"Das Schlangenschwert" - читать интересную книгу автора (Lukianenko Sergej)

Kapitel 3

Einige Minuten lang stand ich einfach nur unter dem Raumschiff, gerade so, dass es mich ein wenig verdeckte, und schaute in den Himmel. Mir war ziemlich unheimlich zumute.

Hier gab es keine Kuppel. Ich hatte keine Atemschutzmaske vor dem Gesicht. Ich konnte atmen und einfach so in den Himmel schauen.

Er zeigte sich in einer kräftig blauen Farbe, die Sonne war gelb. Nachts sah man bestimmt Tausende von Sternen wie in den Filmen über die Erde. Die Luft roch wie in einer Orangerie — und das, obwohl ringsherum keine Bäume wuchsen, sondern lediglich Betonplatten, auf denen Raumschiffe standen, zu sehen waren: Gütertransporter, kleinere Raumschiffe und Militärraumschiffe. Es schienen auch einige fremde Raumschiffe darunter zu sein, aber sie standen so weit entfernt, dass ich mir da nicht sicher war.

In ungefähr drei Kilometer Entfernung glänzten die Gebäude des Kosmodroms wie Gold. Schöne Kuppeln, Türme, alles aus goldähnlichem Metall, durchsichtigem Glas und weißem Stein. Nicht so wie bei uns, wo sich alle Gebäude ähnelten, da sie aus Standardbauteilen errichtet wurden.

Ich schaute auf das Kosmodrom und begann langsam meine Blamage zu vergessen.

Ja, ich hatte Glück. Weil die meisten Menschen trotz allem gut sind. Bei uns und auf anderen Planeten. Außerdem hatte ich Geld und einen Pass des Imperiums in der Tasche und auf Neu- Kuweit gab es ein vereinfachtes Verfahren für die Erlangung der Aufenthaltsgenehmigung.

Ich fasste den Koffer bequemer und ging direkt aufs Kosmodrom zu.

Es lief sich einfach, und mir schien, als ob der Boden meine Schuhsohlen wie eine Feder abstoßen würde. Die Gravitation entsprach sicherlich der auf der Erde, war vielleicht sogar geringer. Bei uns auf Karijer betrug sie 1,2 Standardeinheiten.

Zeitweise rannte ich sogar. Vor Freude. Mich überholte ein riesiger Containertransporter, der noch größer war als die Kipper auf Karijer. Ein dunkelhäutiger und langhaariger junger Mann lehnte sich aus dem Fahrerhaus und schrie etwas.

Ich winkte ihm zu.

IcherreichtegenauindemAugenblickdas Abfertigungsgebäude, als einige Passagierbusse an den riesigen elektrischen Türen des Terminals vorfuhren. Die lärmende Menge — kaum jemand sprach Lingua, fast alle eine fürchterlich entstellte Variante des Englischen — strömte aus den Bussen. Einige Passagiere zogen niedliche zylindrische Container mit Gravitationsaufhängung hinter sich her. Darin ruhten ihre Frauen, Töchter oder Sekretärinnen, die noch nicht aus der Anabiose erwacht waren… Ich wurde mehrfach angerempelt, wofür man sich entschuldigte. Als ich jemanden mit meinem Koffer anstieß, bat ich ebenfalls um Entschuldigung.

Es gab keinerlei Schwierigkeiten oder Anweisungen. Die Menge teilte sich in ein Dutzend kurzer Schlangen und näherte sich schnell den Kontrollstellen. Ich schloss mich einer der Gruppen an und hielt wie alle meinen Pass bereit. Der Scanner leuchtete grün auf und ich betrat die Zollabfertigung. Das war ein riesiger Saal mit Kristallleuchtern an der Decke — kleine Räume waren hier wohl nicht üblich — und zwei Dutzend Personen in dunkelgrüner Uniform. Erneut bildeten sich kurze Schlangen.

»Waffen, Drogen, Kampfimplantate, potenziell gefährliche veränderte Lebensmittel, Gegenstände mit doppelter Verwendungsmöglichkeit?«, fragte mich lächelnd eine junge Zöllnerin.

»Nein, nichts.«

»Herzlich willkommen auf Neu-Kuweit!«

Und ich trat in die Halle des Kosmodroms hinaus. Mir wurde schwindlig von den neuen Eindrücken. Hier befanden sich Tausende Menschen — ein Teil in Uniform, offensichtlich die Mitarbeiter, die restlichen vermutlich Passagiere. Diese waren grell gekleidet, aufgeregt und in Eile.

Ich musste mich erst ein wenig beruhigen. Auf alle Fälle wollte ich etwas essen. Natürlich nicht im Restaurant, sondern in einer bescheideneren Einrichtung.

Bis ich im Souterrain ein kleines Café fand, dessen Preise nicht gleich Entsetzen hervorriefen, hatte ich das ganze Gebäude durchstreift. Hier verkehrte hauptsächlich das einfache Personal. Man schaute mich verwundert an, aber niemand sagte etwas. Ich wählte ein Beefsteak mit Ei und ein Glas Saft, der sich zwar Apfelsaft nannte, aber aus unerfindlichen Gründen eine bläuliche Farbe hatte, und ging zu einem der Tischchen. Dort standen zwei Wachleute mit einer Waffe am Gürtel und eingeschalteten Funkgeräten, aus denen Gesprächsfetzen tönten. Sie waren so in ihr Gespräch vertieft, dass sie mich nicht beachteten:

»Dort war niemand und dort konnte auch niemand sein. Den Fahrer sollte man auf Drogen überprüfen.«

»Gibt es nicht genügend Idioten?«

»Drei Kilometer zu Fuß über die Landebahn laufen? Und wohin ist er danach verschwunden?«

Die Funkgeräte der Wachmänner begannen synchron zu knattern, jemand befahl irgendetwas in einer unbekannten gutturalen Sprache. Sie ließen ihre angefangenen Hamburger liegen und liefen aus dem Café. Ich erstarrte mit dem Glas in der Hand.

Es ging um mich. Es war nicht erlaubt, die Landebahn zu betreten. Wenn ich mein Gehirn nur etwas angestrengt hätte, wäre mir das klar geworden… dort, wo ich fröhlich dahergeschritten war und mein Köfferchen schwenkte, konnte jederzeit ein Raumschiff landen.

Es war klar, dass niemand bei der Ausführung des Landemanövers kurz vor dem Aufsetzen ein Risiko eingegangen wäre. Es hätte mich auf dem Beton breit geschmiert.

Ich Idiot…

Das Beefsteak wollte nicht rutschen. Trotzdem kaute ich hastig das Essen, trank den sauren Saft dazu und lief schnell aus dem Café. Vielleicht hatte mich der Wachdienst gesucht, dann aber aufgehört, weil sie den Containerfahrer für übergeschnappt hielten. Aber vielleicht kamen sie auch darauf, dass ich mich zufällig unter die Touristen aus dem zweiten Raumschiff gemischt hatte.

Ich musste so schnell wie möglich aus dem Kosmodrom weg!

Hier gab es sicherlich eine Art öffentlichen Personenverkehr. Busse oder Bahnen. Ich war aber dermaßen in Panik, dass ich zum Taxistand ging. Hundert grell orange Schienentaxis warteten längs der Einstiegsrampe, die kurze Warteschlange verteilte sich diszipliniert in die bereitstehenden Autos. In der Nähe war auch eine Flyer-Station, aber ich wollte kein Risiko eingehen. Das war sicher zu teuer. Ich stellte mich an und schaute nach einigen Minuten in ein Taxifenster.

Der Fahrer war hellhäutig und freundlich.

»Ich muss in die Stadt, in ein Hotel…«, murmelte ich.

»Steig ein!« Er sprach Lingua mit Akzent, aber, so schien mir, nicht wie die hiesigen Bewohner.

»Wie viel wird das kosten…«

»Steig schon ein!«

Ich bemerkte, dass ich die Schlange aufhielt und setzte mich in den Fond. Das Auto wendete zur Schnellstraße.

Ich drehte mich um und schaute auf die Kuppeln des Kosmodroms. Geschafft…

»Also, mein Junge, wohin willst du?«

»Ich suche ein Hotel«, antwortete ich schnell, »gut, aber preiswert.«

»Was ist die Hauptsache?«, fragte mich der Fahrer ernsthaft.

»Der Preis…«

»Alles klar. Dann lohnt es sich für dich nicht, nach Agrabad zu fahren. Neu-Kuweit ist ein teurer Planet, die Hauptstadt desto mehr. Es gibt einige Motels mit gemäßigten Preisen in der Nähe des Kosmodroms. Dort wohnen diejenigen, die zum Beispiel auf eine Aufenthaltsgenehmigung warten. Diese Leute sind friedlich und vermeiden jeglichen Konflikt mit den Behörden.«

»Genau das ist das Richtige für mich.«

Er schaute mich aufmerksam an.

»Woher kommst du, Junge?«

»Karijer.«

»Heißt der Planet so?«

»Hm.«

»Ein komischer Name…«

Das Auto befand sich auf einer breiten achtspurigen Straße. Trotzdem war der Verkehr dicht. Auf beiden Seiten der Trasse zogen sich grüne Wiesen dahin. Sie waren, so schien mir zumindest, nicht etwa mit etwas Nützlichem bestellt, sondern wuchsen einfach wild. Wie im Kino!

»Hast du vor, die Staatsbürgerschaft zu erwerben?«, interessierte sich der Fahrer.

»Ja.«

»Das ist machbar«, stimmte er zu. »Ich bin auch nicht von hier. El-Guess… hast du davon gehört?«

»Nein«, bekannte ich.

»Das ist auch so ein Loch. Sicher wie dein Karijer. Das heißt, jetzt hast du ein gewöhnliches Touristenvisum mit unbegrenzter Gültigkeit, richtig?«

»J-ja, doch.«

»Um eine Arbeitserlaubnis zu erhalten, benötigst du eine Aufenthaltsgenehmigung. Wenn du dich im Motel eingerichtet hast, dann beschäftige dich mit dem Einwanderungsgesetz. Im Prinzip, wenn du nicht straffällig geworden und jung bist, einen anständigen Neuroshunt hast und mit der Beschneidung einverstanden bist…«

»Was?«

»Weißt du nicht, was das ist?«

»Das weiß ich, aber warum?«

»Ich habe ebenfalls darüber nachgedacht, warum.« Der Fahrer lachte. »Aber dann war es mir egal und ich war einverstanden. Glaube mir, das schadet deinem Intimleben nicht.«

Ich lächelte, aber egal war es mir nicht. Was für ein Blödsinn!

»Sagen Sie bitte, was gibt es hier für eine Sozialabgabe?«

»Was?« Dieses Mal war der Fahrer verblüfft.

»Die Bezahlung der Lebenserhaltungssysteme. Für die Luft…«

Er schüttelte den Kopf: »Atme, so viel du willst. Hier gibt es das nicht. Du hast aber eine miese Heimat, oder?«

Ich hob die Schultern.

»Also, lies dir das Gesetz durch, interessier dich für alles, sieh dich um, wie die Leute leben. Wenn dir alles zusagt, beantragst du die Staatsbürgerschaft. In einem halben bis einem Jahr bekommst du die Aufenthaltsgenehmigung. Die vollen Bürgerrechte erwirbst du nach deiner Verheiratung oder der Geburt eines Kindes oder der Adoption eines Staatsbürgers des Planeten oder wenn du von einem dieser Staatsbürger adoptiert wirst.« Er lachte wieder. »Letzteres ist bestimmt wahrscheinlicher.«

»Und wie viel Geld benötigt man, um hier ein halbes Jahr zu leben?«, fragte ich.

»Hm… als Minimum? Ein Dach über dem Kopf… zwanzig Piepen täglich im Motel. Für Ernährung genauso viel. Rechne selbst.«

Ich hatte es schon ausgerechnet. Und es gefiel mir nicht.

»Und Arbeit? Ist es einfach, eine Arbeit zu finden?«

»Das ist möglich«, machte mir der Fahrer Mut. »Der Planet ist reich und noch nicht vollständig erschlossen. Wenn du also die Aufenthaltsgenehmigung hast, kannst du loslegen.«

»Und ohne Aufenthaltsgenehmigung?«

»Versuch es gar nicht erst! Wenn sie dich bei der Arbeit erwischen — auch wenn es nur für Essen und Unterkunft ist -, wirst du sofort des Planeten verwiesen.«

Meinem Gesicht war sicherlich mein Entsetzen abzulesen.

»Probleme?«, erkundigte sich der Fahrer.

Ich nickte.

»Vielleicht hast du artistische Talente oder eine bemerkenswerte Stimme oder übersinnliche Fähigkeiten? Dann wird das Verfahren beschleunigt.«

Er machte sich nicht lustig, er versuchte ernsthaft, mir zu helfen.

»Nein…«

Der Fahrer holte Luft: »Ja, da steckst du in der Klemme. Und wenn du auf deinen Planeten zurückkehrst und dort genügend Geld verdienst?«

»Auf unserem Planeten sieht es schlecht aus mit Arbeit«, erklärte ich. »Wenn man in der Woche 20 Kredit verdient, ist das gutes Geld.«

»Oh…« Der Fahrer schüttelte verwundert den Kopf und schwieg.

»Wir haben ein gut entwickeltes Sozialsystem«, versuchte ich zu erklären, »Geld wird wenig ausgezahlt, dafür werden Lebensmittel, Kleidung, alle möglichen Dinge kostenlos verteilt.«

»EinebemerkenswerteVersionder Sklavenhaltergesellschaft«, rief der Fahrer aus, »gut ausgedacht. Wie hast du da noch Geld für ein Ticket sparen können?«

»Ich bin als Modul geflogen.«

Das Auto schlingerte und die Augen des Fahrers rundeten sich vor Erstaunen.

»Was? Junge, schwindelst du auch nicht?«

»Ich bin nicht lange geflogen. Lediglich zwei Zeitsprünge. Also ist mit meinem Gehirn alles in Ordnung.«

»Und? Bist du weggelaufen?«

»Nein, ich bekam die Erlaubnis zur Auflösung des Vertrags.«

Der Fahrer pfiff erstaunt: »Da hast du es mit sehr gutmütigen Leuten zu tun gehabt. Geh davon aus, dass du in der Imperiumslotterie gewonnen hast. Eine Chance aus tausend.«

»Eine aus zwanzig…«, verbesserte ich ihn automatisch.

»Nun ja, aus zwanzig, wenn du unsterblich bist. Es gewinnt jedes zwanzigste Los der Imperiumslotterie, aber jedes Los ist 5000 Jahre gültig. Rechne dir selbst aus, welche Chancen du in einhundert Jahren hast.«

Ich fiel in Schweigen.

»Hier ist ein anständiges Motel«, meinte der Fahrer und drehte sich zu mir um, »das, was du brauchst. 24 Kredit.«

Ich stritt natürlich nicht wegen des Preises. Ich zählte genau 24 Kredit ab.

»Eigentlich muss noch Trinkgeld gezahlt werden, zehn Prozent vom Fahrpreis«, erläuterte der Fahrer, »aber von dir nehme ich unter Berücksichtigung der Schwere der Lage nichts. Wir sind alle nur Menschen…«

»Ich stecke in der Klemme, stimmt’s?«, fragte ich.

»Es sieht ganz so aus, mein Freund. Viel Glück!«

Nachdem ich aus dem Taxi gestiegen war, blieb ich stehen und versuchte meine Gedanken zu ordnen. Vielleicht sollte ich nicht ins Motel gehen, sondern irgendwo im Wald leben wie in den Abenteuerbüchern? Geld nur für das billigste Essen ausgeben…

Aber ich wusste nicht, wie man im Wald überleben kann. Auf Karijer haben wir überhaupt keine Wälder.

Und schon ging ich zum Motel.

Es ähnelte am ehesten unserem Gemeinschaftspark, nur dass zwischen den Bäumen kleine Häuschen und Autos mit Campinganhängern sowie Wohnwagen verstreut standen. Einige Gebäude waren stabiler und größer, sicher das Café und die Verwaltung.

Der Erste, den ich im Motel traf, war ein Nichthumanoid.

Zuerst hatte ich das gar nicht mitbekommen. Es kam mir so vor, als ob mir ein Jugendlicher meines Alters entgegenkäme. Dann dachte ich, es wäre ein extrem kleinwüchsiger Erwachsener. Und fragte höflich: »Entschuldigen Sie bitte, wo kann ich hier ein Zimmer bekommen?«

Mein Gegenüber blieb stehen. Als einzige Kleidung trug er Shorts. Die Beine waren stark behaart und sahen beinahe so aus, als seien sie mit Fell bewachsen. Die Ohren waren klein, die Augen dafür groß.

Ein Halfling!

»Guten Tag, Menschenkind«, sagte er sehr klar und melodiös, »wenn du hier einziehen möchtest, musst du 40 Meter weit zurückgehen und dich in das Gebäude mit dem Schild ›Rezeption‹ wenden. Das dort vorhandene Personal wird auf alle deine Fragen antworten.«

Ich schluckte und nickte.

»Ich warte«, äußerte der Halfling erstaunt.

»D-danke…«

»Ich helfe gern«, antwortete der Halfling und entfernte sich. Ich glaubte sogar seinen Geruch zu spüren — leicht und angenehm, wie nach Blumen.

Vielleicht hatte er aber auch nur Kölnischwasser benutzt. Oder es duftete nach echten Blumen. Davon gab es hier viele; von den Düften war mir schon schwindlig.

Ich wartete ab, bis sich der Halfling entfernt hatte und lief vorsichtig zurück.

Die Einweisung erfolgte durch ein derartig sympathisches und nettes Mädchen, dass ich zeitweise alle meine traurigen Gedanken vergaß. Sie bemerkte sofort, dass ich von einem anderen Planeten kam. Wir unterhielten uns, ich erzählte vom Karijer, davon, dass ich eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen möchte, dafür aber eventuell das Geld nicht ausreichen würde. Letztendlich bekam ich ein Zimmer für lediglich 10 Kredit pro Tag. Zwar ganz am Ende des Motels, weit weg vom Weg, aber was machte das schon? Außerdem lud sie mir das Einwanderungsgesetz aus dem Netz, damit ich keine Ausgaben am Terminal im Zimmer hatte, das nämlich gebührenpflichtig war. Und sie bewirtete mich mit einer Tasse Tee.

Sie selber stammte von Neu-Kuweit, aber ihr Vater war auch eingewandert, erzählte sie. Von der Erde! Und obwohl sie erst 22 Jahre alt war, hatte sie bereits die Erde kennen gelernt — die Abschlussklassen auf dem College besuchen generell Erde, Edem oder Avalon. Das Mädchen hatte keine Komplexe, dass sie in Anabiose fliegen musste. Und wirklich, was ist denn so interessant an einem zweiwöchigen Flug im Zeittunnel? Bei ihnen nutzten sogar einige Jungs die Anabiose, um nicht sinnlos Zeit zu verlieren und so schnell wie möglich die Erde zu sehen. In der Heimat der Menschheit hatten sie London, Kairo, Jerusalem und Shitomir besucht — also alle berühmten historischen Plätze. Danach verbrachten sie und ihre Oma drei Tage in einer kleinen Odessaer Siedlung und gingen auf Löwenjagd. In der Siedlung waren Fremde nicht gern gesehen, es gab also genug Abenteuer, lächelte Sie.

Mit ihr hätte ich sicher noch einige Stunden verbracht, so interessant war es. Es kam aber ein neuer Übernachtungsgast, irgendeine langhaarige Missgeburt, und ich musste gehen. Ich bekam den Schlüssel und einen Prospekt des Motels mit einer detaillierten Karte, sodass ich mein Häuschen ohne Probleme finden konnte.

Es gefiel mir.

Ein schönes Holzbett mit sauberer Bettwäsche, ein Tisch, zwei Stühle und zwei Sessel, ein kleiner Videoscreen. Er war im Zimmerpreis inbegriffen und ich schaltete sofort auf den örtlichen Nachrichtensender. Durch das große Fenster konnte man fast das ganze Motel sehen. Das Häuschen stand auf einem Hügel. Unmittelbar hinter dem Haus begann der Zaun, danach kamen die Felder, dahinter waren die Hochhäuser der Hauptstadt zu erkennen. Die Luft roch sehr süß. Es konnte doch nicht sein, dass ich keinen Ausweg finden würde!

Es war mir gelungen, auf einen anderen Planeten zu fliegen. Ohne mich dabei in einen Zombie zu verwandeln. Ich hatte ein Dach über dem Kopf und etwas Geld in der Tasche.

Ich setzte mich an den Tisch und begann das Einwanderungsgesetz zu lesen. Alles war sehr richtig und vernünftig. Ich erfüllte alle Voraussetzungen — ich war jung, männlich, keine Vorstrafen… hatte lediglich die Landebahn betreten, war aber dabei nicht erwischt worden… Mir war natürlich eigenartig zumute, dass man eine Beschneidung »als Zeichen der Achtung der kulturellen und historischen Traditionen des Volkes« verlangte, aber wenn es sein musste… Außerdem waren hier drei Ehefrauen erlaubt. Ich hatte gehört, dass das auf vielen Planeten üblich sei, aber früher hatte ich eher abstrakt darüber nachgedacht. Jetzt sah es also ganz praktisch so aus, dass ich später drei Ehefrauen haben durfte. Eigenartig, sich das vorzustellen. Wenn Vater drei Ehefrauen gehabt hätte, wie hätte ich sie genannt? Tanten? Und auch Vater hätte sicherlich reichlich Probleme gehabt. Wenn eine Frau ein Geschenk bekommen hätte, wären die anderen beleidigt gewesen…

Dann las ich, dass nur 40 Prozent der Bevölkerung mehr als eine Ehefrau hätten, und beruhigte mich wieder. Nach einer Stunde hatte ich alle Formulare ausgefüllt. Ich aktivierte das Computerterminal und versandte meinen Antrag aufZuerkennungderStaatsbürgerschaftindas Einwanderungsministerium von Neu-Kuweit. In die Spalte für besondere Bemerkungen schrieb ich, dass ich sehr wenig Geld hätte und um »möglichst schnelle Bearbeitung meines Antrags« ersuchte. Die Anmerkung fand ich gelungen, ehrlich und würdevoll. Es war kein Herumjammern, ich erklärte lediglich die Situation.

Das Terminal erstellte mir eine Eingangsbestätigung mit der Bemerkung, dass der Antrag »in der vom Gesetz vorgegebenen Frist« bearbeitet würde. Mir wurde ebenfalls mitgeteilt, dass ich bis zur Entscheidung meiner Sache den Touristenstatus beibehielte und kein Recht auf Arbeit in der »legalen oder illegalen Wirtschaft Neu-Kuweits« hätte.

Danach warf ich mich aufs Bett und schaute mir die Nachrichten an. Hauptsächlich berichteten sie über das Leben auf dem Planeten und waren sehr interessant. Es ging zum Beispiel um den Besuch des Sultans auf einem »nördlichen Archipel«, wo der Bau eines gewaltigen Energiekomplexes geplant war. Gezeigt wurden verschneite Inseln, das kalte, dunkle Meer und der Sultan persönlich — gar nicht alt und mit einem klugen, ehrlichen Gesicht.

Ich schaute mir ungefähr dreißig Minuten lang die Nachrichten an und überzeugte mich davon, dass Neu-Kuweit wirklich ein herrlicher Planet war. Hier gab es Dschungel, aber keine sehr gefährlichen, Meere und Ozeane, Wüsten und Wälder. Nicht wie bei uns, wo das Komfortniveau 51 Prozent betrug. Außerdem wurde der festliche Abschluss des Hip-Hop- Festivals in Agrabad übertragen: Auf der Freiluftbühne vor einem luxuriösen Palast tanzten und sangen die Girls. Um sie herum schwebten bunte holographische Illuminationen, die Zuschauer klatschten in die Hände und sangen mit.

Es kamen auch galaktische Nachrichten. Darüber, dass ein gewisser Planet mit Namen Inej seine Kriegsflotte in einem Maße erweitert hatte, dass die vom Imperium genehmigte Größe überschritten wurde. Es wäre an der Zeit, dass sich die Administration der Erde sowie der Imperator selbst einmischten. Es ging um galaktische Rennen, bei denen klar die Mannschaft der Halflinge gewinnen würde, aber die beste Jacht vom Avalon, Kamelot, und andere fremde Raumschiffe um den zweiten Platz kämpften. Berichtet wurde über eine Beulenpestepidemie, die in irgendeiner kleinen Kolonie ausgebrochen war. Gezeigt wurden Raumschiffe des Quarantänedienstes des Imperiums, die den Planeten von der Außenwelt abschnitten und den Bewohnern das Verlassen des Planetenverwehrten,daesbisherkeine Behandlungsmöglichkeit für die Pest gab. Diese Krankheit verläuft tödlich und ist ansteckend für die Menschheit und fast alle fremden Rassen. Als auf dem Bildschirm Aufnahmen vom Planeten erschienen — überfüllte Krankenhäuser, überforderte Ärzte in hermetisch abgeschlossenen Schutzanzügen, Kranke, die von Geschwüren bedeckt waren: zuerst von einem einfachen, roten Ausschlag, dann von Pusteln, und dann beginnt der Körper zu zerfallen -, schaltete ich den Bildschirm ab. Wie eklig… Seit meiner Kindheit hatte ich Angst davor, an etwas Schlimmem und Unheilbarem zu erkranken. Natürlich findet sich gegen jede Krankheit ein Medikament, aber manchmal dauert das einige Jahre und in der Zwischenzeit sterben ganze Planeten aus. Daran wollte ich gar nicht erst denken, zumal mir sofort schien, dass auch meine Haut zu jucken anfing — das ist das erste Anzeichen der Pest.

Also verschloss ich das Häuschen und ging spazieren. Ich hatte ohnehin nichts zu tun und beschloss, Fremde anzuschauen. Denn wenn hier Halflinge waren, konnte es auch andere Außerirdische geben. Außer Menschen sah ich aber niemanden. Es wurde dunkel und alles begann sofort aufzuleben. Bei vielen Autos und Häuschen wurden Feuer entzündet oder Herdplatten aufgestellt und Essen zubereitet. Die Leute könnten sicher auch im Restaurant essen, aber selbst kochen ist interessanter. Ich besaß keine Lebensmittel, ging also ins Restaurant und bestellte mir Fleischsuppe, Gemüseragout und Apfelsinensaft. In einer Ecke des Restaurants spielte ein junger Mann leise Gitarre, die Kellnerin brachte ihm ab und zu ein Glas Wein, er trank und begann wieder mit dem Spiel. Alles in allem war es schön. Wie ein Feiertag!

Nur dass mein Rücken immer stärker wehtat. Warum bin ich auch so ein dummer Hypochonder? Wo hätte ich mich denn mit der Pest anstecken können? — Es war aber trotzdem sehr unangenehm.

Also trank ich meinen Saft aus und ging schlafen.

Am Himmel leuchteten schon die Sterne — sehr helle und strahlende, hier störte sie ja keine Kuppel. Ich ging und verdrehte mir den Hals auf der Suche nach bekannten Sternbildern, konnte mich aber nicht orientieren.

Wie herrlich es doch ist, dass ich hierhergekommen bin!, dachte ich immer wieder.

Und was die Mannschaft der Kljasma für nette Leute waren!

Wenn ich eines Tages reich wäre, würde ich sie auf jeden Fall suchen. Sie verkehrten ja zwischen verschiedenen Planeten, kämen also auch zu uns auf Neu-Kuweit. Ich würde sie alle in das beste Restaurant einladen und mich für das, was sie für mich getan haben, bedanken. Ich wurde gegen Morgen wach.

Rücken und Hände juckten fürchterlich, die Nase war verstopft, als ob ich erkältet wäre. Eine Minute lang lag ich unter der Decke und versuchte mir einzureden, dass das nur dumme Phantasien waren. Aber ich fürchtete mich mehr und mehr.

Dann stand ich auf, machte Licht und rannte ins Bad, wo ein großer Spiegel hing.

Hände und Bauch waren von einem kleinen roten Ausschlag übersät.

Als ich mich, halb tot vor Entsetzen, umdrehte, sah ich, dass der Ausschlag auf meinem Rücken große rote Flecke bildete.

Genauso wie in der Sendung.

»Nein!«, schrie ich. Ich wollte mich sogar kneifen, vielleicht träumte ich?

Aber ich war mir sicher, dass es kein Traum war.

Beulenpest.

Unheilbar!

Zwei Tage lang würde ich diese Flecken, einen unerträglichen Juckreiz, Schnupfen und Stechen in den Augen haben. Stimmt, die Augen brannten schon, als ob Sand hereingekommen wäre… Dann würden aus dem Ausschlag Pusteln und ich würde ansteckend. Und nach weiteren drei Tagen wäre ich tot.

Aber ich konnte mich doch nicht mit der Pest infiziert haben! Das war doch nicht möglich!

Der Planet mit der Epidemie ist sehr weit von Karijer entfernt!

Oder… Auf einmal kam mir in den Sinn, dass die Kljasma unser Erz eben dahin transportiert haben könnte. Und selbst wenn ich in der »Flasche« gelegen hätte, wäre das etwa ein Hindernis für eine Ansteckung gewesen? Noch dazu dieser Junge, das Modul Keol, hatte der sich nicht am Bauch gekratzt? Vielleicht hatte er mich angesteckt? Oder der Älteste? Bei allen äußert sich die Krankheit verschieden, bei mir könnte sie früher ausbrechen.

Das bedeutete also, dass meine Freunde von der Kljasma schon tot waren. Gut, dass sie Neu-Kuweit schon vorher verlassen hatten. Dann kamen ihre Leichen nicht in Quarantäne, niemand würde von mir erfahren und nach mir zu suchen…

Oder wäre es besser, wenn sie mich finden würden?

Ich würde sicherlich unverzüglich ins Krankenhaus gebracht. Sie würden mich auf die Isolierstation legen und mit der Behandlung beginnen… obwohl es keine Heilung gab. Dort, auf der Isolierstation, würde ich sterben. Das stand fest und war nicht mehr zu ändern.

Jetzt wusste ich, wie sich meine Eltern fühlten, als sie ihr Sterberecht in Anspruch genommen hatten. Eigentlich lebst du noch, aber du weißt schon genau, wann und wie du sterben wirst. Und das war schrecklich. Mir brach am ganzen Körper der Schweiß aus, entweder wegen der Krankheit oder aus Angst. Sogar die nackten Füße rutschten auf den glatten Bodenkacheln. Ich schleppte mich in die Duschkabine, ließ das Wasser laufen und hockte mich hin. Die kalten Wasserstrahlen trommelten auf den Rücken und er hörte endlich auf zu jucken…

Ich will nicht sterben!, dachte ich. Ausgerechnet jetzt, wo alles so gut läuft! Wo ich auf einen Planeten gekommen bin, der der schönste im ganzen Universum ist! Wo ich sogar eine gute Freundin gefunden habe! Wo mein Antrag auf Zuerkennung der Staatsbürgerschaft angenommen wurde!

Warum musste es so kommen? Warum?

Habe ich mich irgendwie schuldig gemacht? Wenn die Eltern mit der Arbeit Glück gehabt hätten, wären sie nicht gestorben. Wenn sie nicht gestorben wären, wäre ich kein Modul geworden! Ich habe doch niemals jemandem etwas Schlechtes getan. Also, etwas wirklich Schlechtes, denn eine zerschlagene Nase oder ein Virus, mit dem ich einen fremden Pocket-PC verseucht hatte, zählten wohl kaum…

Ich ging erst aus der Dusche, als ich völlig durchgefroren war. Erneut schaute ich mich im Spiegel an, als ob das Wasser den Ausschlag hätte wegspülen können.

Er war natürlich nicht verschwunden, erschien sogar noch ausgeprägter, da meine Haut blass vor Kälte war.

Ich werde sterben. Und werde alle im Umkreis anstecken. Weil ich keinen Arzt rufen und nicht in die Isolierstation gesteckt werden will. Ich habe doch mein ganzes Leben unter Kuppeln verbracht und lag zwei Wochen in der »Flasche«. Ich will nicht!

Aber wenn auf Neu-Kuweit jemand überlebt, wird man mich tausend Jahre lang verfluchen. Als feiges und dummes Kind, das sich selbst ansteckte und dann noch andere infizierte.

Sterben werden sowohl der selbstzufriedene Halfling als auch der Taxifahrer, der kein Trinkgeld von mir nahm, die Wachmänner, die mich auf dem Kosmodrom entwischen ließen, das Mädchen, dessen Vater von der Erde stammte, der junge Mann, der am Abend so gut Gitarre gespielt hatte…

Alles wegen mir.

Meine Eltern wollten doch auch leben. Sie hätten gemeinsam mit mir die Kuppel verlassen können und wir hätten noch drei oder vier Jahre gelebt. Aber für sie war es das Wichtigste, dass ich lange und glücklich leben würde. Deshalb opferten sie sich auf.

Und nun stellt sich heraus, dass wegen ihres Opfers ein ganzer Planet aussterben wird.

Weil ich ein Feigling und Egoist bin. Ich möchte nicht einmal einen Arzt rufen, will nicht in einer Zelle sterben…

Ich schaffte es, mich abzutrocknen, sehr vorsichtig, da die Haut unerträglich juckte. Zog Jeans an und setzte mich ans Terminal. Ich schaltete es ein und suchte bei den Hoteldienstleistungen den Notarzt.

Es gab hier keinen Arzt. Man wurde an den städtischen Dienst verwiesen, aber davor graute mir.

Daraufhin ging ich die Liste der Motelgäste durch, die ihre Daten freigegeben hatten. Hier erschien auch der Halfling — er hatte einen außerordentlich schwierigen und langen Namen -, eine Familie »Graf Petrow«, Touristen, Geschäftsreisende und Sportler, die zu einem Quadroballturnier angereist waren. Ärzte fand ich nicht.

Dafür gab es einen Menschen namens Stasj, der in der Spalte »Beruf« als »Raumschiffkapitän« geführt wurde.

Ein Kapitän sollte die ganze Gefahr der Situation erkennen können.

Ich wählte seine Nummer. Es war fünf Uhr morgens, draußen war es noch ganz dunkel, aber das war jetzt egal…

Der Kapitän meldete sich schnell. Auf dem Bildschirm erschienen ein halbdunkles Zimmer, ähnlich dem meinen, und ein hellhaariger Mensch von etwa vierzig Jahren. Er ähnelte irgendwie Glebs Vater. Als er mich erblickte, verzog der Kapitän das Gesicht und fragte vorwurfsvoll:

»Was sind das für Kindereien?«

»Sind Sie Kapitän Stasj?«, fragte ich.

»Ja.«

Sein Gesicht wurde sofort ernst, er verstand offensichtlich, dass ich ihn nicht zufällig und nicht aus Spaß angerufen hatte.

»Ich heiße Tikkirej. Ich wohne im gleichen Motel wie Sie. Bungalow 114.«

»Das sehe ich«, sagte der Kapitän, »und weiter?«

»Könnten… könnten Sie mir helfen?«

»Vielleicht. Was ist passiert?«

Es schien, als ob er nicht davon überzeugt wäre, dass ich einen ernsten Grund hätte, ihn in dieser Frühe zu wecken, und er sich nur aus Höflichkeit zurückhielt. Vielleicht sprudelte es deshalb sofort aus mir heraus:

»Kapitän Stasj, ich habe die Beulenpest. Sie wissen doch bestimmt, was in diesem Fall zu tun ist!«

»Was erzählst du für einen Unsinn, Tikkirej?«, erwiderte der Kapitän entschieden.

»Das ist kein Unsinn!«, schrie ich, sprang auf und ging zurück, damit er die roten Flecken auf meinem Körper sehen konnte. »Ich habe die Beulenpest! Das ist äußerst gefährlich!«

»Woher kommst du?«, wollte der Kapitän nach kurzem Überlegen wissen.

»Vom Karijer. Das ist ein Planet, auf dem Erz abgebaut wird. Ich bin als Modul auf dem Raumschiff Kljasma geflogen, dann landeten wir irgendwo, ohne dass ich ausstieg, kamen hierher, ich durfte den Vertrag lösen, aber wir waren sicherlich auf dem Planeten, wo die Epidemie…«

»Halt für eine Sekunde die Luft an«, erwiderte Stasj sehr ruhig. »Geh zum Bildschirm und sieh in die Kamera. Komm mit dem Gesicht ganz nahe.«

Das machte ich.

»Bleib in deinem Bungalow sitzen und geh nirgendwohin«, befahl Stasj nach einer Pause. »Ich komme gleich zu dir. Verstanden?«

»Ich bin sehr ansteckend«, meinte ich.

»Das habe ich schon gemerkt. Bleib, wo du bist.«