"Das Schlangenschwert" - читать интересную книгу автора (Lukianenko Sergej)Kapitel 4Der Kapitän kam nach rund fünf Minuten. Ich hatte vorab die Tür geöffnet, und als die Klingel ertönte, rief ich laut: »Herein!« Ich hatte erwartet, dass er einen Schutzanzug tragen würde, aber Kapitän Stasj hatte nicht einmal eine Uniform an, sondern ganz gewöhnliche Kleidung — Jeans und Hemd. Lediglich an seinem Gürtel befand sich eine Pistolentasche. »Stell dich hin, Tikkirej«, sagte Stasj, als er neben der Tür stand. Ich erhob mich. »Dreh mir den Rücken zu. Gut. Setz dich…« Völlig unbeeindruckt kam er zu mir, fasste mich ans Kinn, bewegte meinen Kopf und schaute mir aufmerksam in die Augen. Er fragte: »Hast du starken Schnupfen?« »Ja…« »Sag mir, Tikkirej, warst du bei eurem Arzt, bevor du das Raumschiff verlassen hast?« »Nein.« »Junge, was bist du dumm…«, meinte Stasj und begann zu lachen. Ich hätte nie gedachte, dass es unter Raumschiffkapitänen solche Sadisten geben würde! Er lachte mir direkt ins Gesicht, mir, der ich an der Pest starb! »Das ist unbegreiflich. Marsch, ins Bett!« Ich verstand gar nichts. Stasj aber holte aus seiner Tasche eine kleine Schachtel, nahm eine schon aufgezogene Einmalspritze heraus und wiederholte: »Leg dich jetzt hin und zieh die Hosen runter.« »Beulenpest ist unheilbar…«, flüsterte ich. »Du hast doch gar nicht die Pest!« Er hob mich leicht an und schubste mich ins Bett. »Na los. Wenn du dich schämst, dann halt die Hand davor, dann tut es aber doller weh.« »Was wollen Sie mir spritzen?« »Einen Immunmodulator.« Es war ihm offensichtlich lästig, mit mir zu streiten. Also bestand er darauf, dass ich mich hinlegte und die Hosen herunterließ, und stach mir die Spritze in die Pobacke. Ich jammerte. »Es wird ein bisschen brennen, aber das ist nicht zu ändern«, sagte Stasj und injizierte die Flüssigkeit. »Nimm es als Bezahlung für die eigene Dummheit.« »Und was habe ich?« »Eine Allergie. Eine ganz gewöhnliche Allergie auf einen neuen Planeten. Du bist ein wunderlicher Mensch, hast wohl keine Bücher gelesen, bist nie im Kino gewesen, hast den Unterricht geschwänzt? Bevor ein beliebiger Planet betreten werden kann, auch wenn es das Paradies wäre — und dann gerade, weil dort viel Grünzeug ist -, muss ein Immunmodulator eingenommen werden. Hier gibt es Blütenstaub, Staubpartikel, Sporen, Samen, Teilchen der fremden Biosphäre — dein Immunsystem spielt verrückt, verstehst du das?« Was bin ich nur für ein Idiot! Ich versteckte meinen Kopf im Kopfkissen, zog die Jeans hoch und schwieg. Am meisten auf der Welt wünschte ich mir jetzt, dass Kapitän Stasj gehen würde. Selbst wenn ich an dieser dämlichen Allergie sterben würde. Aber der Kapitän ging nicht weg. »Peinlich?«, wollte er wissen. Unwillkürlich nickte ich, obwohl das schwer ist, wenn man liegt und seinen Kopf im Kopfkissen vergräbt. »Ist schon gut, das kann jedem passieren«, sagte der Kapitän. »In einem historischen Roman las ich von einem fast identischen Vorfall. Nur dass dort ein Erwachsener zu viele Erdbeeren gegessen hatte, worauf sich sein Körper mit allergischem Ausschlag bedeckte. Er selber hielt es für eine spontane bedingt positive Mutation… Übrigens, du hättest wirklich sterben können. Wenn du noch länger gezögert hättest und es zu einem Lungenödem oder einem anaphylaktischen Schock gekommen wäre. Unangenehm, oder? Wegen irgendwelcher dummer Blütenstaub- oder Samenkörner!« »Verzeihen Sie mir…«, flüsterte ich. »Erzähl mir lieber von deinem Leben, Tikkirej vom Raumschiff Kljasma.« »Ich bin nicht von der Kljasma, ich bin nur zwei Wochen da mitgeflogen.« »Als Modul, hast du schon gesagt. Erzähl mal, wie du da hineingeraten bist und dich wieder herausgewunden hast.« Ich setzte mich auf das Bett. Die Spritze tat, ehrlich gesagt, gehörig weh, aber ich ließ mir nichts anmerken. Kapitän Stasj sah mich lächelnd an. Vielleicht fühlen das alle, vielleicht nur einige, aber ich wusste immer, ob sich ein Mensch wirklich für mich interessiert oder ob er sich nur aus Höflichkeit mit mir beschäftigt. Unsere Psychologielehrerin, bei der es immer interessant war, erklärte, dass es sich beim Erspüren der Stimmung eines Gesprächspartners um eine kompensatorische Verteidigungsfähigkeit der kindlichen Psyche handeln würde. Mit zunehmendem Alter verliere sich diese bei fast allen. Für Kapitän Stasj war es interessant. Der Kapitän der Kljasma, dessen Namen ich nicht einmal kannte, hätte mir auch eine Spritze gegeben, um mich zu retten, und wäre dann gegangen. Der Älteste der Kljasma hätte mir noch meine Fehler erläutert. Der Arzt Anton hätte mir sicher zugehört. Aber Stasj wollte sich mit mir unterhalten, obwohl er ziemlich sauer war, dass ich ihn so zeitig geweckt hatte. Und ich begann zu erzählen. Von Anfang an — also ab dem Zeitpunkt, als Papa entlassen wurde. Als ich Stasj das verfassungsmäßige Sterberecht eines jeden Bürgers erklärte, fluchte er, nahm eine Zigarette und begann zu rauchen. Bei uns auf Karijer rauchte kaum jemand: Dazu musste ein Zusatzbetrag für die Lebenserhaltung gezahlt werden. Bis zum Ende meines Berichts rauchte Stasj drei Zigaretten. Es sah so aus, als hätte ihn meine Erzählung sehr stark mitgenommen. »Weißt du, Tikkirej, anfangs dachte ich, dass es eine Falle wäre«, sagte er endlich. »Was für eine Falle?« »Dein Anruf. Wegen der Beulenpest. Es war klar, dass du keine Pest hast — die Pupillen waren nicht geweitet, du hattest keinen Ausschlag über den Augenbrauen… also, Angst vor Ansteckung hatte ich nicht. Und wieso hast du einen Unbekannten angerufen?« »Ich dachte mir, dass Sie als Raumschiffkapitän…« Stasj nickte. »Ja, natürlich. Aber das alles ähnelte sehr einer Falle oder einer Provokation. Ist schon gut, Tikkirej, lassen wir das. Es sieht ganz danach aus, als ob ich nach den letzten Tagen ziemlich ausgepowert bin und jetzt Angst vor meinem eigenen Schatten habe. Sag, was hast du nun vor?« Interessant, wer, und warum, sollte dem Kapitän eines Raumschiffs eine Falle stellen? Ich hatte davon noch nie gehört, entschied mich aber, nicht zu fragen. »Ich werde auf meine Aufenthaltsgenehmigung warten.« Er nickte. »Wissen Sie«, erläuterte ich, »wenn die Regierung von Neu- Kuweit wirklich an Einwanderern interessiert ist, dann müsste sie doch jeden Einzelfall differenziert betrachten? Stimmt’s? Und ich bin jung, gesund, habe einen guten Neuroshunt…« »Welchen hast du?« »Kreativ-Gigabit.« »Chipversion?« »Eins null eins.« »Tja…«, Stasj lächelte, »in eurem Schlangennest — du musst schon entschuldigen, mein Freund — kann es vielleicht als gut gelten. Das hier ist ein reicher Planet, der schon seit langem auf modernere Module umgestiegen ist. Ich habe auch einen Kreativ, aber Version eins null vier.« »Ist das die Wahrheit?« »Die absolute Wahrheit. Ich bin dagegen, den Schrott jedes Jahr auszuwechseln. Aber auf eine bevorzugte Bearbeitung deines Antrags würde ich nicht eben setzen, Tikkirej.« »Aber was soll ich machen, Kapitän Stasj?« Irgendwie spürte ich, dass ich ihm gegenüber völlig offen sein und um Rat fragen konnte, ohne mich schämen zu müssen. »Ich überlege, Tikkirej. Ich würde dir gern helfen, weiß aber im Augenblick noch nicht, wie sich meine eigenen Sachen entwickeln.« Er lächelte. »Hat sich das Jucken gelegt?« Überrascht stellte ich fest, dass es wirklich aufgehört hatte. »Ja!« »Gut. Ich muss jetzt los, Tikkirej. Wenn du mir Gesellschaft leisten möchtest, können wir gemeinsam frühstücken.« Er lächelte wieder. »Ich lade dich ein.« Ich lehnte natürlich nicht ab. Ich musste jetzt eisern sparen. Nach einer Stunde, Kapitän Stasj hatte das Motel bereits in eigener Sache verlassen, saß ich mit einer Tasse Kaffee auf der offenen Terrasse des Restaurants und beobachtete den Sonnenaufgang. Der Kapitän hatte mir empfohlen, einige Tage auf Säfte und frisches Obst zu verzichten. Selbstverständlich hielt ich mich daran. Außerdem schmeckten Tee und Kaffee hier besonders gut. Und zudem gab es keine Kuppel über dem Kopf… Den eigentlichen Sonnenaufgang konnte ich nicht sehen, der Wald störte. Es war aber trotzdem beeindruckend, wie der Himmel hell wurde, sich von Schwarz in Tiefblau färbte, wie die Sterne verblassten — alle außer den zwei, drei hellsten, die auch tagsüber zu sehen waren, wenn man genau hinschaute. Ab und an flogen Linienflugzeuge oder winzige Flyer in großer Höhe vorüber. Raumschiffe starteten mindestens einmal pro halbe Stunde. Ich hatte mich noch niemals so wohl gefühlt. Und die Hauptsache war, dass ich jetzt endgültig davon überzeugt war, dass ich immer und überall guten Menschen begegnen würde. Solchen, wie der Mannschaft der Kljasma oder Kapitän Stasj. Wie sollte ich da nicht mit meinen Problemen fertig werden? »He, kann ich mich zu dir setzen?« Ich wandte mich um und erblickte einen Jungen meines Alters, vielleicht etwas älter. Er stand da mit irgendeinem Getränk und schaute mich recht unfreundlich an. »Na sicher, setz dich.« Ich rückte sogar etwas meinen Stuhl, um ihm am Tisch Platz zu schaffen. »Hier ist der beste Platz, um den Sonnenaufgang zu beobachten«, erklärte der Junge, »hast du dich deshalb hierher gesetzt?« »Ja. Das ist also dein Platz?« »Meiner. Okay, bleib sitzen, ich habe ihn ja nicht gepachtet.« Wir beäugten uns vorsichtig. Bei Erwachsenen ist es einfach, herauszufinden, ob sie gut oder schlecht sind. Er jedoch war mein Altersgenosse und ähnelte überhaupt keinem meiner Freunde. Er war dunkel, dünn und sicher floss eine große Portion asiatischen Bluts in seinen Adern. Seine Frisur war sehr eigenartig, seitlich verschoben, sodass der Neuroshunt über dem rechten Ohr unbedeckt war. Bei uns war es umgekehrt: Alle verdeckten den Shunt mit den Haaren. Er trug einen weißen Anzug, als ob er gerade auf dem Weg ins Theater oder zu einer Versammlung wäre. »Wie heißt du?«, fragte der Junge. »Tikkirej. Oder Tik, oder manchmal Kir. Aber das ist für Freunde.« Er dachte einen Moment lang nach. Dann sagte er: »Ich heiße Lion. Nicht Leon, sondern Lion. Kapiert?« »Kapiert.« Wir verstummten. Die Kellnerin ahnte, dass wir nichts mehr bestellen würden und verschwand in den Tiefen des Restaurants. »Kommst du von hier?«, wollte Lion wissen. »Nein, ich bin erst gestern gelandet. Ich komme vom Karijer. Das ist ein Erzplanet.« Lion sagte lächelnd: »Und ich bin schon seit einer Woche hier. Wir kommen von Service-7, das ist eigentlich gar kein Planet, sondern eine Raumstation im offenen intergalaktischen Raum. Dort gibt es eine bequeme Zeittunnelkreuzung, und deshalb wurde beschlossen, eine Raumstation zu bauen! Die nächste Kolonie von uns ist Dshabber in acht Lichtjahren Entfernung.« »Oho!«, rief ich aus. »Meine Eltern haben beschlossen, dass es an der Zeit wäre, auf einen Planeten umzuziehen und nicht weiter als Kosmonauten zu leben. Ich habe noch eine jüngere Schwester und einen Bruder. Wenn du sie ärgerst, poliere ich dir die Fresse!« »Aber ich habe doch gar nicht vor, sie zu ärgern!« »Ich sage das für den Fall der Fälle«, teilte Lion mit, »damit du Bescheid weißt. Hast du Geschwister?« »Nein.« »Und was sind deine Eltern? Mein Vater ist Ingenieur, meine Mutter Programmiererin.« »Meine Eltern sind gestorben.« Ich ging nicht ins Detail. »Oh, entschuldige«, Lion änderte sofort seinen Ton. »Und mit wem bist du hier?« »Allein.« »Hast du etwa eine Staatsbürgerschaft?« »Ja, die des Imperiums.« Es sah ganz so aus, als ob er mich ein wenig beneidete. Nur warum? Bei uns erhält man die Staatsbürgerschaft, sobald der Verbrauch von Sauerstoff und Nahrungsmitteln die Hälfte der Erwachsenenration beträgt. »Und du möchtest nach Neu-Kuweit umziehen?« »Ja.« »Prima«, Lion streckte mir seine Hand entgegen. »Wir verzichten darauf, uns zu schlagen, Tikkirej, einverstanden?« »Einverstanden.« Ich war verwirrt. »Wäre das nötig gewesen?« »Na, zum Kennenlernen. Bei uns ist das so üblich… war das so üblich. Aber wir sind ja auf einem neuen Planeten.« Wir fingen beide an zu lächeln. Lion war sicher kein Schlägertyp und die Aussicht auf eine Schlägerei wegen einer Bekanntschaft bedrückte ihn. »Hier ist es schön, stimmt’s«, fragte er. »Hm. Bei uns lebt man unter Kuppeln, die Atmosphäre ist sehr staubig. Solch eine Morgendämmerung gibt es nicht.« »Wir hatten überhaupt keine Sonne«, gab Lion zu. »Über der Station hing eine riesige Plasmakugel zur Beleuchtung. Aber das ist nicht das Richtige. Und sie wurde nie ausgeschaltet, nicht einmal nachts. Nur das Spektrum wurde leicht geändert.« »Unsere Sonne ist sehr aktiv«, erklärte ich. »Deshalb sind wir etwas mutiert, positiv. Um die Radioaktivität auszuhalten. Ich vertrage radioaktive Strahlung hundertmal besser als ein gewöhnlicher Mensch.« »Ich habe lediglich die allgemeinmedizinische Mutation, die übliche…«, erwiderte Lion sauer auf diese Neuigkeiten. »Und die Knochen sind an niedrige Gravitation angepasst. Tikkirej, kannst du schwimmen?« »Natürlich kann ich das.« »Gehen wir!« Er trank mit einem Zug sein Glas leer und stand auf: »Hier ist ein See, zwanzig Minuten zu Fuß. Ein echter, natürlicher See. Die Ufer sind mit Wasserpflanzen zugewachsen und es gibt Fische. Bringst du mir bei, wie man schwimmt?« »Ich will es versuchen…« Lion zog mich bereits hinter sich her und redete ohne Pause: »Ich hab meinen Vater gebeten, es mir zu zeigen, und er meinte, dass er keine Zeit habe. Ich glaube, er kann selber nicht schwimmen. Bei uns auf der Station gab es nur zwei Schwimmbecken, beide total winzig. Ich bringe dir auch etwas bei, willst du? Zum Beispiel, wie man sich bei niedriger Gravitation schlagen muss. Da gibt es eine spezielle Kampfart. Und wieso ist dein Gesicht voller Flecken, ist das auch eine Mutation oder eine Krankheit?« »Das ist eine Allergie.« »Ah, die hatte ich irgendwann auf Schokolade und Apfelsinen. Gemeinheit, oder? Warum gerade auf Schokolade und Apfelsinen und nicht auf Blumenkohl und Milch…« Gegen Abend war mir klar, dass ich einen neuen Freund gefunden hatte. An einem Tag konnte Lion natürlich nicht schwimmen lernen, aber am Ufer hielt er sich schon über Wasser. Wir sonnten uns und erklärten diese Stelle zu unserem gemeinsamen Stabsquartier, solange wir im Motel wohnen würden. Lion erzählte, dass es im Hotel noch drei Familien gäbe, die auf die Aufenthaltsgenehmigung warteten, aber in einer wären die Kinder noch ganz klein, in der zweiten gäbe es nur einen Säugling und in der dritten wäre der Junge eine dicke Rotznase, die mit niemandem reden wolle und immer ihrer Mama hinterherlaufen würde. Wir brüsteten uns gegenseitig mit unseren Shunts — Lion hatte einen viel besseren, mit eingebautem Radio, sodass er sich nicht wegen jeder Kleinigkeit zu verkabeln brauchte. Im Gegenzug prahlte ich, dass ich als Modul auf einem Raumschiff geflogen sei, und Lion wurde echt sauer. Das war ein richtiges Abenteuer, nicht wie ein Flug zusammen mit Mama und Papa im Passagierraumschiff. Seine Eltern lernte ich ebenfalls kennen. Es schien so, als ob sie sich über unsere Freundschaft freuten und es ihnen sehr leidtat, dass ich derartige Probleme mit der Erlangung der Neu- Kuweiter Staatsbürgerschaft hatte. Wir saßen an einem richtigen Lagerfeuer, ich wurde mit köstlichem Grillfleisch direkt vom Grill bewirtet, und danach versprachen sie, mich mit Lion in einigen Tagen mitzunehmen, um die Hauptstadt zu besichtigen. Seine Geschwister erwiesen sich als noch klein und dumm, aber sie wurden bald schlafen gelegt, sie störten uns fast nicht. Als ich in mein Häuschen zurückkehrte, war es schon sehr spät. Eigentlich hatte ich darum bitten wollen, dass Lion mitkommen durfte — wir hätten noch weitergeschwatzt, aber ich traute mich nicht. Und das war sicher auch gut so, denn als ich eintrat, leuchtete auf dem Videoscreen das Rufsignal. Mein erster Gedanke war völlig absurd: Ich entschied, dass das Einwanderungsministerium meinen Antrag trotz allem bevorzugt behandelt hatte. Es war jedoch Kapitän Stasj, der mich anrief. Als ich den Empfangsknopf drückte, erschien er fast sofort auf dem Bildschirm. Ziemlich niedergeschlagen und bedrückt. Als er mich sah, verzog sich sogar unwillkürlich sein Gesicht. »Wie geht es dir, Tikkirej?« »Danke, es ist fast alles weg…« Hatte er sich dermaßen Sorgen um mich gemacht? »Kannst du jetzt gleich in mein Cottage kommen?« Ich nickte. »Dann los, ich warte.« Meine Müdigkeit verflog sofort. Das Cottage war dasselbe wie meins. Nur dass Kapitän Stasj entschieden mehr Sachen besaß. An das Terminal waren zusätzliche Blöcke angeschlossen, sie verarbeiteten irgendwelche Informationen. »Gut, dass du gekommen bist«, meinte Stasj ziemlich abwesend. »Hör mal, Tikkirej, möchtest du etwas dazuverdienen?« Ich lächelte: »Ich möchte schon, aber ich darf nicht.« »Wenn ich zahle, ist es möglich. Ich bin kein Bürger Neu- Kuweits, also fallen unsere Finanzbeziehungen nicht unter das Gesetz.« »Wirklich?« »Ich habe einen Juristen konsultiert.« »Ich bin bereit!«, rief ich sofort. Stasj drohte mir mit dem Finger: »Geh niemals auf irgendwelche noch so lockenden Angebote ein, ehe du nicht die Details geklärt hast! Verstanden?« Ich nickte. »Also, für mich ist es notwendig, dass du dich morgen von früh bis spät in der Nähe meines Cottage herumtreibst. In einiger Entfernung, aber so, dass du sehen kannst, wer sich ihm nähert.« »Ist etwas passiert?« »Ja… ich habe den Verdacht, dass irgendein Dieb versucht hat, hier einzubrechen. Oder es geschafft hat…« Stasj fiel in Schweigen und schaute nachdenklich zum Terminal. Über den Bildschirm liefen ununterbrochene Ströme von Ziffern und Kleintext. »Haben Sie etwa kein elektronisches Sicherungssystem?«, wollte ich wissen. »Tikkirej… für jegliche Elektronik gibt es Blockiergeräte. Viel zuverlässiger ist ein Junge, der in der Nähe spielt.« »Und was soll ich machen, wenn jemand…« »Nichts! Absolut nichts! Versuch bloß nicht, Lärm zu machen oder näher heranzugehen. Schau hin und präge dir alles ein, Tikkirej! Am Abend berichtest du dann.« »Gut«, gab ich mein Einverständnis. Morgen wollte ich mit Lion wieder an den See gehen. Doch das war nur ein Spiel, und ich benötigte dringend Geld. Lion würde das sicherlich verstehen… »Wie viel zahlen Sie?«, erkundigte ich mich für alle Fälle. »Was — wie viel? Ah…«, Stasj winkte ab, »ich zahle gut, mach dir keine Sorgen. Also, kann ich mich auf dich verlassen?« »Ja, sicher«, erwiderte ich. Mir schien, dass Kapitän Stasj eine Art Phobie hätte und er sich Widersacher einbilden würde. Aber wenn er dafür bezahlte… »Ab neun Uhr früh. Und bis zum Abend… vielleicht bin ich gegen acht zurück. Oder gegen neun. Iss frühmorgens reichlich, nimm ein paar Hamburger mit… na, hier ist ein bisschen, aber…« Er gab mir Geld. Fragte nach: »Eine Kreditkarte hast du nicht? Ich habe fast kein Bargeld.« »Nein. Aber haben Sie keine Bedenken, dass man die Kreditkarte verfolgen könnte?« Stasj lächelte: »Tikkirej, halte mich nicht für einen Paranoiker. Der aktuelle Boom des Papiergeldes ist eine Dummheit. Es ist viel einfacher, ein anonymes Bankkonto anzulegen, als die Fingerabdrücke zu wechseln. Außerdem kann ein beliebiger Neuroshunt aus der Entfernung eingesehen werden und den fälschst du nicht. Nein, ich habe keine Bedenken, eine Kreditkarte zu benutzen. Und ich rate dir, bei Gelegenheit auch eine anzuschaffen.« Ein wenig beschämt nickte ich. »Geh, Tikkirej«, wies Stasj an, »schlaf dich aus…« Ich war schon an der Tür, als mich seine Frage einholte: »Tikkirej… sag mal…« Ich schaute zurück. »Hast du wirklich vor, auf Neu-Kuweit zu bleiben? Willst du nicht dein Glück auf einem anderen Planeten versuchen?«, fragte Stasj. Ich wunderte mich. »Mir gefällt es hier sehr gut. Und für einen neuen Flug habe ich kein Geld. Ist Neu-Kuweit etwa ein schlechter Planet?« »Ein guter«, stimmte Stasj zu, »ein wenig eingerostet, aber gut. Okay, mach dir darüber keine Gedanken! Gute Nacht.« Ich ging. Er setzte sich ans Terminal und, so nahm ich an, vergaß mich augenblicklich. Lion war mir nicht böse. Kein bisschen. Im Gegenteil, er war von diesem Abenteuer begeistert. »Hat er wirklich noch alle Tassen im Schrank?«, fragte er geschäftig. »Es gibt solche Irren, die andauernd glauben, dass sie verfolgt werden. Sie benutzen keine Kreditkarten, an den Terminals schalten sie alle Zugänge aus…« »Er benutzt eine Kreditkarte«, nuschelte ich. »Nein, er ist eigenartig, aber nicht verrückt. Vielleicht hat er auch wirklich Feinde?« »Dann ist es gefährlich«, entschied Lion, »aber interessant. Weißt du was? Wir klettern aufs Dach deines Hauses und sonnen uns. Von dort aus müsste alles gut zu sehen sein. Dann gehen wir ins Café am Moteleingang. Von dort aus kann man auch beobachten. Und danach… danach setzen wir uns noch irgendwohin. Wir dürfen nicht den ganzen Tag an einer Stelle bleiben, sonst ist es offensichtlich, dass wir aufpassen.« »Ich teile das Geld mit dir, das mir Stasj gibt«, versprach ich. Ich fragte Stasj nicht um Erlaubnis und berichtete Lion alles aus Eigeninitiative. Denn ich vertraute Lion und war mir sicher, dass er niemandem davon erzählte. Wir kauften Cola und Popcorn, zogen den Videoscreen auf das Flachdach meines Cottage, damit es nicht langweilig wurde, und begannen mit dem Sonnenbad. Ich habe eine ziemlich dunkle Haut, Lion auch, sodass wir keine Angst vor Sonnenbrand hatten. Seine Mutter gab uns trotzdem Sonnencreme. »Du hast überhaupt Glück mit Abenteuern«, meinte Lion, der in der Hocke saß und sich seine Knie eincremte. »Du besitzt die echte Staatsbürgerschaft des Imperiums, das ist Nummer eins. Ich muss noch zwei Jahre lang wie ein Schwachkopf mit dem Kinderausweis herumlaufen. Dann bist du als Modul auf einem Raumschiff geflogen! Das ist Nummer zwei! Du bist fast an einer Allergie gestorben und hast dabei Freundschaft mit einem echten Kapitän geschlossen! Das sind drei und vier! Und jetzt hilfst du, einen Dieb aufzuspüren. Fünf!« »Du hilfst auch, einen Dieb aufzuspüren«, beruhigte ich ihn. »Das ist nur deinetwegen«, erkannte Lion ehrlich. »Klasse, dass wir uns kennengelernt haben, stimmt’s?« »Natürlich stimmt das!« Wir fanden einen interessanten Fernsehkanal über verschiedene Planeten, schauten zu und tranken Cola. Lion kommentierte die Übertragung lebhaft. Er war zwar auch noch nicht auf diesem Planeten gewesen, hatte dafür aber auf einer Raumstation gewohnt, an der die verschiedensten Raumschiffe anlegten. Dort hatte er alle Außerirdischen kennen gelernt und sich mit ihnen unterhalten. Er hatte einen älteren Freund, der früher in der Armee des Imperators gedient hatte und dessen Onkel auf Edem lebte. »Dort ist es auch schön, der Onkel hat uns ein Video geschickt«, erklärte Lion. »Aber es ist schwer, dorthin einzuwandern, bei ihnen gibt es auch so eine hohe Geburtenrate. Der Onkel hat schon sechs Kinder, aber er muss sich noch drei anschaffen. Das nennt sich Besiedelung des Planeten nach der intensiven Methode…« Ich hörte ihm schon nicht mehr zu. Ich schaute am Screen vorbei zum Cottage von Stasj. Ein junger Mann näherte sich ihm, machte sich eine Sekunde lang an der Tür zu schaffen und ging hinein! »Es ist so weit…«, flüsterte ich, »Lion, hast du das auch gesehen?« »Was?« Er sprang gleich auf. »Irgendein junger Mann ist ins Cottage eingedrungen! Als ob er einen Schlüssel hätte, ist er völlig unbefangen zur Tür und dann hineingegangen!« »Ich habe doch hingeschaut…«, ärgerte sich Lion, »aber ich habe doch hingeschaut! Bei mir ist es immer so, wenn ich ins Erzählen komme, verpasse ich die interessantesten Dinge!« Mir fiel ein, dass ich diesen jungen Mann schon einmal gesehen hatte. Er hatte gleich nach mir eingecheckt. »Komm, wir bleiben hier«, sagte ich, »er wird kaum lange drinbleiben…« Aber er blieb sehr lange im Cottage. Es verging eine halbe Stunde, eine Stunde. Lion begann mich skeptisch anzusehen, dann fragte er: »Du hast dich nicht geirrt?« Ich schüttelte den Kopf. Lion seufzte und legte sich auf den Rücken. Ihm war es natürlich langweilig auf dem Dach, zumal er den Verbrecher nicht einmal gesehen hatte. »Ich werde schlafen und meinen Bauch sonnen«, entschied er, »wenn etwas Interessantes passiert, sag Bescheid.« In diesem Augenblick wurde die Tür des Cottage geöffnet, der ungebetene Gast ging hinaus und bewegte sich schnell zu einer dichten Hecke, die längs der Hauptallee angepflanzt war. »Jetzt ist er hinausgegangen«, sagte ich stolz. Lion drehte sich eilig um und reckte den Hals. »Wo?« »Na da, er versteckt sich in den Sträuchern!« Ich zeigte mit der Hand dorthin. »Aber wo denn, ich sehe nichts!« »Na da!«, heulte ich auf. »Bist du blind?« Der Verbrecher hatte sich bereits geschickt durch die Hecke gezwängt und hinter den Zweigen versteckt. »Ich glaube, du hast einen Sonnenstich«, meinte Lion, »ehrlich.« »Was sagst du da, hast du nichts gesehen?« »Nö. Niemanden.« Wir schauten einander durchdringend an. Lion zweifelnd und beleidigt und ich… ich sicherlich auch zweifelnd. »Ehrenwort, er kam aus dem Cottage heraus!«, rief ich. »Du hast dich nur zu spät umgedreht, als er sich schon in die Hecke schlug.« »Ich habe doch diese Hecke gesehen, dort war niemand.« »Du glaubst mir nicht?«, fragte ich. Lion zögerte. Lustlos sagte er: »Ich glaube dir. Aber ich habe eine normale Sehkraft. Ich hätte es auch gesehen. Vielleicht war das ein Dshedai?« »Wer?« »Na, ein galaktischer Ritter, ein Dshedai. Warst du nie im Kino?« »Ah…«, ich erinnerte mich, »das sind die, die mit Schwertern gekämpft haben und sich unsichtbar machen konnten? Aber das ist doch ein Märchen.« Lion wedelte mit den Händen: »Nicht doch, das ist kein Märchen! Es gibt solche Spinner, sie leben auf dem Avalon. Sie nennen sich galaktische Ritter, fliegen durchs ganze Imperium und kämpfen für die Gerechtigkeit.« »Und warum sind sie dann Schwachköpfe? Kannst du mir das bitte erklären?« »Na deshalb, weil niemand sie braucht. Das ist so eine Art Sekte, verstehst du? In Wirklichkeit gibt es die Flotte des Imperiums, die Polizei, den Hygienedienst und noch vieles mehr. Sie kümmern sich um die Aufrechterhaltung der Ordnung. Aber die Dshedais denken, dass es unbedingt solche Ritter geben muss, die nicht für den Dienst, sondern für die Idee arbeiten.« »Und das sind Dshedais?« »Na ja, damit macht man sich über sie lustig«, gab Lion zu, »so als würde man ›Homo‹ zu einem Menschen sagen, das wäre beleidigend. Oder einen Halfling einen ›Hobbit‹ nennen. Oder zu einer Tzygu ›Bienchen‹ sagen. Oder die, die auf einer Raumstation leben, als ›Kosmik‹ bezeichnen.« »Ich habe es doch kapiert! Und wie war das, sie können sich unsichtbar machen und kämpfen mit dem Schwert?« »Das mit dem Unsichtbarmachen können sie, glaube ich… aber mit den Schwertern, das weiß ich nicht«, erwiderte Lion ehrlich. »Und warum habe ich ihn dann gesehen?« »Na ja, für den einen konnte er sich unsichtbar machen, für den anderen nicht. Vielleicht, weil du ein Mutant bist, der Radioaktivität gut verträgt.« »Was hat das mit Radioaktivität zu tun?« »Woher soll ich das wissen?« Ich sah ein, dass es unmöglich war, Lion umzustimmen, wenn er sich etwas ausgedacht hatte. Und wenn wir uns weiter stritten, würden es in eine Schlägerei ausarten. »Vielleicht ist es auch so«, äußerte ich. »Und trotzdem hast du ihn nicht gesehen. Du hast ja gelegen und nach oben geschaut. Die Sonne schien dir in die Augen, wenn auch durch die Lider. Deshalb hast du nicht sofort normal sehen können.« Lion dachte nach und gab zu, dass das möglich wäre. Aber die Version mit dem Dshedai sollte man nicht verwerfen. Das würde aber heißen, dass mein Freund Stasj selbst ein Verbrecher wäre. Wenn die Dshedais auch Schwachköpfe sind, ehrlichen Menschen fügen sie nie einen Schaden zu. Um uns nicht zu zerstreiten, zogen wir uns an, kletterten vom Dach und gingen Kaffee mit Sahne trinken. Auf dem Weg kratzte ich mich am Hinterkopf. Nicht wegen der Allergie, sondern weil ich einen Sonnenbrand abbekommen hatte. |
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