"Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" - читать интересную книгу автора (Роулинг Джоан)

Die Widmung dieses Buches ist siebengeteilt: für Neil, für Jessica, für David, für Kenzie, für Di, für Anne und für euch, wenn ihr zu Harry gehalten habt, bis ganz zum Schluss.

Erbteil des fluches,

hässlicher sünde

blutige wunde,

schmerzen, wer trüge sie?

quälen, wer stillte sie?

wehe weh!

Einzig der erbe

heilet des hauses

eiternde wunde,

einzig mit blut'gem schnitt.

götter der finsternis

rief mein lied.

Sel'ge geister drunten in der tiefe,

wenn ihr die beschwörungsrufe hörtet,

bringt den kindern hilfe, bringt den sieg.

Aischylos, Das Opfer am Grabe


Sterben ist nur ein Uebergang aus dieser Welt in die andere, als wenn Freunde über See gehen, welche dennoch in einander fortleben. Denn Diejenigen, die im Allgegenwärtigen lieben und leben, müssen nothwendig einander gegenwärtig seyn. In diesem göttlichen Spiegel sehen sie sich von Angesicht zu Angesicht, und ihr Umgang ist so wohl frey als rein. Und wenn sie auch durch den Tod getrennt werden, so haben sie doch den Trost, daß ihre Freundschaft und Gesellschaft ihnen, dem besten Gefühle nach, beständig gegenwärtig bleibt, weil diese unsterblich ist.

William Penn, Früchte der Einsamkeit. Zweyte Abtheilung


In memoriam

Harry blutete. Leise vor sich hin fluchend, hielt er die rechte Hand mit der linken umklammert und stieß mit der Schulter seine Zimmertür auf.

Das Knirschen von zerbrechendem Porzellan war zu hören: Er war auf eine Tasse mit kaltem Tee getreten, die auf dem Boden vor seiner Tür stand.

»Was zum -?«

Er blickte sich um; auf dem Treppenabsatz im Ligusterweg Nummer vier war niemand. Vielleicht hatte Dudley die Tasse Tee für einen genialen Streich gehalten. Während Harry seine blutende Hand weiter hochhielt, scharrte er mit der anderen die Scherben der Tasse zusammen und warf sie in den bereits vollgestopften Papierkorb, der hinter der Zimmertür hervorlugte. Dann trottete er hinüber zum Badezimmer und ließ Wasser über seinen Finger laufen.

Es war dumm, sinnlos und unglaublich ärgerlich, dass immer noch vier Tage vor ihm lagen, an denen er nicht zaubern konnte ... doch er musste sich eingestehen, dass dieser ausgefranste Schnitt in seinem Finger ihn überfordert hätte. Er hatte nie gelernt, Wunden zu schließen, was ihm jetzt, wo er darüber nachdachte, wie ein echtes Manko seiner magischen Bildung erschien – vor allem angesichts dessen, was er in nächster Zeit vorhatte. Er nahm sich vor, Hermine zu fragen, wie es funktionierte, und wischte mit einem Haufen Klopapier möglichst viel von dem Tee auf. Dann kehrte er in sein Zimmer zurück und schlug die Tür hinter sich zu.

Harry hatte den ganzen Vormittag lang seinen Schulkoffer komplett ausgeräumt, zum ersten Mal seit er ihn vor sechs Jahren gepackt hatte.

Seither hatte er zu Beginn jedes Schuljahres immer nur drei Viertel der Sachen oben herausgenommen, wieder hineingelegt oder durch neue ersetzt, so dass sich unten am Boden eine Schicht Kleinkram angesammelt hatte – alte Federkiele, getrocknete Käferaugen, einzelne Socken, die nicht mehr passten. Ein paar Minuten zuvor hatte Harry die Hand in diesen Mulch getaucht, einen stechenden Schmerz im vierten Finger seiner rechten Hand verspürt und viel Blut gesehen, als er sie herausgezogen hatte.

Jetzt fuhr er ein wenig vorsichtiger fort. Er kniete sich wieder neben den Koffer, suchte am Boden herum und holte einen alten Anstecker heraus, der müde zwischen »Ich bin für CEDRIC DIGGORY« und »POTTER

STINKT« hin und her zuckte, ein zerbrochenes und abgenutztes Spickoskop sowie ein goldenes Medaillon, in dem eine Notiz mit der Signatur »R. A. B.« versteckt worden war, bis er endlich den scharfen Splitter entdeckte, an dem er sich geschnitten hatte. Er wusste sofort, um was es sich handelte. Es war ein fünf Zentimeter langes Stück des Zauberspiegels, den er von seinem verstorbenen Paten Sirius bekommen hatte. Harry legte es beiseite und tastete vorsichtig im Koffer nach dem Rest, aber von dem letzten Geschenk seines Paten war nichts weiter übrig als zerbröseltes Glas, das wie Glitzerpulver an der untersten Schicht des Plunders klebte.

Harry richtete sich auf und untersuchte das gezackte Bruchstück, an dem er sich geschnitten hatte, doch er sah nur sein eigenes hellgrünes Auge darin widergespiegelt. Dann legte er die Scherbe auf den Tagespropheten vom Morgen, der ungelesen auf dem Bett lag, und versuchte gegen die plötzliche Flut schmerzlicher Erinnerungen anzukämpfen, gegen den stechenden Schmerz und die Sehnsucht, die der Fund des zerbrochenen Spiegels ausgelöst hatte, indem er sich über den restlichen Kleinkram im Koffer hermachte.

Er brauchte noch eine Stünde, um ihn vollständig auszuräumen, die nutzlosen Dinge wegzuwerfen und das Übrige auf Haufen zu verteilen, je nachdem, ob er die Sachen künftig brauchen konnte oder nicht. Seine Schul- und Quidditch-Umhänge, Kessel, Pergament, Federkiele und die meisten Schulbücher lagen auf einem Stapel in einer Ecke, die würde er zurücklassen. Er fragte sich, was seine Tante und sein Onkel damit tun würden; wahrscheinlich alles mitten in der Nacht verbrennen, als wären es Beweisstücke für irgendein schreckliches Verbrechen. Seine Muggelkleidung, den Tarnumhang, die Zaubertrankausrüstung, bestimmte Bücher, das Fotoalbum, das Hagrid ihm einst geschenkt hatte, einen Stapel Briefe und seinen Zauberstab hatte er in einen alten Rucksack umgepackt.

In einer Vordertasche steckten die Karte des Rumtreibers und das Medaillon mit der Notiz darin, die mit »R. A. B.« unterzeichnet war. Das Medaillon erhielt diesen Ehrenplatz nicht, weil es kostbar gewesen wäre –es war nach allen gängigen Maßstäben wertlos –, sondern weil der Preis, es zu bekommen, so hoch gewesen war.

Jetzt blieb nur noch ein ansehnlicher Stapel Zeitungen auf dem Schreibtisch neben seiner Schneeeule Hedwig: eine für jeden Tag, den Harry diesen Sommer im Ligusterweg verbracht hatte.

Er stand auf, streckte sich und ging zu seinem Schreibtisch hinüber.

Hedwig regte sich nicht, als er anfing die Zeitungen zu überfliegen und sie dann eine nach der anderen zum Müll warf; die Eule schlief oder tat jedenfalls so; sie war böse auf Harry, weil sie im Augenblick immer nur für kurze Zeit aus dem Käfig durfte.

Als Harry fast am Ende des Zeitungsstapels angelangt war, wurde er langsamer und suchte nach einer bestimmten Ausgabe, die, wie er wusste, zu Beginn der Sommerferien kurz nach seiner Rückkehr im Ligusterweg eingetroffen war; er erinnerte sich noch daran, dass auf der Titelseite eine kurze Meldung über den Rücktritt von Charity Burbage gestanden hatte, der Muggelkundelehrerin von Hogwarts. Schließlich fand er die Ausgabe.

Er schlug Seite zehn auf, sank auf seinen Schreibtischstuhl und las den Artikel, den er gesucht hatte, noch einmal durch.

ERINNERUNGEN AN ALBUS DUMBLEDORE

von Elphias Doge


Ich begegnete Albus Dumbledore erstmals im Alter von elf Jahren, an unserem ersten Tag in Hogwarts. Wir fühlten uns zueinander hingezogen, was zweifellos daran lag, dass wir uns beide als Außenseiter empfanden.

Ich hatte mir kurz vor meiner Ankunft in der Schule die Drachenpocken zugezogen, und obwohl ich nicht mehr ansteckend war, ermutigten mein pockennarbiges Gesicht und meine grünliche Hautfarbe nicht besonders viele, sich mir zu nähern. Albus für seinen Teil war mit der Bürde unfreiwilliger Berühmtheit nach Hogwarts gekommen. Knapp ein Jahr zuvor war sein Vater Percival wegen eines brutalen und Aufsehen erregenden Überfalls auf drei junge Muggel verurteilt worden.

Albus hat nie versucht zu bestreiten, dass sein Vater (der später in Askaban starb) dieses Verbrechen begangen hatte; im Gegenteil, als ich den Mut fasste, ihn zu fragen, versicherte er mir, dass er wusste, dass sein Vater schuldig war. Weiter wollte Dumbledore nicht über diese traurige Angelegenheit sprechen, obwohl viele ihn dazu bringen wollten. Einige neigten sogar dazu, die Tat seines Vaters zu rühmen, Und nahmen an, dass auch Albus ein Muggelhasser sei. Welch ein gewaltiger Irrtum: Wie jeder, der Albus kannte, bestätigen würde, zeigte er nie auch nur den leisesten Anflug von Muggelfeindlichkeit. Tatsächlich machte er sich durch seinen entschlossenen Einsatz für die Muggelrechte in den folgenden Jahren viele Feinde.

Binnen weniger Monate jedoch stellte Albus' eigener Ruhm den seines Vaters allmählich in den Schatten. Mit dem Ende seines ersten Schuljahres war er dann nicht mehr der Sohn eines Muggelhassers, sondern galt schlicht und einfach als der brillanteste Schüler, den die Schule je gesehen hatte.

Diejenigen von uns, die die Ehre hatten, seine Freunde zu sein, profitierten von seiner vorbildlichen Haltung, ganz zu schweigen von seinem Beistand und Zuspruch, die er immer großzügig erteilte. In vorgerücktem Alter offenbarte er mir, dass er schon damals wusste, dass seine größte Freude das Unterrichten war.

Er gewann nicht nur jeden bedeutenden Preis, den die Schule vergab, sondern stand bald auch in reger Korrespondenz mit den angesehensten magischen Persönlichkeiten der Zeit, darunter Nicolas Flamel, der gefeierte Alchemist, Bathilda Bagshot, die berühmte Historikerin, und Adalbert Schwahfel, der magische Theoretiker. Mehrere seiner Aufsätze fanden Eingang in wissenschaftliche Publikationen wie Verwandlung Heute, Zentralfragen der Zauberkunst und Angewandte Zaubertrankkunde.

Dumbledore war offensichtlich eine kometenhafte Karriere bestimmt, die einzig offene Frage war nur, wann er Zaubereiminister werden würde.

Obwohl in späteren Jahren oft angekündigt wurde, er sei im Begriff, diesen Posten zu übernehmen, hegte er nie Ambitionen auf das Ministeramt.

Drei Jahre nachdem wir in Hogwarts angefangen hatten, kam Albus'

Bruder Aberforth an die Schule. Sie waren sich nicht ähnlich; Aberforth war kein Bücherwurm, und im Gegensatz zu Albus zog er es vor, Streitigkeiten durch Duelle und nicht durch vernünftige Diskussionen auszutragen. Allerdings ist es völlig falsch, zu behaupten, wie manche es taten, dass die Brüder keine Freunde waren. Sie kamen so gut miteinander aus, wie zwei so unterschiedliche Jungen es nur konnten. Gerechterweise muss man Aberforth einräumen, dass das Leben in Albus' Schatten bestimmt keine nur positive Erfahrung war. Ständig überstrahlt zu werden, war eine Art Berufsrisiko, wenn man sein Freund war, und kann für einen Bruder sicher nicht angenehmer gewesen sein.

Als Albus und ich Hogwarts verließen, wollten wir gemeinsam eine Weltreise unternehmen, wie es damals üblich war, und Zauberer in anderen Ländern besuchen und studieren, um danach unsere jeweiligen Berufswege einzuschlagen. Doch ein Unglücksfall verhinderte dies. Just am Vorabend unserer Reise starb Albus' Mutter, Kendra, und ließ Albus als Familienoberhaupt und einzigen Brotverdiener zurück. Ich verschob meine Abfahrt, um Kendra bei der Beerdigung die letzte Ehre zu erweisen, dann brach ich zu meiner Reise auf, nun alleine. Mit einem jüngeren Bruder und einer jüngeren Schwester, um die er sich kümmern musste, und nur wenig geerbtem Gold kam es für Albus nicht mehr in Frage, mich zu begleiten.

Das war die Zeit unseres Lebens, in der wir am wenigsten Verbindung hatten. Ich schrieb Albus und berichtete ihm, vielleicht ein wenig taktlos, von den wunderbaren Erlebnissen auf meiner Reise, etwa wie ich in Griechenland nur knapp den Chimäras entronnen war, oder von den Experimenten der ägyptischen Alchemisten. In seinen Briefen erzählte er mir wenig von seinem täglichen Leben, das, wie ich vermutete, für einen so exzellenten Zauberer frustrierend langweilig sein musste. Ganz in meine eigenen Erfahrungen vertieft, erfuhr ich gegen Ende meines Reisejahres mit Entsetzen, dass abermals ein Unglück die Dumbledores heimgesucht hatte: der Tod seiner Schwester Ariana.

Obwohl Ariana lange Zeit kränklich gewesen war, hatte dieser Schicksalsschlag, so bald nach dem Verlust ihrer Mutter, größte Auswirkungen auf ihre beiden Brüder. Alle, die Albus besonders nahestanden – und ich zähle mich selbst zu diesen Glücklichen –, sind sich einig, dass Arianas Tod und Albus' Gefühl, persönlich dafür verantwortlich zu sein (obwohl er natürlich schuldlos war), bleibende Spuren bei ihm hinterlassen haben.

Ich kehrte nach Hause zurück und fand einen jungen Mann vor, der das Leid eines viel älteren Menschen durchlitten hatte. Albus war reservierter als zuvor und bei weitem nicht mehr so unbeschwert. Zu allem Unglück hatte der Verlust von Ariana nicht dazu geführt, dass Albus und Aberforth sich erneut näherkamen, sondern dass sie sich entfremdeten. (Mit der Zeit besserte sich dies – in späteren Jahren bauten sie wenn auch keine enge, so doch wieder eine freundschaftliche Beziehung zueinander auf.) Allerdings sprach er von da an selten über seine Eltern oder über Ariana, und seine Freunde lernten, sie nicht zu erwähnen.

Andere Federn werden die Großtaten der nun folgenden Jahre beschreiben. Dumbledores zahllose Beiträge zum Reichtum des magischen Wissens, darunter seine Entdeckung der zwölf Anwendungen von Drachenblut, werden künftigen Generationen von Nutzen sein, wie auch die Weisheit, die er bei vielen Urteilssprüchen in seiner Zeit als Großmeister des Zaubergamots an den Tag gelegt hat. Noch heute heißt es, dass kein Zaubererduell jemals dem zwischen Dumbledore und Grindelwald im Jahr 1945 gleichkam. Die Augenzeugen haben von der Angst und von der Ehrfurcht geschrieben, die sie verspürten, als sie diese beiden außergewöhnlichen Zauberer beim Kampf beobachteten.

Dumbledores Triumph und dessen Auswirkungen auf die Zaubererwelt gelten als Wendepunkt in der magischen Geschichte, von ähnlicher Bedeutung wie die Einführung des Internationalen Geheimhaltungsabkommens oder der Sturz Jenes, der nicht genannt werden darf.

Albus Dumbledore war nie stolz oder eitel; er konnte in jedem etwas Wertvolles finden, wie unbedeutend oder erbärmlich er auch wirken mochte, und ich glaube, dass seine frühen Verluste ihm große Menschlichkeit und Einfühlungsgabe verliehen haben. Ich werde seine Freundschaft mehr vermissen, als ich sagen kann, aber mein Verlust ist nichts im Vergleich zu dem der Zaubererwelt. Dass er der anregendste und beliebteste aller Schulleiter von Hogwarts war, steht außer Frage. Er starb, wie er lebte: stets dem größeren Wohl verpflichtet und bis zu seiner letzten Stunde gerne bereit, einem kleinen Jungen mit Drachenpocken die Hand zu reichen, wie an dem Tag, als ich ihn kennen lernte.

Harry hörte auf zu lesen, betrachtete aber weiter das Bild zu dem Nachruf. Dumbledore zeigte sein vertrautes, freundliches Lächeln, doch wie er da über die Halbmondgläser seiner Brille spähte, erweckte er sogar auf dem Zeitungspapier den Eindruck, als würde er Harry röntgen, dessen Trauer sich mit einem Gefühl von Demütigung vermischte.

Er hatte geglaubt, Dumbledore ziemlich gut zu kennen, doch seit er diesen Nachruf gelesen hatte, musste er sich zwangsläufig eingestehen, dass er ihn fast gar nicht gekannt hatte. Nicht ein einziges Mal hatte er sich Gedanken über Dumbledores Kindheit oder Jugend gemacht; es war, als wäre er schon so auf die Welt gekommen, wie Harry ihn gekannt hatte, ehrwürdig und silberhaarig und alt. Sich Dumbledore als Teenager vorzustellen war einfach abstrus, gerade so, als wollte man sich eine dumme Hermine oder einen netten Knallrümpfigen Kröter vorstellen.

Er hatte nie daran gedacht, Dumbledore über seine Vergangenheit zu befragen. Dabei wäre er sich zweifellos komisch vorgekommen, ja sogar aufdringlich, aber es war immerhin allgemein bekannt gewesen, dass Dumbledore jenes legendäre Duell mit Grindelwald ausgetragen hatte, und Harry war es nicht in den Sinn gekommen, Dumbledore danach zu fragen, wie es gewesen war, und auch nicht nach seinen anderen berühmten Taten.

Nein, sie hatten stets über Harry gesprochen, über Harrys Vergangenheit, über Harrys Zukunft, über Harrys Pläne ... und obwohl Harrys eigene Zukunft so gefährlich und unsicher war, schien es ihm jetzt, dass er unwiederbringliche Gelegenheiten verpasst hatte, als es ihm nicht eingefallen war, Dumbledore mehr über ihn selbst zu befragen, auch wenn die einzige persönliche Frage, die er seinem Schulleiter je gestellt hatte, vermutlich auch die einzige war, die nicht aufrichtig beantwortet worden war:

»Was sehen Sie, wenn Sie in den Spiegel schauen?«

»Ich? Ich sehe mich dastehen, ein Paar dicke Wollsocken in der Hand haltend. «

Nachdem Harry einige Minuten gegrübelt hatte, riss er den Nachruf aus dem Propheten heraus, faltete ihn vorsichtig zusammen und steckte ihn in den ersten Band von Praktische defensive Magie und ihr Einsatz gegen die dunklen Künste. Dann warf er den Rest der Zeitung zum Müll, drehte sich um und nahm sein Zimmer in Augenschein. Es war jetzt viel ordentlicher.

Aufzuräumen waren nur noch der neue Tagesprophet, der nach wie vor auf dem Bett lag, und das Stück des zerbrochenen Spiegels obenauf.

Harry durchquerte das Zimmer, ließ die Spiegelscherbe vom neuen Propheten gleiten und schlug die Zeitung auf. Als er am frühen Morgen der Zustelleule die Zeitungsrolle abgenommen hatte, hatte er nur kurz auf die Schlagzeile geschaut und die Zeitung dann beiseitegeworfen, nachdem er bemerkt hatte, dass es nicht um Voldemort ging. Harry war sicher, dass das Ministerium den Propheten unter Druck setzte, Nachrichten über Voldemort zurückzuhalten. Deshalb sah er erst jetzt, was ihm entgangen war.

Auf der unteren Hälfte der Titelseite stand eine kleinere Schlagzeile, darunter ein Bild von Dumbledore, auf dem er mit gequältem Gesichtsausdruck einherschritt:

DUMBLEDORE – ENDLICH DIE WAHRHEIT?

Nächste Woche bringen wir die schockierende Geschichte des makelbehafteten Genius, den viele für den größten Zauberer seiner Generation halten. Rita Kimmkorn demontiert das weit verbreitete Image der ehrwürdigen, silberbärtigen Weisheit und enthüllt die gestörte Kindheit, die gesetzlose Jugend, die lebenslangen Fehden und die bedrückenden Geheimnisse, die Dumbledore mit ins Grab nahm. WARUM war der Mann, der schon als Zaubereiminister gehandelt wurde, damit zufrieden, ein bloßer Schulleiter zu bleiben? WAS war der wirkliche Zweck der geheimen Organisation mit dem Namen Orden des Phönix? WIE ist Dumbledore tatsächlich ums Leben gekommen ?

Die Antworten auf diese und viele weitere Fragen ergründet die sensationelle neue Biographie Leben und Lügen des Albus Dumbledore von Rita Kimmkorn, im Exklusivinterview mit Betty Braithwaite im Innenteil auf Seite 13.

Harry riss die Zeitung auf und blätterte auf Seite dreizehn. Über dem Artikel war ein Bild, das ein weiteres vertrautes Gesicht zeigte: eine Frau mit juwelenbesetzter Brille und kunstvoll gelocktem blondem Haar, die ihre Zähne bleckte, was offenbar ein gewinnendes Lächeln darstellen sollte, und mit den Fingern zu ihm hochschnippte. Harry gab sich alle Mühe, dieses Ekel erregende Bild nicht zu beachten, und las weiter.

In natura ist Rita Kimmkorn viel herzlicher und sanfter, als die berüchtigten bösen Porträts aus ihrer Feder vielleicht vermuten lassen. Sie begrüßt mich im Flur ihrer gemütlichen Wohnung und führt mich direkt in die Küche zu einer Tasse Tee, einem Stück Früchtekuchen und selbstverständlich zu einem dampfenden Bottich mit neuestem Klatsch.

»Nun, Dumbledore ist natürlich ein Traum für jeden Biographen«, sagt Kimmkorn. »Ein so langes, prall gefülltes Leben. Ich bin sicher, mein Buch wird das erste von sehr, sehr vielen sein.«

Kimmkorn hat zweifellos schnell geschaltet. Ihr neunhundertseitiges Buch war bereits vier Wochen nach Dumbledores mysteriösem Tod im Juni abgeschlossen. Ich frage sie, wie sie diesen superschnellen Kraftakt geschafft hat.

»Oh, wenn man so lange Journalistin ist wie ich, geht es einem in Fleisch und Blut über, unter Termindruck zu arbeiten. Ich wusste, dass die magische Welt darauf brannte, die ganze Geschichte zu erfahren, und ich wollte die Erste sein, die dieses Bedürfnis befriedigt.«

Ich erwähne die jüngsten, überall publizierten Bemerkungen von Elphias Doge, dem Sonderberater des Zaubergamots und langjährigen Freund von Albus Dumbledore, wonach »Kimmkorns Buch weniger Fakten enthält als eine Schokofroschkarte«.

Kimmkorn wirft den Kopf zurück und lacht.

»Unser lieber Dodgy! Ich weiß noch, wie ich ihn vor ein paar Jahren zu den Rechten der Wassermenschen interviewt habe, den Guten. Völlig plemplem, schien zu glauben, wir würden auf dem Grund von Lake Windermere sitzen, sagte andauernd zu mir, ich solle mich vor den Forellen in Acht nehmen.«

Und doch fanden Elphias Doges Vorwürfe, das Buch sei voller Fehler, vielerorts Unterstützung. Meint Kimmkorn wirklich, dass vier kurze Wochen ausreichend waren, um ein umfassendes Bild von Dumbledores langem und außergewöhnlichem Leben zu erstellen?

»Ach, meine Liebe«, strahlt Kimmkorn und klopft mir liebevoll auf die Finger, »Sie wissen genauso gut wie ich, wie viele Informationen ein dicker Sack Galleonen, die Weigerung, ein Nein hinzunehmen, und eine hübsche scharfe Flotte-Schreibe-Feder hervorbringen können! Die Leute standen ohnehin Schlange, um Dumbledore mit Dreck zu bewerfen. Wissen Sie, nicht alle hielten ihn für so wunderbar – er ist auf furchtbar viele wichtige Zehen getreten. Aber der alte Dussel Doge kann von seinem hohen Hippogreif runterkommen, denn ich hatte Zugang zu einer Quelle, für die die meisten Journalisten ihre Zauberstäbe eintauschen würden, sie hat sich nie zuvor in der Öffentlichkeit geäußert und stand Dumbledore in der turbulentesten und beunruhigendsten Phase seiner Jugend nahe.«

Die Wellen, die Kimmkorns Biographie schon vor der Veröffentlichung schlägt, lassen zweifellos vermuten, dass diejenigen ihr blaues Wunder erleben werden, die glauben, dass Dumbledore ein untadeliges Leben geführt hat. Was waren die größten Überraschungen, die sie aufgedeckt hat, frage ich.

»Nun mal langsam, Betty, ich werde doch nicht alle Highlights verraten, ehe jemand das Buch gekauft hat!«, lacht Kimmkorn. »Aber ich kann versprechen, dass all denen, die immer noch denken, Dumbledore war so unschuldig weiß wie sein Bart, ein böses Erwachen blüht! Ich sage nur so viel, dass niemand, der ihn gegen Du-weißt-schon-wen wüten gehört hat, sich hätte träumen lassen, dass er selbst sich in seiner Jugend an den dunklen Künsten versucht hat! Und für einen Zauberer, der sich in seinen späteren Jahren kontinuierlich für Toleranz einsetzte, verhielt er sich, als er noch jünger war, nicht gerade aufgeschlossen. Ja, Albus Dumbledore hatte eine äußerst düstere Vergangenheit, ganz zu schweigen von dieser mehr als zweifelhaften Familie, über die er mit großer Anstrengung den Mantel des Schweigens breiten wollte.«

Ich frage Kimmkorn, ob sie Dumbledores Bruder Aberforth meint, dessen Verurteilung durch den Zaubergamot wegen Missbrauchs von Magie vor fünfzehn Jahren einen kleinen Skandal ausgelöst hat.

»Oh, Aberforth ist nur die Spitze des Misthaufens«, lacht Kimmkorn.

»Nein, nein, ich rede über viel Schlimmeres als einen Bruder, der eine Schwäche dafür hat, mit Ziegen herumzuspielen, sogar über noch Schlimmeres als den Muggel verstümmelnden Vater – Dumbledore konnte sowieso keinem von beiden den Mund verbieten, sie wurden alle zwei vom Zaubergamot angeklagt. Nein, es sind die Mutter und die Schwester, die meine Neugierde weckten, und als ich ein wenig nachschürfte, stieß ich auf ein ausgemachtes Nest an Niedertracht – aber, wie gesagt, um Genaueres zu erfahren, werden Sie auf Kapitel neun bis zwölf warten müssen. Im Augenblick kann ich nur verraten, dass es kein Wunder ist, dass Dumbledore nie darüber sprach, wie er sich die Nase gebrochen hat.«

Selbst wenn die Familie Leichen im Keller hat, will Kimmkorn etwa den genialen Geist in Abrede stellen, der zu Dumbledores vielen magischen Entdeckungen geführt hat ?

»Er hatte Köpfchen«, räumt sie ein, »obwohl viele inzwischen bezweifeln, dass er wirklich das gesamte Verdienst für all seine angeblichen Erfolge beanspruchen konnte. Wie ich in Kapitel sechzehn zeige, behauptet Ivor Dillonsby, dass er bereits acht Anwendungen von Drachenblut entdeckt hatte, als Dumbledore sich seine Unterlagen

gt;ausliehlt;.«

Aber die Bedeutung einiger der Leistungen Dumbledores lässt sich doch nicht bestreiten, werfe ich ein. Was ist mit seinem berühmten Sieg über Grindelwald?

»Oh, nun, ich bin froh, dass Sie Grindelwald erwähnen«, sagt Kimmkorn mit einem unwiderstehlichen Lächeln. »Ich fürchte, wer wegen Dumbledores spektakulärem Sieg feuchte Augen bekommt, muss sich auf eine Bombe gefasst machen -besser gesagt auf eine Stinkbombe. Wirklich eine sehr schmutzige Angelegenheit. Ich will nur eins sagen, seien Sie nicht so sicher, dass es das große und legendäre Duell wirklich gab. Wenn man mein Buch gelesen hat, wird man vielleicht den Schluss ziehen müssen, dass Grindelwald einfach ein weißes Taschentuch aus der Spitze seines Zauberstabs heraufbeschwor und sich widerstandslos abführen ließ.«

Kimmkorn will nichts weiter zu diesem spannenden Thema preisgeben, daher wenden wir uns stattdessen der Beziehung zu, die ihre Leser zweifellos mehr als jede andere fasziniert.

»O ja«, sagt Kimmkorn lebhaft nickend. »Ich widme der ganzen Potter-Dumbledore-Beziehung ein komplettes Kapitel. Man hat sie als ungesund bezeichnet, sogar als unheilvoll. Auch hier werden Ihre Leser mein Buch kaufen müssen, um die ganze Geschichte zu erfahren, aber es steht außer Frage, dass Dumbledore von Anfang an ein unnatürliches Interesse an Potter zeigte. Ob das wirklich im besten Interesse des Jungen lag – nun, wir werden sehen. Es ist natürlich ein offenes Geheimnis, dass Potter eine überaus schwierige Jugend hatte.«

Ich frage, ob Kimmkorn immer noch mit Harry Potter Kontakt hat, mit dem sie letztes Jahr ein so berühmtes Interview geführt hat: ein bahnbrechender Beitrag, in dem Potter exklusiv von seiner Überzeugung sprach, dass Du-weißt-schon-wer zurückgekehrt sei.

»O ja, wir haben einen guten Draht zueinander«, sagt Kimmkorn. »Der arme Potter hat kaum echte Freunde, und wir haben uns zu einem Zeitpunkt kennen gelernt, als ihn das Leben auf eine harte Probe stellte – beim Trimagischen Turnier. Ich gehöre wahrscheinlich zu den ganz wenigen Personen auf der Welt, die sagen können, dass sie den echten Harry Potter kennen.«

Was uns elegant zu den vielen Gerüchten führt, die nach wie vor über Dumbledores letzte Stunden kursieren. Glaubt Kimmkorn, dass Potter dabei war, als Dumbledore starb?

»Nun, ich will nicht zu viel sagen – es steht alles im Buch –, aber Augenzeugen auf Schloss Hogwarts sahen Potter von dem Ort des Geschehens wegrennen, kurz nachdem Dumbledore stürzte, sprang oder gestoßen wurde. Potter hat später Severus Snape belastet, einen Mann, gegen den er bekanntermaßen einen Groll hegt. Ist alles so, wie es scheint?

Das muss die magische Gemeinschaft entscheiden – sobald sie mein Buch gelesen hat.«

Nach dieser interessanten Bemerkung verabschiede ich mich. Ohne jeden Zweifel ist aus Kimmkorns Feder ein Buch geflossen, das augenblicklich zum Bestseller werden wird. Das Heer von Dumbledores Bewunderern kann unterdessen durchaus zittern vor dem, was bald über ihren Helden ans Licht kommen wird.

Harry hatte den Artikel zu Ende gelesen, starrte aber weiterhin verständnislos auf das Blatt. Abscheu und Wut stiegen in ihm hoch, als ob er sich übergeben müsste; er knüllte die Zeitung zusammen und warf sie mit aller Kraft gegen die Wand, wo sie sich zum Rest des Mülls gesellte, der sich rund um seinen überquellenden Papierkorb häufte.

Er ging ziellos im Zimmer umher, öffnete leere Schubladen und nahm Bücher zur Hand, nur um sie wieder zurück auf ihren Stapel zu legen, war sich kaum bewusst, was er tat, während wahllos Sätze aus Ritas Artikel durch seinen Kopf dröhnten: der ganzen Potter-Dumbledore-Beziehung ein komplettes Kapitel... Man hat sie als ungesund bezeichnet, sogar als unheilvoll... dass er selbst sich in seiner Jugend an den dunklen Künsten versucht hat... ich hatte Zugang zu einer Quelle, für die die meisten Journalisten ihre Zauberstäbe eintauschen würden ...

»Lügen!«, brüllte Harry, und durch das Fenster sah er, wie der Nachbar von nebenan, der gerade innegehalten hatte, um seinen Rasenmäher neu anzuwerfen, nervös aufblickte.

Harry setzte sich ungestüm auf das Bett. Das Bruchstück des Spiegels hüpfte von ihm weg; er hob es auf, drehte es zwischen den Fingern und dachte nach, dachte unablässig an Dumbledore und die Lügen, mit denen ihn Rita Kimmkorn verleumdete ...

Ein hellblauer Blitz. Harry erstarrte, sein Finger mit der Schnittwunde fuhr wieder über die gezackte Kante des Spiegels. Er hatte es sich eingebildet, ganz sicher. Er warf einen Blick über seine Schulter, aber die Wand hatte eine widerwärtige Pfirsichfarbe, ganz nach Tante Petunias Geschmack: Da war nichts Blaues, was der Spiegel hätte reflektieren können. Er starrte erneut in die Scherbe und sah nur sein eigenes, hellgrünes Auge, das zu ihm zurückblickte.

Er hatte es sich eingebildet, eine andere Erklärung gab es nicht; hatte es sich eingebildet, weil er an seinen verstorbenen Schulleiter gedacht hatte.

Denn eins war sicher: dass Albus Dumbledores hellblaue Augen ihn nie mehr durchbohren würden.