"Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" - читать интересную книгу автора (Роулинг Джоан)

Die Widmung dieses Buches ist siebengeteilt: für Neil, für Jessica, für David, für Kenzie, für Di, für Anne und für euch, wenn ihr zu Harry gehalten habt, bis ganz zum Schluss.

Erbteil des fluches,

hässlicher sünde

blutige wunde,

schmerzen, wer trüge sie?

quälen, wer stillte sie?

wehe weh!

Einzig der erbe

heilet des hauses

eiternde wunde,

einzig mit blut'gem schnitt.

götter der finsternis

rief mein lied.

Sel'ge geister drunten in der tiefe,

wenn ihr die beschwörungsrufe hörtet,

bringt den kindern hilfe, bringt den sieg.

Aischylos, Das Opfer am Grabe


Sterben ist nur ein Uebergang aus dieser Welt in die andere, als wenn Freunde über See gehen, welche dennoch in einander fortleben. Denn Diejenigen, die im Allgegenwärtigen lieben und leben, müssen nothwendig einander gegenwärtig seyn. In diesem göttlichen Spiegel sehen sie sich von Angesicht zu Angesicht, und ihr Umgang ist so wohl frey als rein. Und wenn sie auch durch den Tod getrennt werden, so haben sie doch den Trost, daß ihre Freundschaft und Gesellschaft ihnen, dem besten Gefühle nach, beständig gegenwärtig bleibt, weil diese unsterblich ist.

William Penn, Früchte der Einsamkeit. Zweyte Abtheilung


Die Dursleys reisen ab

Die Haustür schlug mit einem Knall zu, der die Treppe heraufhallte, und eine Stimme schrie: »He! Du!«

Da Harry schon sechzehn Jahre lang so angesprochen wurde, gab es für ihn keinen Zweifel, wen sein Onkel rief; trotzdem antwortete er nicht sofort. Er starrte unentwegt auf die Spiegelscherbe, in der er kurz zuvor einen winzigen Moment lang Dumbledores Auge gesehen zu haben glaubte. Erst als sein Onkel »BURSCHE!« brüllte, stand Harry langsam auf und ging zur Zimmertür, wobei er kurz innehielt und das Bruchstück des Spiegels in den Rucksack zu den anderen Dingen steckte, die er mitnehmen wollte.

»Du hast dir Zeit gelassen!«, donnerte Vernon Dursley, als Harry oben am Treppenabsatz erschien. »Komm runter, ich will dich sprechen!«

Harry stieg gemächlich die Stufen hinunter, die Hände tief in den Taschen seiner Jeans vergraben. Als er ins Wohnzimmer trat, waren dort alle drei Dursleys versammelt. Sie trugen Reisekleidung: Onkel Vernon eine rehbraune Reißverschlussjacke, Tante Petunia einen adretten lachsfarbenen Mantel und Dudley, Harrys großer, blonder, muskelbepackter Cousin, seine Lederjacke.

»Ja?«, fragte Harry.

»Setz dich!«, sagte Onkel Vernon. Harry runzelte die Stirn. »Bitte!«, fügte Onkel Vernon hinzu und zuckte leicht zusammen, als steckte ihm das Wort spitz in der Kehle.

Harry setzte sich. Er meinte zu wissen, was kommen würde. Sein Onkel begann auf und ab zu gehen, Tante Petunia und Dudley verfolgten seine Schritte mit bangen Mienen.

Schließlich blieb Onkel Vernon vor Harry stehen, das feiste, puterrote Gesicht vor angestrengtem Nachdenken zerknittert, und fing an zu sprechen.

»Ich habe es mir anders überlegt«, sagte er.

»Was für eine Überraschung«, sagte Harry.

»Hör auf, in diesem Ton -«, setzte Tante Petunia mit schriller Stimme an, doch Vernon Dursley brachte sie mit einem Wink zum Schweigen.

»Das ist alles kompletter Kokolores«, sagte Onkel Vernon und funkelte Harry mit seinen Schweinsäuglein böse an. »Ich habe beschlossen, dass ich kein Wort davon glaube. Wir bleiben hier, wir gehen nirgendshin.«

Harry blickte wütend und belustigt zugleich zu seinem Onkel auf.

Vernon Dursley hatte in den letzten vier Wochen alle vierundzwanzig Stunden seine Meinung geändert und bei jedem Sinneswandel den Wagen gepackt, ausgeräumt und wieder gepackt. Harrys Lieblingsszene war es gewesen, als Onkel Vernon, der nicht bemerkt hatte, dass Dudley nach dem letzten Ausladen seine Hanteln in den Koffer gesteckt hatte, den Koffer zurück in den Wagen hieven wollte und dann brüllend vor Schmerz und unter einem Schwall von Flüchen zusammenbrach.

»Du meinst also«, sagte Vernon Dursley jetzt und fing wieder an, im Wohnzimmer auf und ab zu gehen, »dass wir – Petunia, Dudley und ich –in Gefahr sind. Wegen – wegen -«

»Leuten aus gt;meiner Sippschaftlt;, genau«, sagte Harry.

»Also, das glaube ich nicht«, wiederholte Onkel Vernon und blieb erneut vor Harry stehen. »Ich war die halbe Nacht wach und habe über alles nachgedacht, und ich glaube, das ist ein Komplott, um an das Haus heranzukommen.«

»Das Haus?«, wiederholte Harry. »Welches Haus?«

»Dieses Haus!«, schrie Onkel Vernon und die Ader an seiner Schläfe begann zu pulsieren. » Unser Haus! Die Preise für Häuser hier in der Gegend sind gerade am Explodieren! Du willst uns aus dem Weg haben, und dann machst du ein bisschen Hokuspokus, und ehe wir's uns versehen, lauten die Urkunden auf deinen Namen und -«

»Hast du sie nicht mehr alle?«, entgegnete Harry. »Ein Komplott, um an dieses Haus heranzukommen? Bist du wirklich so dumm, wie du aussiehst?«

»Untersteh dich -!«, quiekte Tante Petunia, doch wieder brachte Vernon sie mit einem Wink zum Schweigen: Beleidigende Bemerkungen über sein Aussehen waren offenbar nichts im Vergleich zu der Gefahr, die er erkannt hatte.

»Nur für den Fall, dass du es vergessen hast«, sagte Harry, »ich besitze bereits ein Haus, mein Pate hat mir eines vererbt. Also, warum sollte ich das hier haben wollen? "Wegen der vielen glücklichen Erinnerungen?«

Stille trat ein. Harry dachte, dass er seinen Onkel mit diesem Argument ziemlich beeindruckt hatte.

»Du behauptest«, sagte Onkel Vernon und begann von neuem auf und ab zu gehen, »dass dieser Lord Dingsda -«

»Voldemort«, sagte Harry ungeduldig, »und das haben wir schon hundertmal durchgekaut. Es ist keine Behauptung, es ist eine Tatsache, Dumbledore hat es dir letztes Jahr gesagt, und Kingsley und Mr Weasley -«

Vernon Dursley zog zornig die Schultern hoch, und Harry nahm an, dass sein Onkel versuchte, Erinnerungen an den unangekündigten Besuch zweier ausgewachsener Zauberer einige Tage nach Beginn von Harrys Sommerferien zu verscheuchen. Dass Kingsley Shacklebolt und Arthur Weasley auf der Türschwelle erschienen waren, hatte den Dursleys einen äußerst unangenehmen Schock versetzt. Harry musste allerdings zugeben, dass man von Onkel Vernon nicht erwarten konnte, dass er sich über das neuerliche Erscheinen Mr Weasleys freute, nachdem dieser einst das halbe Wohnzimmer demoliert hatte.

»- Kingsley und Mr Weasley haben es dir auch alles erklärt«, sprach Harry unbarmherzig weiter. »Sobald ich siebzehn bin, wird der Zauber, der mich schützt, brechen, und dann seid ihr genauso in Gefahr wie ich. Der Orden ist sicher, dass Voldemort euch ins Visier nehmen wird, entweder um euch zu foltern, um herauszufinden, wo ich stecke, oder weil er denkt, wenn er euch als Geiseln hält, würde ich kommen und versuchen euch zu befreien.«

Onkel Vernons und Harrys Blicke trafen sich. Harry war sicher, dass sie sich beide in diesem Moment dieselbe Frage stellten. Dann ging Onkel Vernon weiter und Harry fuhr fort: »Ihr müsst euch verstecken und der Orden will euch dabei helfen. Man bietet euch echten Schutz an, den besten, den es gibt.«

Onkel Vernon sagte nichts, sondern schritt weiter auf und ab. Draußen stand die Sonne tief über den Ligusterhecken. Der Motor des Rasenmähers nebenan starb wieder ab.

»Ich dachte, es gäbe ein Zaubereiministerium?«, fragte Vernon Dursley unvermittelt.

»Das stimmt«, sagte Harry überrascht.

»Nun denn, warum können die uns nicht schützen? Man sollte doch meinen, dass wir als unschuldige Opfer, die sich nichts weiter vorzuwerfen haben, als dass sie einem gebrandmarkten Menschen Zuflucht gewähren, den Schutz der Regierung in Anspruch nehmen können!«

Harry lachte; er konnte nicht anders. Es war so typisch für seinen Onkel, seine Hoffnung in die Obrigkeit zu setzen, selbst in jener Welt, die er verachtete und an der er zweifelte.

»Du hast gehört, was Mr Weasley und Kingsley gesagt haben«, erwiderte Harry. »Wir glauben, dass das Ministerium infiltriert worden ist.«

Onkel Vernon marschierte zum Kamin und zurück, schwer atmend, so dass sein großer schwarzer Schnurrbart wogte, sein Gesicht immer noch puterrot vom angestrengten Nachdenken.

»Na schön«, sagte er und blieb wieder vor Harry stehen. »Na schön, sagen wir, nur mal angenommen, wir akzeptieren diesen Schutz. Dann sehe ich immer noch nicht ein, warum wir diesen Kingsley da nicht haben können. «

Es gelang Harry, allerdings nur mit Mühe, nicht die Augen zu verdrehen. Auch diese Frage hatte er ein halbes Dutzend Mal gehört.

»Wie ich dir schon erklärt habe«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen, »Kingsley schützt den Mug- ich meine, euren Premierminister.«

»Genau – er ist der Beste!«, sagte Onkel Vernon und deutete auf den leeren Fernsehschirm. Die Dursleys hatten Kingsley in den Nachrichten entdeckt, als er diskret hinter dem Premierminister der Muggel herlief, der gerade ein Krankenhaus besichtigte. Dies und die Tatsache, dass Kingsley den Dreh raushatte, sich wie ein Muggel zu kleiden, ganz abgesehen von dem gewissen beruhigenden Etwas in seiner gemächlichen, tiefen Stimme, hatte die Dursleys an Kingsley Gefallen finden lassen wie sicher an keinem anderen Zauberer, obwohl es stimmte, dass sie ihn nie mit seinem Ohrring gesehen hatten.

»Tja, er ist vergeben«, sagte Harry. »Aber Hestia Jones und Dädalus Diggel sind auf diesen Job bestens vorbereitet -«

»Wenn wir wenigstens Lebensläufe gesehen hätten ...«, setzte Onkel Vernon an, aber Harry verlor die Geduld. Er stand auf, ging auf seinen Onkel zu und deutete nun selbst auf den Fernseher.

»Diese Unfälle sind keine Unfälle – die Zusammenstöße und Explosionen und Zugentgleisungen und was sonst noch passiert ist, seit wir das letzte Mal die Nachrichten gesehen haben. Menschen verschwinden und sterben, und er steckt dahinter – Voldemort. Das habe ich dir immer und immer wieder gesagt, er tötet Muggel zum Vergnügen. Sogar die Nebel – die werden von Dementoren verursacht, und wenn du dich nicht mehr erinnern kannst, was das ist, frag deinen Sohn!«

Dudleys Hände fuhren mit einem Ruck hoch und bedeckten seinen Mund. Als seine Eltern und Harry ihre Blicke auf ihn richteten, ließ er die Hände langsam wieder sinken und fragte: »Es gibt ... noch mehr von denen? «

»Noch mehr?«, lachte Harry. »Mehr als die zwei, die uns angegriffen haben, meinst du? Natürlich, es gibt Hunderte, inzwischen vielleicht Tausende, wenn man bedenkt, dass sie sich von Angst und Verzweiflung ernähren -«

»Schon gut, schon gut«, polterte Vernon Dursley. »Wir haben verstanden -«

»Ich hoffe es«, sagte Harry, »denn sobald ich siebzehn bin, können die alle euch finden – Todesser, Dementoren, möglicherweise sogar Inferi, das sind Leichen, die von einem schwarzen Magier verzaubert wurden –, und sie werden euch sicher angreifen. Und wenn ihr euch an das letzte Mal erinnert, als ihr versucht habt, Zauberern zu entkommen, dann werdet ihr bestimmt zugeben, dass ihr Hilfe braucht.«

Ein kurzes Schweigen trat ein, und es war, als ob man Hagrid eine hölzerne Haustür einschlagen hörte, ganz aus der Ferne und über die dazwischenliegenden Jahre hinweg. Tante Petunia blickte zu Onkel Vernon; Dudley starrte Harry an. Endlich platzte es aus Onkel Vernon heraus: »Aber was ist mit meiner Arbeit? Was ist mit Dudleys Schule? Ich nehme an, solche Dinge sind für einen Haufen herumgammelnder Zauberer nicht von Bedeutung -«

»Kapierst du nicht?«, rief Harry. »Sie werden euch foltern und töten wie meine Eltern!«

»Dad«, sagte Dudley mit lauter Stimme, »Dad – ich gehe mit diesen Ordenstypen.«

»Dudley«, sagte Harry, »zum ersten Mal in deinem Leben sagst du was Vernünftiges.«

Er wusste, dass die Schlacht gewonnen war. Wenn Dudley so verängstigt war, dass er die Hilfe des Ordens annahm, würden seine Eltern mit ihm gehen: Von ihrem Diddyspatz getrennt zu sein kam für sie überhaupt nicht in Frage. Harry warf einen Blick zur Standuhr auf dem Kaminsims.

»In etwa fünf Minuten sind sie hier«, sagte er, und als keiner der Dursleys antwortete, verließ er den Raum. Die Aussicht, dass er sich –vermutlich für immer – von seiner Tante, seinem Onkel und seinem Cousin trennen würde, war durchaus erfreulich für ihn, und doch lag ein Anflug von Verlegenheit in der Luft. Was sagte man zueinander nach sechzehn Jahren heftiger Abneigung?

Wieder in seinem Zimmer, nestelte Harry planlos an seinem Rucksack herum, dann steckte er ein paar Eulennüsse durch das Gitter von Hedwigs Käfig. Sie fielen mit einem dumpfen Geräusch zu Boden und Hedwig beachtete sie nicht.

»Wir brechen bald auf, wirklich bald«, erklärte ihr Harry. »Und dann kannst du wieder fliegen.«

Die Türglocke läutete. Harry zögerte, dann ging er aus seinem Zimmer und machte sich auf den Weg nach unten: Dass Hestia und Dädalus allein mit den Dursleys zurechtkamen, war zu viel verlangt.

»Harry Potter!«, quiekte eine aufgeregte Stimme, sobald Harry die Tür geöffnet hatte; ein kleiner Mann mit einem malvenfarbenen Zylinder legte eine tiefe Verbeugung vor ihm hin. »Eine Ehre, wie immer!«

»Danke, Dädalus«, sagte Harry und schenkte der dunkelhaarigen Hestia ein kleines beschämtes Lächeln. »Wirklich nett von euch, dass ihr das tut ...

Sie sind hier drin, meine Tante und mein Onkel und mein Cousin ...«

»Ihnen einen schönen guten Tag, Verwandte von Harry Potter!«, sagte Dädalus erfreut und betrat mit großen Schritten das Wohnzimmer. Die Dursleys wirkten überhaupt nicht erfreut, auf diese Weise angesprochen zu werden; Harry war schon halb auf einen weiteren Meinungsumschwung gefasst. Dudley machte sich beim Anblick der Hexe und des Zauberers neben seiner Mutter ganz klein.

»Wie ich sehe, sind Sie mit dem Packen fertig und bereit. Bestens! Der Plan ist, wie Harry Ihnen erzählt hat, ein einfacher«, sagte Dädalus, indem er eine gewaltige Taschenuhr aus seiner Weste zog und einen prüfenden Blick darauf warf. »Wir brechen noch vor Harry auf. Damit keine Gefahr besteht, dass in Ihrem Haus Magie gebraucht wird – da Harry immer noch minderjährig ist, könnte das dem Ministerium einen Vorwand liefern, um ihn zu verhaften –, werden wir zuerst, sagen wir, etwa zehn Meilen fahren, ehe wir zu dem sicheren Ort disapparieren, den wir für Sie ausgewählt haben. Sie wissen, wie man Auto fährt, nehme ich an?«, fragte er Onkel Vernon höflich.

»Wissen, wie man -? Natürlich weiß ich verdammt noch mal genau, wie man Auto fährt!«, zischte Onkel Vernon.

»Wie schlau Sie sind, Sir, wie schlau, mich persönlich würden all diese Knöpfe und Griffe völlig konfus machen«, sagte Dädalus. Er nahm zweifellos an, Vernon Dursley zu schmeicheln, der offensichtlich mit jedem Wort von Dädalus mehr und mehr das Vertrauen in den Plan verlor.

»Kann nicht mal Auto fahren«, murmelte er vor sich hin, und sein Schnurrbart zitterte entrüstet, aber glücklicherweise schienen weder Dädalus noch Hestia ihn zu hören.

»Du, Harry«, fuhr Dädalus fort, »wartest hier auf deine Leibgarde. Es gab eine kleine Änderung in der Planung -«

»Was soll das heißen?«, warf Harry sofort ein. »Ich dachte, Mad-Eye wollte kommen und mich per Seit-an-Seit-Apparieren mitnehmen?«

»Geht nicht«, erwiderte Hestia kurz angebunden. »Mad-Eye wird es erklären.«

Die Dursleys, die dem Ganzen mit vollkommen verständnislosen Mienen gelauscht hatten, zuckten zusammen, als eine laute Stimme

»Beeilung!« kreischte. Harry sah sich im gesamten Zimmer um, ehe ihm klar wurde, dass die Stimme aus Dädalus' Taschenuhr gekommen war.

»Völlig richtig, wir operieren nach einem sehr straffen Zeitplan«, sagte Dädalus, nickte seiner Uhr zu und steckte sie zurück in seine Weste. »Wir versuchen, deine Abreise vom Haus mit der Disapparition deiner Familie zeitlich abzustimmen, Harry; so bricht der Zauber in dem Moment, wenn ihr alle auf dem Weg in die Sicherheit seid.« Er wandte sich den Dursleys zu. »Nun, sind alle mit Packen fertig und reisebereit? «

Keiner von ihnen antwortete. Onkel Vernon starrte immer noch entsetzt auf die Wölbung in Dädalus' Westentasche.

»Vielleicht sollten wir draußen im Flur warten, Dädalus«, murmelte Hestia. Sie hielt es offenbar für taktlos, wenn sie beide im Zimmer blieben, während Harry und die Dursleys sich liebevoll, womöglich tränenreich verabschiedeten.

»Das ist nicht nötig«, brummte Harry, aber Onkel Vernon machte jede weitere Erklärung überflüssig, indem er laut sagte: »Also, das war's dann wohl, Junge.«

Er schwang seinen rechten Arm nach oben, um Harrys Hand zu schütteln, doch im letzten Moment schien er außerstande, es über sich zu bringen, schloss nur seine Faust und fing an, sie vor- und zurückzuschwingen wie ein Metronom.

»Fertig, Duddy?«, sagte Tante Petunia und überprüfte hektisch den Verschluss ihrer Handtasche, um es völlig zu vermeiden, Harry anzusehen.

Dudley antwortete nicht, sondern stand nur da, den Mund leicht geöffnet, was Harry ein wenig an den Riesen Grawp erinnerte.

»Dann komm«, sagte Onkel Vernon.

Er hatte schon die Wohnzimmertür erreicht, als Dudley murmelte: »Das versteh ich nicht.«

»Was verstehst du nicht, Mausebär?«, fragte Tante Petunia und blickte zu ihrem Sohn auf.

Dudley hob eine große, schinkenähnliche Hand und deutete damit auf Harry.

»Warum kommt er nicht mit uns?«

Onkel Vernon und Tante Petunia blieben wie angewurzelt stehen und starrten Dudley an, als hätte er gerade den Wunsch geäußert, Ballerina zu werden.

»Was?«, sagte Onkel Vernon laut.

»Warum kommt er nicht auch mit?«, fragte Dudley.

»Nun, er – er will nicht«, sagte Onkel Vernon, wandte sich mit wütendem Blick zu Harry um und fügte hinzu: »Du willst nicht, oder? «

»Nicht im Geringsten«, sagte Harry.

»Jetzt weißt du's«, sagte Onkel Vernon zu Dudley. »Und nun komm, wir gehen.«

Er marschierte aus dem Zimmer: Sie hörten, wie die Haustür aufging, aber Dudley bewegte sich nicht vom Fleck, und nach ein paar zögerlichen Schritten blieb auch Tante Petunia stehen.

»Was denn jetzt noch?«, bellte Onkel Vernon, der wieder in der Tür auftauchte.

Dudley schien mit Gedanken zu kämpfen, die so schwierig waren, dass er sie nicht ausdrücken konnte. Nachdem er einige Momente offenbar mühsam mit sich gerungen hatte, sagte er: »Aber wo geht er hin?«

Tante Petunia und Onkel Vernon sahen einander an. Dudley machte ihnen sichtlich Angst. Hestia Jones brach das Schweigen.

»Aber ... Sie wissen doch bestimmt, wohin Ihr Neffe geht?«, fragte sie mit verwirrtem Gesichtsausdruck.

»Natürlich wissen wir das«, sagte Vernon Dursley. »Er verschwindet mit ein paar Leuten aus Ihrer Sippschaft, nicht wahr? Also komm, Dudley, gehen wir zum Auto, du hast den Mann gehört, wir müssen uns beeilen.«

Vernon Dursley marschierte erneut bis zur Haustür, doch Dudley folgte ihm nicht.

»Mit ein paar Leuten aus unserer Sippschaft?«

Hestia sah empört drein. Harry hatte diese Haltung schon früher bei Hexen und Zauberern beobachtet: Sie schienen bestürzt, dass seine engsten Verwandten so wenig Interesse an dem berühmten Harry Potter zeigten.

»Schon gut«, beruhigte Harry sie. »Ist mir ehrlich gesagt egal.«

»Egal?«, wiederholte Hestia mit bedrohlich anschwellender Stimme.

»Ist diesen Leuten nicht klar, was du durchgemacht hast? In welcher Gefahr du bist? Welch außergewöhnlichen Platz du im Herzen der Anti-Voldemort-Bewegung einnimmst? «

»Ähm – nein, ist es nicht«, sagte Harry. »Sie halten mich in Wahrheit für eine Platzverschwendung, aber ich bin es gewohnt, dass -«

»Ich halte dich nicht für eine Platzverschwendung.«

Wenn Harry nicht gesehen hätte, dass sich Dudleys Lippen bewegten, dann hätte er es vielleicht nicht geglaubt. Doch nun starrte er Dudley mehrere Sekunden lang an, ehe er hinnahm, dass es sein Cousin gewesen sein musste, der gesprochen hatte; außerdem war Dudley rot geworden.

Harry war selbst peinlich berührt und verblüfft.

»Also ... ähm ... danke, Dudley.«

Dudley kämpfte offenbar erneut mit Gedanken, die zu sperrig waren, um sie in Worte zu fassen, dann murmelte er: »Du hast mir das Leben gerettet.«

»Stimmt so nicht ganz«, sagte Harry. »Der Dementor hätte deine Seele genommen ...«

Er sah seinen Cousin neugierig an. Sie hatten diesen und auch letzten Sommer praktisch nichts miteinander zu tun gehabt, weil Harry nur so kurz in den Ligusterweg zurückgekehrt und dann meist in seinem Zimmer geblieben war. Jetzt allerdings dämmerte es ihm, dass die Tasse mit dem kalten Tee, auf die er an diesem Morgen getreten war, vielleicht gar kein übler Streich gewesen war. Obgleich ziemlich gerührt, war er doch einigermaßen erleichtert darüber, dass Dudley anscheinend alle Möglichkeiten erschöpft hatte, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen.

Nachdem Dudley noch ein- oder zweimal den Mund aufgemacht hatte, versank er mit knallrotem Gesicht in Schweigen.

Tante Petunia brach in Tränen aus. Hestia Jones warf ihr einen beifälligen Blick zu, der in Empörung umschlug, als Tante Petunia losrannte und nicht Harry, sondern Dudley umarmte.

»W-wie nett von dir, Dudders ...«, schluchzte sie an seiner massigen Brust, »s-so ein lieber J-Junge ... b-bedankt sich auch noch ... «

»Aber er hat sich überhaupt nicht bedankt!«, sagte Hestia entrüstet. »Er hat nur gesagt, dass Harry für ihn keine Platzverschwendung ist!«

»Jaah, aber wenn das von Dudley kommt, heißt es so viel wie gt;Ich liebe dichlt;«, sagte Harry und wusste nicht recht, ob er genervt sein oder eher lachen sollte, während Tante Petunia nach wie vor Dudley umklammerte, als hätte er soeben Harry aus einem brennenden Gebäude gerettet.

»Gehen wir jetzt oder nicht?«, donnerte Onkel Vernon, der abermals an der Wohnzimmertür erschien. »Ich dachte, wir hätten einen straffen Zeitplan!«

»Ja – ja, haben wir«, sagte Dädalus Diggel, der den Wortwechsel mit amüsierter Miene verfolgt hatte und sich jetzt offenbar einen Ruck gab.

»Wir müssen wirklich los. Harry -«

Er stolperte vorwärts und drückte Harrys Hand mit seinen beiden Händen.

»- viel Glück. Ich hoffe, wir sehen uns wieder. Die Hoffnungen der Zaubererwelt ruhen auf deinen Schultern.«

»Oh«, sagte Harry, »ja. Das ist nett.«

»Leb wohl, Harry«, sagte Hestia und auch sie ergriff seine Hand.

»Unsere Gedanken sind bei dir.«

»Ich hoffe, alles ist okay«, sagte Harry mit einem raschen Blick auf Tante Petunia und Dudley.

»Oh, ich bin sicher, dass wir die dicksten Freunde werden«, sagte Diggel munter und schwenkte seinen Hut, während er das Zimmer verließ.

Hestia folgte ihm.

Dudley löste sich sanft aus der Umklammerung seiner Mutter und ging auf Harry zu, der sich stark zurückhalten musste, ihn nicht mit Zauberei zu bedrohen. Dann streckte Dudley seine große rosa Hand aus.

»Wahnsinn, Dudley«, sagte Harry über Tante Petunias neuerliches Schluchzen hinweg, »haben dir die Dementoren eine andere Persönlichkeit eingehaucht?«

»Weiß nich«, nuschelte Dudley. »Bis dann, Harry. «

»Jaah ...«, sagte Harry, nahm Dudleys Hand und schüttelte sie.

»Vielleicht. Pass auf dich auf, Big D.«

Dudley lächelte fast, dann ging er schleppend aus dem Zimmer. Harry hörte seine schweren Schritte auf dem Kiesweg und dann schlug eine Autotür zu.

Tante Petunia, deren Gesicht in ihrem Taschentuch vergraben gewesen war, wandte sich bei dem Geräusch um. Offenbar hatte sie nicht erwartet, nun mit Harry allein zu sein. Hastig stopfte sie das nasse Tuch in ihre Tasche, sagte: »Also – auf Wiedersehen«, und marschierte zur Tür, ohne ihn anzuschauen.

»Auf Wiedersehen«, sagte Harry.

Sie blieb stehen und drehte sich um. Einen Moment lang hatte Harry das höchst seltsame Gefühl, dass sie ihm etwas sagen wollte: Sie warf ihm einen merkwürdigen zaghaften Blick zu, und es schien ihr schon etwas auf der Zunge zu liegen, doch dann hastete sie mit einem leichten Zucken des Kopfes ihrem Ehegatten und ihrem Sohn hinterher aus dem Zimmer.