereiche der Magie vorgestoßen seid, die bislang noch unbekannt und unerprobt waren. Aber Folgendes ist, denke ich, passiert, und es ist beispiellos, und kein Zauberstabmacher hätte es Voldemort wohl je vorhersagen oder erklären können.

Ohne es zu beabsichtigen, wie du jetzt weißt, hat Lord Voldemort, als er wieder in eine menschliche Gestalt zurückkehrte, das Band zwischen euch verdoppelt. Ein Teil seiner Seele war nach wie vor an deine geheftet, und während er glaubte, dass er sich stärkte, nahm er auch einen Teil des Opfers deiner Mutter in sich auf. Wenn er doch nur die schreckliche Macht dieses Opfers genau verstanden hätte, dann hätte er es vielleicht nicht gewagt, dein Blut anzurühren ... aber andererseits, wenn er in der Lage gewesen wäre zu verstehen, dann könnte er nicht Lord Voldemort sein und hätte vielleicht nie gemordet.

Nachdem er diese zweifache Verbindung hergestellt hatte, nachdem er eure Schicksale fester miteinander verknüpft hatte, als es je bei zwei Magiern in der Geschichte der Fall war, schickte sich Voldemort an, dich mit einem Zauberstab anzugreifen, der den gleichen Kern wie deiner hatte.

Und nun geschah, wie wir wissen, etwas sehr Merkwürdiges. Die Kerne reagierten auf eine Weise, die Lord Voldemort, der nie wusste, dass dein Zauberstab der Zwilling seines eigenen war, vollkommen überraschte.

Er hatte in jener Nacht mehr Angst als du, Harry. Du hattest die Möglichkeit des Todes akzeptiert, ja sogar bereitwillig angenommen, etwas, zu dem Lord Voldemort nie fähig war. Dein Mut hat den Sieg davongetragen, dein Zauberstab hat seinen überwältigt. Und dabei ist etwas zwischen diesen Zauberstäben passiert, etwas, das die Beziehung zwischen ihren Herren widerspiegelte.

Ich glaube, dass dein Zauberstab in dieser Nacht etwas von der Macht und den Fähigkeiten von Voldemorts Zauberstab in sich aufgesogen hat, das heißt, dass er nun ein wenig von Voldemort selbst enthielt. Deshalb hat dein Zauberstab ihn erkannt, als er dich verfolgte, einen Mann erkannt, der Verwandter und Todfeind zugleich war, und er spie etwas von seiner eigenen Magie gegen ihn aus, einer Magie, die viel mächtiger war als alles, was Lucius' Zauberstab je vollbracht hatte. Dein Zauberstab enthielt nun die Macht deines gewaltigen Mutes und des tödlichen Könnens von Voldemort selbst: Welche Chance sollte der arme Stab von Lucius Malfoy da noch haben?«

»Aber wenn mein Zauberstab so mächtig war, weshalb konnte Hermine ihn dann zerbrechen?«, fragte Harry.

»Mein lieber Junge, seine bemerkenswerte Wirkkraft war nur gegen Voldemort gerichtet, der so unbedacht an die grundlegenden Gesetze der Magie gerührt hatte. Nur gegen ihn war dieser Zauberstab von ungewöhnlicher Macht. Ansonsten war es ein Zauberstab wie jeder andere

... wenn auch ein guter, dessen bin ich gewiss«, schloss Dumbledore freundlich.

Harry saß nachdenklich da, eine ganze Zeit lang oder vielleicht nur Sekunden. Hier war es sehr schwierig, sich in Fragen wie der Zeit sicher zu sein.

»Er hat mich mit Ihrem Zauberstab getötet. «

»Es ist ihm misslungen, dich mit meinem Zauberstab zu töten«, korrigierte Dumbledore Harry. »Ich denke, wir können uns darauf einigen, dass du nicht tot bist – aber natürlich«, fügte er hinzu, als fürchtete er, unhöflich gewesen zu sein, »will ich deine Leiden, die sicher sehr schwer waren, nicht herabsetzen.«

»Aber im Moment fühle ich mich großartig«, sagte Harry und blickte hinab auf seine sauberen, makellosen Hände. »Wo sind wir eigentlich?«

»Nun, das wollte ich dich fragen«, sagte Dumbledore und sah sich um.

»Wo, würdest du meinen, sind wir?«

Bis Dumbledore ihn gefragt hatte, hatte Harry es nicht gewusst. Nun jedoch hatte er unversehens eine Antwort parat.

»Es sieht so aus«, sagte er langsam, »wie der Bahnhof King's Cross. Nur dass es viel sauberer ist, und leer, und dass anscheinend keine Züge da sind.«

»Der Bahnhof King's Cross!«, gluckste Dumbledore unmäßig. »Du meine Güte, wirklich?«

»Nun ja, wo glauben Sie denn, dass wir sind?«, fragte Harry ein wenig trotzig.

»Mein lieber Junge, ich habe keine Ahnung. Das ist, wie man so sagt, dein Bier.«

Harry hatte keine Ahnung, was das bedeuten sollte; Dumbledore machte ihn wütend. Er sah ihn finster an, dann fiel ihm eine viel dringendere Frage ein als die nach ihrem jetzigen Aufenthaltsort.

»Die Heiligtümer des Todes«, sagte er, und er war froh, dass diese Worte das Lächeln von Dumbledores Gesicht wischten.

»Ah, ja«, sagte er. Er blickte sogar ein wenig beunruhigt drein.

»Nun?«

Zum ersten Mal seit Harry Dumbledore kennen gelernt hatte, sah er nicht mehr aus wie ein alter Mann, sondern viel jünger. Er wirkte für einen Moment wie ein kleiner Junge, der bei einem bösen Streich ertappt worden war.

»Kannst du mir verzeihen?«, fragte er. »Kannst du mir verzeihen, dass ich dir nicht vertraut habe? Dass ich es dir nicht gesagt habe? Harry, ich hatte nur die Befürchtung, dass du scheitern würdest, wie ich gescheitert war. Ich hatte nur die große Angst, dass du meine Fehler wiederholen würdest. Ich bitte dich inständig um Verzeihung, Harry. Ich weiß nun seit einiger Zeit, dass du der bessere Mann bist.«

»Wovon reden Sie denn da?«, fragte Harry, bestürzt über Dumbledores Ton, über die plötzlichen Tränen in seinen Augen.

»Von den Heiligtümern, den Heiligtümern«, murmelte Dumbledore.

»Dem Traum eines verzweifelten Mannes.«

»Aber es gibt sie wirklich!«

»Sie sind wirklich, und gefährlich, und eine Verlockung für Narren«, sagte Dumbledore. »Und ich war ein solcher Narr. Aber du weißt es, nicht wahr? Ich habe keine Geheimnisse mehr vor dir. Du weißt es.«

»Was weiß ich?«

Dumbledore wandte sich nun mit dem ganzen Körper zu Harry um und noch immer funkelten Tränen in seinen leuchtend blauen Augen.

»Gebieter des Todes, Harry, Gebieter des Todes! War ich, letzten Endes, besser als Voldemort?«

»Natürlich waren Sie das«, sagte Harry. »Natürlich – wie können Sie das fragen? Sie haben nie getötet, wenn Sie es vermeiden konnten!«

»Gewiss, gewiss«, sagte Dumbledore, und er war wie ein Kind, das beruhigt werden will. »Doch auch ich suchte nach einem Weg, den Tod zu besiegen, Harry.«

»Nicht nach dem gleichen Weg wie er«, sagte Harry. Wie seltsam war es, nach all seinem Zorn auf Dumbledore hier zu sitzen, unter dem hohen Kuppeldach, und ihn vor sich selbst in Schutz zu nehmen. »Heiligtümer, keine Horkruxe. «

»Heiligtümer«, murmelte Dumbledore, »keine Horkruxe. Genau.«

Es entstand eine Pause. Das Geschöpf hinter ihnen wimmerte, aber Harry blickte sich nicht mehr um.

»Grindelwald hat auch nach ihnen gesucht?«, fragte er.

Dumbledore schloss für einen Moment die Augen und nickte.

»Das war es, was uns vor allem zusammenbrachte«, sagte er leise.

»Zwei kluge, arrogante Jungen mit einer gemeinsamen Leidenschaft. Er kam wegen Ignotus Peverells Grab nach Godric's Hollow, wie du sicher schon vermutet hast. Er wollte den Ort erkunden, wo der dritte Bruder gestorben war.«

»Also ist es wahr?«, fragte Harry. »Alles? Die Brüder Peverell -«

»- waren die drei Brüder aus dem Märchen«, sagte Dumbledore nickend. »O ja, ich denke schon. Ob sie dem Tod auf einer einsamen Straße begegnet sind ... ich halte es für wahrscheinlicher, dass die Brüder Peverell einfach begabte, gefährliche Zauberer waren, denen es gelang, diese mächtigen Gegenstände herzustellen. Die Geschichte, wonach es Heiligtümer waren, die dem Tod gehörten, scheint mir eine von jenen Legenden zu sein, wie sie um solche Schöpfungen herum zu entstehen pflegen.

Der Tarnumhang wurde, wie du jetzt weißt, durch die Jahrhunderte weitergegeben, von Vater zu Sohn, von Mutter zu Tochter, bis hin zu Ignotus' letztem lebendem Nachfahren, der, wie Ignotus selbst, in dem Dorf Godric's Hollow geboren wurde.«

Dumbledore lächelte Harry an.

»Bis zu mir?«

»Bis zu dir. Du hast, wie ich weiß, schon erraten, warum der Tarnumhang in der Nacht, als deine Eltern starben, in meinen Händen war.

James hatte ihn mir nur wenige Tage zuvor gezeigt. Das erklärte, warum ihm so viele Missetaten in der Schule nicht nachzuweisen waren! Ich konnte kaum glauben, was ich da sah. Ich bat darum, mir den Tarnumhang ausleihen zu dürfen, um ihn zu untersuchen. Schon seit langem hatte ich meinen Traum aufgegeben, die Heiligtümer zu vereinen, aber ich konnte nicht widerstehen, musste ihn einfach genauer in Augenschein nehmen ...

Es war ein Tarnumhang, wie ich ihn noch nie gesehen hatte, ungeheuer alt, in jeder Hinsicht vollkommen ... und dann starb dein Vater, und ich hatte endlich zwei Heiligtümer, ganz allein für mich!«

Sein Ton war unerträglich bitter.

»Der Tarnumhang hätte ihnen aber nicht geholfen zu überleben«, sagte Harry rasch. »Voldemort wusste, wo meine Mum und mein Dad waren.

Der Tarnumhang hätte sie nicht vor Flüchen geschützt.«

»Gewiss«, seufzte Dumbledore. »Gewiss.«

Harry wartete, aber Dumbledore sprach nicht, und so half er ihm weiter.

»Also hatten Sie die Suche nach den Heiligtümern bereits aufgegeben, als Sie den Tarnumhang zu Gesicht bekamen?«

»O ja«, sagte Dumbledore matt. Es schien, als würde er sich zwingen, Harry in die Augen zu sehen. »Du weißt, was geschah. Du weißt es. Du kannst mich nicht noch mehr verachten, als ich mich selbst verachte.«

»Aber ich verachte Sie nicht -«

»Dann solltest du es«, sagte Dumbledore. Er holte tief Luft. »Du kennst das Geheimnis des Leidens meiner Schwester, weißt, was diese Muggel angerichtet haben, was aus ihr wurde. Du weißt, dass mein armer Vater Rache suchte und den Preis dafür bezahlte, in Askaban starb. Du weißt, dass meine Mutter ihr eigenes Leben opferte, um für Ariana zu sorgen. –

Ich habe es gehasst, Harry.«

Dumbledore stellte es knapp und nüchtern fest. Er blickte jetzt über Harrys Kopf hinweg in die Ferne.

»Ich war begabt, ich war brillant. Ich wollte fliehen. Ich wollte glänzen.

Ich wollte Ruhm. Versteh mich nicht falsch«, sagte er, und ein schmerzlicher Ausdruck trat in sein Gesicht, so dass er wieder alt wirkte.

»Ich habe sie geliebt. Ich habe meine Eltern geliebt, ich habe meinen Bruder und meine Schwester geliebt, aber ich war selbstsüchtig, Harry, selbstsüchtiger, als du, der du ein bemerkenswert selbstloser Mensch bist, es dir vielleicht vorstellen kannst.

Als meine Mutter gestorben war und mir die Verantwortung für eine Versehrte Schwester und einen eigensinnigen Bruder zufiel, kehrte ich deshalb zornig und verbittert in mein Dorf zurück. Gefangen, meine Talente vergeudet, dachte ich! Und dann, natürlich, kam er ...«

Dumbledore sah Harry wieder direkt in die Augen.

»Grindelwald. Du kannst dir nicht vorstellen, Harry, wie seine Ideen mich packten, mich entflammten. Muggel gewaltsam unterwerfen. Der Triumph für uns Zauberer. Grindelwald und ich, die glorreichen jungen Führer der Revolution.

Oh, ich hatte einige Skrupel. Ich beruhigte mein Gewissen mit leeren Worten. Es würde alles nur für das größere Wohl geschehen, und jeder Schaden, der zugefügt werden musste, würde sich hundertfach zugunsten der Zauberer bezahlt machen. Wusste ich, im Grunde meines Herzens, was Geliert Grindelwald war? Ich glaube, ja, aber ich verschloss die Augen.

Wenn die Pläne, die wir schmiedeten, sich verwirklichten, dann würden all meine Träume wahr werden.

Und im Zentrum unseres großen Projektes: die Heiligtümer des Todes!

Wie sie ihn faszinierten, wie sie uns beide faszinierten! Der unbesiegbare Zauberstab, die Waffe, die uns an die Macht bringen würde! Der Stein der Auferstehung – für ihn bedeutete er, obgleich ich vorgab, es nicht zu wissen, eine Armee von Inferi! Für mich bedeutete er, wie ich gestehen muss, die Rückkehr meiner Eltern, wodurch alle Verantwortung von meinen Schultern genommen worden wäre.

Und der Tarnumhang ... irgendwie haben wir nie groß über den Umhang diskutiert, Harry. Wir beide konnten uns auch ohne Tarnumhang recht gut verbergen, dessen wahrer Zauber natürlich darin besteht, dass er nicht nur für den Besitzer, sondern auch für andere Schutz und Schirm sein kann.

Sollten wir ihn je finden, so dachte ich, dann wäre er nützlich, um Ariana zu verstecken, doch wir waren vor allem deshalb an dem Tarnumhang interessiert, weil er die drei komplett machen würde, denn der Legende nach würde derjenige, der alle drei Gegenstände vereinte, zum wahren Gebieter des Todes werden, und das hieß für uns, unbesiegbar.

Unbesiegbare Gebieter des Todes, Grindelwald und Dumbledore! Zwei Monate des Wahns, grausamer Träumereien und der Vernachlässigung der einzigen beiden Menschen, die mir von meiner Familie geblieben waren.

Und dann ... du weißt, was geschah. Die Wirklichkeit kehrte zurück, in Gestalt meines ruppigen, ungebildeten und unendlich bewundernswerten Bruders. Ich wollte die Wahrheiten nicht hören, die er mir entgegenschrie.

Ich wollte nicht hören, dass ich mit einer gebrechlichen und labilen Schwester im Schlepptau nicht aufbrechen konnte, um nach Heiligtümern zu suchen.

Aus dem Streit wurde ein Kampf. Grindelwald verlor die Kontrolle.

Was ich immer in ihm vermutet hatte, auch wenn ich das Gegenteil vortäuschte, es wurde nun schreckliche Realität. Und Ariana ... nach all der Pflege und Umsicht meiner Mutter ... lag tot am Boden.«

Dumbledore keuchte leise, dann begann er richtig zu weinen. Harry streckte die Hand aus und war froh, als er merkte, dass er ihn berühren konnte: Er packte ihn fest am Arm und Dumbledore fasste sich allmählich wieder.

»Nun, Grindelwald floh, wie jeder außer mir es hätte vorhersagen können. Er verschwand, mit seinen Plänen zur Machtübernahme und seinen Vorhaben, Muggel zu foltern, und seinen Träumen von den Heiligtümern des Todes, Träumen, in denen ich ihn bestärkt, bei denen ich ihn unterstützt hatte. Er rannte davon, während ich zurückblieb, um meine Schwester zu beerdigen und zu lernen, mit meiner Schuld zu leben und meiner schrecklichen Trauer, dem Preis für meine Schmach.

Jahre vergingen. Es gab Gerüchte über ihn. Es hieß, er hätte sich einen Zauberstab von ungeheurer Macht verschafft. Mir wurde unterdessen der Posten des Zaubereiministers angeboten, nicht ein Mal, sondern mehrere Male. Natürlich lehnte ich ab. Ich hatte gelernt, dass man mir keine Macht anvertrauen sollte.«

»Aber Sie wären besser gewesen, viel besser als Fudge oder Scrimgeour!«, platzte Harry heraus.

»Wäre ich das?«, fragte Dumbledore bedrückt. »Ich bin mir da nicht so sicher. Ich hatte als ganz junger Mann bewiesen, dass Macht meine Schwäche und meine Versuchung war. Es ist merkwürdig, Harry, aber diejenigen, die nie nach Macht strebten, sind vielleicht am besten geeignet sie auszuüben. Diejenigen, denen die Führung aufgedrängt wird wie dir und die dann das Zepter übernehmen, weil sie es müssen, und zu ihrer eigenen Überraschung feststellen, dass es ihnen gut steht.

In Hogwarts war ich sicherer. Ich glaube, ich war ein guter Lehrer -«

»Sie waren der beste -«

»Das ist sehr nett von dir, Harry. Aber während ich mich mit der Ausbildung junger Zauberer beschäftigte, stellte Grindelwald eine Armee auf. Es heißt, er fürchtete mich, und vielleicht tat er es auch, aber ich denke, weniger, als ich ihn fürchtete.

Oh, nicht den Tod«, sagte Dumbledore auf Harrys fragenden Blick hin.

»Nicht das, was er mir als Magier hätte antun können. Ich wusste, dass wir ebenbürtig waren, dass ich vielleicht eine Spur geschickter war. Es war die Wahrheit, die ich fürchtete. Verstehst du, ich wusste nie, wer von uns in diesem letzten, grauenhaften Kampf tatsächlich den Fluch geschleudert hatte, der meine Schwester tötete. Du magst mich feige nennen: Du hättest Recht. Harry, ich fürchtete vor allem zu erfahren, dass ich es gewesen war, der ihren Tod herbeigeführt hatte, nicht nur durch meinen Hochmut und meine Dummheit, sondern dass ich ihr tatsächlich den Schlag versetzt hatte, der ihr Leben auslöschte.

Ich glaube, er wusste es, ich glaube, er wusste, wovor ich Angst hatte.

Ich schob die Begegnung mit ihm hinaus, bis es schließlich eine zu große Schmach gewesen wäre, mich noch länger zu sträuben. Menschen starben, und es hatte den Anschein, als wäre er nicht aufzuhalten, und ich musste tun, was in meiner Kraft stand.

Nun, du weißt, was dann passierte. Ich gewann das Duell. Ich gewann den Zauberstab.«

Erneut trat Stille ein. Harry fragte nicht, ob Dumbledore jemals herausfand, wer Ariana tödlich getroffen hatte. Er wollte es nicht wissen, und noch weniger wollte er, dass Dumbledore es ihm sagen musste.

Endlich wusste er, was Dumbledore gesehen hätte, wenn er in den Spiegel Nerhegeb geblickt hätte, und warum Dumbledore so gut verstanden hatte, dass der Spiegel Harry derart faszinierte.

Sie saßen eine lange Zeit schweigend da und das Wimmern der Kreatur hinter ihnen störte Harry kaum noch.

Endlich sagte er: » Grindelwald hat versucht Voldemort bei seiner Jagd nach dem Zauberstab aufzuhalten. Er hat gelogen, wissen Sie, er hat so getan, als hätte er ihn nie besessen.«

Dumbledore nickte und sah hinunter auf seinen Schoß, auf seiner Hakennase glitzerten immer noch Tränen.

»Es heißt, er habe in späteren Jahren Reue gezeigt, allein in seiner Zelle in Nurmengard. Ich hoffe, das ist wahr. Mir würde der Gedanke gefallen, dass er das Grauen und das Schandhafte dessen, was er getan hatte, tatsächlich gespürt hat. Vielleicht war jene Lüge Voldemort gegenüber sein Versuch einer Wiedergutmachung ... sein Versuch, zu verhindern, dass Voldemort in den Besitz des Heiligtums kam ...«

»... oder vielleicht zu verhindern, dass er in Ihr Grab eindrang?«, überlegte Harry und Dumbledore tupfte sich die Augen.

Nach einer weiteren kurzen Pause sagte Harry: »Sie haben versucht, den Stein der Auferstehung zu benutzen.«

Dumbledore nickte.

»Als ich es nach all den Jahren entdeckte, im verlassenen Haus der Gaunts vergraben, jenes Heiligtum, das ich am meisten begehrt hatte –obwohl ich es in meiner Jugend aus ganz anderen Gründen haben wollte –, da verlor ich den Kopf, Harry. Ich vergaß völlig, dass es nun ein Horkrux war, dass auf diesem Ring mit Sicherheit ein Fluch lag. Ich hob ihn auf, und ich steckte ihn an, und eine Sekunde lang stellte ich mir vor, dass ich nun gleich Ariana sehen würde, und meine Mutter, und meinen Vater, und ihnen sagen würde, wie sehr, wie sehr es mir leidtat ...

Was für ein Narr ich war, Harry. Nach all den Jahren hatte ich nichts gelernt. Ich war unwürdig, die Heiligtümer des Todes zu vereinen, ich hatte es immer wieder bewiesen, und dies war der endgültige Beweis.«

»Warum?«, sagte Harry. »Es war nur zu verständlich! Sie wollten sie wiedersehen. Was ist falsch daran?«

»Vielleicht einer unter einer Million könnte die Heiligtümer vereinen, Harry. Ich eignete mich nur dafür, das geringste davon zu besitzen, das am wenigsten außergewöhnliche. Ich eignete mich dafür, den Elderstab zu besitzen und nicht damit zu prahlen und nicht damit zu töten. Es war mir gestattet, ihn zu zähmen und zu nutzen, weil ich ihn nicht zu meinem Vorteil einsetzte, sondern um andere vor ihm zu schützen.

Aber den Tarnumhang nahm ich aus eitler Neugier an mich, und so hätte er für mich niemals dieselbe Wirkung entfalten können wie für dich, seinen wahren Eigentümer. Den Stein hätte ich benutzt, um zu versuchen, diejenigen zurückzuzerren, die in Frieden ruhen, und nicht, um meine Selbstaufopferung zu ermöglichen, wie du es getan hast. Du bist der würdige Besitzer der Heiligtümer.«

Dumbledore tätschelte Harrys Hand, und Harry blickte zu dem alten Mann auf und lächelte; er konnte nicht anders. Wie konnte er jetzt weiter zornig auf Dumbledore sein?

»Warum mussten Sie es so schwierig machen?«

Dumbledore lächelte zittrig.

»Ich fürchte, ich baute darauf, dass Miss Granger dich bremsen würde, Harry. Ich hatte Angst, dass dein hitziger Kopf stärker sein könnte als dein gutes Herz. Ich hatte die Befürchtung, dass, wenn ich dir die Tatsachen über diese verlockenden Gegenstände geradeheraus erzählte, du dir die Heiligtümer verschaffen würdest, wie ich es tat, zur falschen Zeit, aus den falschen Beweggründen. Wenn du sie dereinst in deinen Besitz bringen würdest, so dachte ich, dann sollten sie auch sicher bei dir sein. Du bist der wahre Gebieter des Todes, weil der wahre Gebieter nicht versucht, vor dem Tod wegzulaufen. Er nimmt hin, dass er sterben muss, und begreift, dass es viel, viel Schlimmeres in der lebendigen Welt gibt, als zu sterben.«

»Und Voldemort wusste nie von den Heiligtümern?«

»Ich glaube nicht, denn er hat den Stein der Auferstehung, den er in einen Horkrux verwandelte, nicht erkannt. Doch selbst wenn er von ihnen gewusst hätte, Harry, bezweifle ich, dass er an irgendeinem davon interessiert gewesen wäre außer an dem ersten. Er hätte geglaubt, dass er den Tarnumhang nicht brauchte, und was den Stein betrifft, wen würde er von den Toten zurückholen wollen? Er fürchtet den Tod. Er liebt nicht.«

»Aber Sie rechneten damit, dass er hinter dem Zauberstab her sein würde?«

»Ich war mir sicher, dass Voldemort es versuchen würde, seit dein Zauberstab auf dem Friedhof von Little Hangleton seinen besiegt hatte.

Zuerst hatte er die Befürchtung, dass du ihn durch überlegene Fähigkeiten geschlagen hättest. Sobald er jedoch Ollivander entführt hatte, erfuhr er von der Existenz der Zwillingskerne. Er dachte, dies würde alles erklären. Aber der geborgte Zauberstab richtete auch nicht mehr gegen deinen aus! Und anstatt sich zu fragen, welche deiner Eigenschaften es war, die deinen Zauberstab so stark gemacht hatte, welche Gabe du besaßest, die ihm fehlte, schickte Voldemort sich natürlich an, den einzigen Zauberstab zu finden, der, wie es hieß, jeden anderen schlagen würde. Für ihn ist der Elderstab zu einer Besessenheit geworden, die seiner Besessenheit, was dich angeht, gleichkommt. Er glaubt, dass der Elderstab seine letzte Schwäche beseitigt und ihn wahrhaft unbesiegbar macht. Armer Severus

...«

»Wenn Sie Ihren Tod durch Snape planten, wollten Sie also, dass er die Sache mit dem Elderstab beendet, oder?«

»Ich gebe zu, das war meine Absicht«, sagte Dumbledore, »aber es hat nicht so funktioniert, wie ich wollte, nicht wahr?«

»Nein«, sagte Harry. »Dieser Teil hat nicht geklappt.«

Das Geschöpf hinter ihnen zuckte und stöhnte, und Harry und Dumbledore saßen da und schwiegen, länger als zuvor. Die Erkenntnis, was als Nächstes geschehen würde, legte sich in diesen langen Minuten ganz allmählich über Harry wie sanft fallender Schnee.

»Ich muss zurück, oder?«

»Das ist deine Entscheidung.«

»Ich habe die Wahl?«

»O ja.« Dumbledore lächelte ihn an. »Wir sind in King's Cross, sagst du? Ich denke, wenn du beschließen würdest, nicht zurückzugehen, könntest du ... sagen wir ... in einen Zug einsteigen.«

»Und wo würde mich der hinbringen?«

»Weiter«, sagte Dumbledore nur.

Wieder Schweigen.

»Voldemort hat den Elderstab.«

»Richtig. Voldemort hat den Elderstab.«

»Aber Sie wollen, dass ich zurückgehe?«

»Ich denke«, sagte Dumbledore, »wenn du dich entscheidest zurückzukehren, besteht die Chance, dass er ein für alle Mal erledigt wird.

Ich kann es nicht versprechen. Aber eins weiß ich, Harry, nämlich dass du weniger von der Rückkehr hierher zu befürchten hast als er.«

Harry warf erneut einen Blick auf das geschundene Etwas, das im Schatten unter dem fernen Stuhl zitterte und würgte.

»Bedaure nicht die Toten, Harry. Bedaure die Lebenden, und vor allem diejenigen, die ohne Liebe leben. Indem du zurückkehrst, könntest du dafür sorgen, dass weniger Seelen verstümmelt werden, weniger Familien auseinandergerissen werden. Wenn dir das wie ein würdiges Ziel erscheint, dann sagen wir einstweilen Lebewohl.«

Harry nickte und seufzte. Diesen Ort zu verlassen würde nicht annähernd so schwierig sein, wie es gewesen war, in den Verbotenen Wald zu gehen, doch es war warm und hell und friedlich hier, und er wusste, dass er zum Schmerz zurückging und zur Angst vor noch mehr Verlusten. Er stand auf, und Dumbledore tat es ihm nach, und sie sahen einander einen langen Moment ins Gesicht.

»Verraten Sie mir noch ein Letztes«, sagte Harry. »Ist das hier wirklich?

Oder passiert es in meinem Kopf?«

Dumbledore strahlte ihn an, und seine Stimme klang laut und stark in Harrys Ohren, obwohl der helle Nebel sich wieder herabsenkte und seine Gestalt verschwimmen ließ.

»Natürlich passiert es in deinem Kopf, Harry, aber warum um alles in der Welt sollte das bedeuten, dass es nicht wirklich ist?«