"Das Schlangenschwert" - читать интересную книгу автора (Lukianenko Sergej)Kapitel 2Lediglich Gleb begleitete mich zum Abschied. Schwänzte die Schule und kam mit. Bis zur letzten Minute nahm er mich nicht ernst, obwohl er die leere Wohnung gesehen hatte, aus der das städtische Mobiliar abgeholt und alles, was den Eltern gehörte, in einem kleinen Container im Keller eingelagert war. »Du bist geisteskrank«, stieß Gleb aus, als der Bus zum Kosmodrom einbog. Er begann mir zu glauben. »Dabei verblödest du doch! Sag mal, hast du nie alte Module gesehen?« »Die haben nicht rechtzeitig aufgehört«, sagte ich. Meinen Koffer mit den Sachen hielt ich auf den Knien. Laut Vertrag standen mir zwölf Kilogramm Gepäck zu. »Auch du wirst nicht rechtzeitig den Absprung schaffen. In fünf Jahren verkalkt das Gehirn!« Gleb leckte sich über die Lippen. »Ich habe ein Los der Imperiumslotterie, weißt du das eigentlich?« Ich wusste es. Gleb hatte eine Chance von eins zu zwanzig, eine kostenlose Ausbildung auf einem beliebigen Gebiet zu gewinnen. Er wollte natürlich Pilot werden. »Willst du es haben?« »Deine Eltern schlagen dich tot!«, erwiderte ich. »Nein. Sie schlagen mich nicht tot. Ich habe bereits mit ihnen gesprochen. Ich kann das Los auf dich überschreiben lassen. Willst du?« Ein Los der Imperiumslotterie — das ist schon was. Ich hätte nicht mal davon träumen können. Dafür habe ich einen Neuroshunt Kreativ und Gleb nur einen Neuron. »Danke, Gleb. Ist nicht nötig.« Er klimperte verstört mit seinen feuchten, weißen Wimpern. Gleb ist nämlich äußerst blass und hat ganz helle Haare. Das ist bei ihm keine Mutation, sondern Erbmasse. »Tikkirej, ehrlich…« »Gleb, am Abend bin ich im Kosmos.« »Das bist nicht du«, flüsterte Gleb. Als der Bus am Hotel hielt, reichte er mir zögernd seine Hand. Ich drückte sie und fragte: »Kommst du mit rein?« Gleb schüttelte den Kopf, und ich versuchte erst gar nicht, ihn zu überreden. Ein langer Abschied würde nur überflüssige Tränen bedeuten. Auf mich wartete der Kosmos. Ich wusste nicht, wo der Älteste und die anderen Mannschaftsmitglieder wohnten. Deshalb ging ich zum Zimmer des Arztes. Die Zimmertür war wieder nicht geschlossen und die Badtür weit geöffnet. Anton stand in der Unterhose vor dem Spiegel und rasierte sich mit einem uralten mechanischen Rasierapparat. Als ob man sich nicht seine Haarfollikel ein für allemal wegreißen lassen könnte. »Aha«, sagte er, ohne sich umzusehen. Ich sah nur seine Augen im Spiegel, aber mir schien, als ob sich ihr Ausdruck verändert hätte. »Alles klar. Zimmer 73. Da ist der Kapitän.« »Wer ist das?«, erklang eine feine Mädchenstimme aus dem Zimmer. »Niemand für uns«, rief Anton. Aus dem Zimmer schaute eine dunkle Schönheit, eines der Mädchen, die gestern gelacht hatten. Bei meinem Anblick begann sie erst zu lächeln, dann schaute sie deprimiert. Vielleicht deshalb, weil sie ganz nackt war und sich im Bettlaken verheddert hatte. »Guten Tag«, sagte ich. »Was bist du nur für ein Dummkopf!«, meinte das Mädchen. »Mein Gott, woher kommen nur…« »Kusch dich, du Pack!«, zischte ich. Es funktionierte. Fast wie beim Ältesten. Das Mädchen schwieg und zwinkerte nervös. Anton hielt einen Augenblick mit dem Rasieren inne, machte aber gleich weiter. Hoch — runter. Ich drehte mich um und ging zum Zimmer 73. Der Kapitän war jünger als der Älteste und der Arzt. Er hatte sicher eine Elite-Kosmonautenschule absolviert, da man ihm bereits das Kommando über ein Raumschiff anvertraute. Er war kräftig und sah gut aus in seiner weißen Paradeuniform. »Tikkirej«, begrüßte er mich, als ich ins Zimmer trat. Intuitiv wusste ich, dass er den Bericht über meine gestrige Untersuchung gelesen hatte, und ich schämte mich. Vor Anton oder dem Ältesten schämte ich mich nicht. Aber vor einem echten Kapitän, der sogar alleine im Hotelzimmer seine Paradeuniform trug, schämte ich mich. »Ja, Kapitän.« »Du hast es dir also nicht anders überlegt?« »Nein, Kapitän.« »Den Vertrag hast du dir angesehen?« »Ja, Kapitän.« Den Vertrag hatte ich bis drei Uhr nachts gelesen. Es war wirklich ein Standardvertrag, aber ich überprüfte alles. »Tikkirej, denkst du eventuell daran, uns zu betrügen«, fuhr der Kapitän fort, »einen oder zwei Flüge mitzumachen, einen passenden Planeten zu finden und dort zu kündigen?« »Geht das denn?«, wunderte ich mich gekonnt. »Natürlich, aber was hättest du davon?« Der Kapitän sah mich einige Sekunden lang durchdringend an: »Okay, ziehen wir das Ganze nicht unnötig in die Länge.« Er setzte sich an den Tisch und sah schnell meine Papiere durch, kontrollierte die Echtheit der Siegel mit einem Handscanner, unterschrieb den Vertrag und gab mir ein Exemplar zurück. Er reichte mir die Hand: »Ich beglückwünsche Sie, Tikkirej. Nunmehr sind Sie ein Mitglied der Recheneinheit des Raumschiffs Kljasma.« Mir missfiel die Tatsache, dass er mich nicht Mitglied der Mannschaft, sondern der Recheneinheit nannte. Noch weniger gefiel mir die Äußerung: »Aber was hättest du davon?« Trotzdem lächelte ich und gab ihm die Hand. »Hier hast du einen Vorschuss«, der Kapitän holte einige Geldscheine aus der Tasche. »Er steht nicht im Vertrag, ist aber eine schöne Tradition vor dem ersten Start. Sieh aber zu, dass du das Geld nicht…« Für eine Sekunde fiel der Kapitän in Schweigen, dann begann er zu lachen: »Nein, nein, ich glaube, du wirst es nicht vertrinken.« »Ich werde es nicht vertrinken«, versprach ich. Nach dem Wodka gestern musste ich mich im Bus übergeben. Vielleicht war das aber auch nur eine Folge der Überprüfung meines Arbeitsvermögens… »Wir treffen uns um fünf Uhr unten im Foyer«, teilte mir der Kapitän mit, »und, das steht auch nicht im Vertrag, aber wenn du dort fehlen solltest, werde ich dich nicht verklagen. Dann zerreiße ich einfach den Vertrag.« »Ich komme.« »Gut, Tikkirej.« Ich verstand, dass das Gespräch jetzt beendet war, und verließ das Zimmer. Unten in der Bar war es wieder genauso leer und der Barkeeper war derselbe. Er lächelte mir zu, und ich ging zu ihm und legte einen Geldschein auf den Tresen. »Das ist für gestern. Und… haben Sie Milchshakes?« »Na klar, haben wir.« Der Barkeeper gab mir das Wechselgeld. »Und, haben sie dich genommen?« »Ja. Ich hatte gute Werte. Wirklich.« »Schön! Aber hör rechtzeitig mit dieser Arbeit auf, ja! Was möchtest du für einen Shake?« »Mit Apfelsine«, bestellte ich, ohne nachzudenken. Der Barkeeper runzelte die Stirn und beugte sich zu mir vor. Verschwörerisch flüsterte er: »Ich verrate dir jetzt ein Geheimnis: Die einfachsten Milchshakes sind immer die besten. Zum Beispiel mit Schokolade und einem Hauch Vanille.« »Den nehme ich«, antworte ich ebenso flüsternd. Er schmeckte wirklich gut. Auf diese Art und Weise saß ich bis fünf Uhr in der Bar. Meinen Koffer hatte ich zum Barkeeper hinter den Tresen gestellt, um nicht auf ihn aufpassen zu müssen. Mehrmals ging ich auf die Toilette, damit sich der gestrige Schlamassel später nicht wiederholen konnte. Obwohl das auf dem Raumschiff sicherlich geregelt ist. Den letzten Cocktail trank ich hastig, immer mit Blick auf die Uhr. Dann verabschiedete ich mich vom Barkeeper und ging ins Foyer. Die ganze Mannschaft war schon versammelt. Der Kapitän, der Älteste, der Arzt und noch zwei, die ich nicht kannte — sicher Navigator und Lademeister. »Du kommst zu spät, Modul«, bemerkte der Arzt eisig. Er hielt sein Versprechen — für ihn war ich schon kein braver Junge mehr. »Entschuldigung, das kommt nicht wieder vor«, murmelte ich und umfasste krampfhaft den Griff meines Koffers. Der Älteste nahm mir schweigend den Koffer aus der Hand, prüfte das Gewicht und gab ihn mir zurück. »Gehen wir«, sagte der Kapitän. Alle drehten sich um und gingen zur Schleuse, bei der schon ein Kleinbus wartete. Niemand beachtete mich. Die Türen des Busses gingen zu, kaum dass ich meinen Fuß auf die Stufen gesetzt hatte. Der Älteste und der Arzt saßen zusammen, Lagermeister und Navigator ebenfalls. Neben dem Kapitän war ein freier Platz, aber auf diesen legte er sehr sorgfältig seine Mütze. Ich ging nach hinten und setzte mich in eine freie Reihe. Der Kapitän nahm seine Mütze und setzte sie auf. Der Bus folgte den orangen Markierungen. Die Kljasma war ein Gütertransporter der Standardklasse, wie sie bei uns ständig verkehrten. Der keramische Körper war zweihundert Meter lang und erinnerte an ein übermäßig in die Länge gezogenes Ei. Zur Landung hatte es Stützen ausgefahren, die im Vergleich zum Raumschiff fast unsichtbar schienen, so winzig waren sie. Es hatte den Anschein, als ob die Kljasma direkt auf dem Sand, der im Laufe der Jahre zu einer Steinkruste zusammengebacken war, auflag. Die Ladeluke war bereits geschlossen, aber in der Ferne schwebte noch die Staubwolke der Schwerlasttransporter, die das angereicherte Erz zum Raumschiff gebracht hatten. »Der letzte Flug in dieses Schlangennest«, sagte der Älteste, »Gott sei Dank!« »Aber was für eine Menge Geld«, wandte leise derjenige ein, den ich für den Navigator hielt. Ein betagter dicker Schwarzer mit gutmütigem Gesicht. »Richtig, der Verdienst ist gut«, stimmte der Arzt zu, »außerdem haben wir ein gutes Modul eingestellt.« »Das müssen wir noch überprüfen«, widersprach der Älteste säuerlich. »Ein gutes, ein gutes«, wiederholte der Arzt, »oder denkst du, dass ich das Testen verlernt hätte?« Beide sprachen über mich, als ob ich ein Einkauf wäre, der auf dem Rücksitz lag. Ich biss die Zähne zusammen und schwieg eisern. Das ist bestimmt ein Test. Um festzustellen, ob ich ernsthaft mit ihnen arbeiten will oder anfange zu jammern und mich zu beklagen, dachte ich. Der Bus fuhr an die Schleuse heran, ein durchsichtiges Rohr, das sich von oben herabneigte. Zu sechst pressten wir uns mit Mühe in den kleinen Fahrstuhl. Ich wurde gegen den Kapitän gequetscht. »Entschuldigung, Kapitän«, sagte ich. Er schwieg. Der Älteste tippte auf meine Schulter und belehrte mich eisig: »Gestatten Sie eine Äußerung, Kapitän…« »Gestatten Sie eine Äußerung, Kapitän«, wiederholte ich. »Ich gestatte.« »Wo sind denn die anderen Mitglieder des Rechenzentrums? Sind sie früher zurückgekommen?« Mir wurde auf einmal ganz seltsam zumute. Ich dachte, dass sie überhaupt keine anderen Module hätten und deshalb mein Gehirn ununterbrochen arbeiten müsste. »Sie haben das Raumschiff nicht verlassen«, antwortete der Kapitän. Ich stellte keine weiteren Fragen. Aus der Schleusenkammer heraus verteilten sich sofort alle entsprechend ihren Aufgaben. Die Schleusenkammer selbst war ziemlich groß, mit Raumanzügen in verglasten Nischen und einer in den Boden eingelassenen Flugkapsel. Der Kapitän sagte, ohne jemanden konkret anzusprechen: »Start in fünfzig Minuten, Onlineregime für alle in vierzig Minuten.« Ich stand da, sperrte den Mund auf und verstand nur Bahnhof. Und wohin musste ich? Die Finger des Arztes bohrten sich in meine Schulter. »Komm mit!« Wir nahmen den Fahrstuhl nach oben und gingen durch einen Flur. Der Arzt schwieg, er wirkte ernst und konzentriert. »Verzeihen Sie, aber was muss ich jetzt machen?«, begann ich. »Für deine Arbeit musst du überhaupt nichts wissen«, unterbrach mich der Arzt, »du bist ein ›Gehirn in der Flasche‹, kapiert? Tritt ein!« Er stieß mich nach vorn und ich ging als Erster in einen großen Saal. Hier gab es einen Tisch, eine große Videowand und gemütliche, tiefe Sessel. In den Sesseln saßen Menschen — die restlichen Module. Es waren fünf — drei ältere, einer in den mittleren Jahren und ein Junge von vielleicht siebzehn. »Guten Tag, Recheneinheit«, sagte der Arzt. Alle fünf fingen an sich zu bewegen. Die Älteren nickten. Der Mann mittleren Alters brummte etwas vor sich hin. Der Junge grüßte: »Hallo, Doc.« Sie sahen überhaupt nicht debil aus. Eher wie Leute, die vom Film auf dem Bildschirm fasziniert waren. Irgendetwas Abenteuer- und Actionmäßiges, eine junge Frau bewies gerade jemandem, dass sie den Zeitsprung aushält, da man ihr extra dafür ein Y-Chromosom implantiert hatte. So ein Unsinn, wie kann man denn ein Chromosom in jede einzelne Zelle implantieren? »Das ist euer neuer Freund«, stellte mich der Doktor vor. »Er heißt Tikkirej… falls das jemanden interessieren sollte.« »Grüß dich, Tikkirej«, erwiderte der junge Mann, »ich heiße Keol.« Er lächelte sogar dabei. »Hast du das Raumschiff verlassen?«, fragte der Doc. Keol verzog sein Gesicht. »Nein. Ich mag diesen Planeten nicht.« »Du wolltest aber doch…«, der Arzt winkte ab, »egal. Jeder an seinen Platz! Start in vierzig Minuten.« Sofort erhoben sich alle. Der Bildschirm wurde dunkel. Aus den Nischen kamen einige Reinigungsschildkröten und krochen über den Boden. Ich bemerkte, dass überall Popcorn verstreut war und Schokoladenkrümel und andere Abfälle herumlagen. »Soll ich dem Neuen helfen?«, wollte Keol wissen. »Ich erkläre ihm alles selber. Achte auf die Alten.« »Gut, Doc«, erwiderte Keol. »Er ist von allen am besten erhalten«, äußerte der Arzt, ohne die Stimme zu senken. Keol reagierte nicht. Der Arzt sah mich an. Ich schwieg und mich überkam ein leichtes Zittern. »Der Bus ist noch nicht weg«, meinte der Arzt, »ich habe den Fahrer gebeten, noch zwanzig Minuten zu warten. Wenn du willst, bringe ich dich zur Schleuse.« Mein Mund war wie ausgetrocknet, aber ich bewegte mühsam die Zunge und sagte: »Nein.« »Das war der letzte Versuch«, sagte der Arzt, »gehen wir also.« Im Saal waren ungefähr zehn Türen, sieben davon waren breiter und wirkten massiv. Durch diese Türen gingen die Module. Der Arzt führte mich zur äußeren und hieß mich die Handfläche auf die Sensorplatte legen. Er erklärte: »Das ist jetzt deine Flasche.« Der Raum erinnerte wirklich an eine liegende Flasche… Sogar Decke und Wände krümmten sich entsprechend. Innen war nichts außer einem eigenartigen Ding, das aussah wie ein Krankenbett für einen Schwerkranken. Die Oberfläche war elastisch, glänzend und flexibel. Fast in der Mitte befand sich ein Abfluss. »Zieh dich aus«, sprach der Arzt, »alle Sachen. Die Kleidung hier rein.« Ich entkleidete mich, packte die Sachen in den Wandschrank, der ebenfalls durch ein Sensorschloss verschlossen wurde. Legte mich schweigend auf das Bett. Es war recht weich und bequem. »Also folgendermaßen«, begann der Arzt, »die schwierigsten Probleme für ein arbeitendes Modul… weißt du, welche das sind?« »Weiß ich«, antwortete ich. »Du kannst das Wasser nicht halten«, fuhr der Arzt fort, »dafür ist ein Bidet im Bett eingebaut, das sich automatisch einschaltet. Wenn bei dir die Darmtätigkeit gestört ist, beginnt der Shunt selbständig Kommandos an das periphere Nervensystem zu geben. Jede Stunde massiert dich das Bett. Einmal am Tag sendet der Shunt einen Befehl zum Zusammenziehen der Muskulatur aus, um Muskelschwund zu verhindern. Der Gesundheitszustand wird ständig kontrolliert, wenn etwas sein sollte, komme und helfe ich… So… Die Ernährung…« Er fuhr mit seiner Hand unter das Bett und holte aus irgendeinem Behälter einen Schlauch mit einem verbreiterten Ende. Der Arzt sah meine erschrockenen Augen und sagte: »Das ist nicht für die Ernährung, das ist der Urinschlauch. Leg ihn dir selbst an.« Ich tat es. Das Erniedrigende bestand gerade darin, dass der Doktor danebenstand, Ratschläge gab und alles kommentierte. Als ob er es auf mich besonders abgesehen hätte, weil ich unbeeindruckt ihre Ratschläge in den Wind geschlagen hatte und ins Raumschiff gekommen war. Der zweite Schlauch, den er holte, war dann aber für die Ernährung. Der Arzt suchte mir schnell ein passendes Mundstück aus. Ich nahm es in den Mund. »Flüssignahrung, wird in kleinen Portionen gleichzeitig mit der Stimulierung des Schluckreflexes verabreicht«, erklärte der Arzt, »willst du mal probieren?« Ich schüttelte den Kopf. »Richtig so. Schmeckt nicht. Ist wirkungsvoll, leicht verdaulich und gibt ein Minimum an Endprodukten. Mehr aber auch nicht.« Dann schnallte er mich mit vier breiten Riemen auf dem Bett an und fuhr fort: »Merke dir die Reihenfolge. In Zukunft wirst du das alles selber machen. Das ist wirklich bedienungsfreundlich, deine Hände bleiben frei bis zum Schluss. Dann steckst du sie in diese Schlingen, die sich automatisch zusammenziehen. Das System ist einfach, leicht zu handhaben und schon seit einem halben Jahrhundert unverändert. Möchtest du noch etwas sagen?« Ich nickte und der Doktor nahm mir das Mundstück aus dem Mund. »Wenn wir ankommen, werde ich dann ins Kosmodrom gehen dürfen? Spazieren gehen…« »Natürlich!«, der Arzt war erstaunt. »Oder hältst du uns für Verbrecher, die Module mit Gewalt festhalten? Tikkirej, das Traurigste dabei ist, dass eben das gar nicht erforderlich ist. Ich versichere dir, Tikkirej, wenn es für die Eroberung des Kosmos notwendig gewesen wäre, den Menschen das Gehirn zu amputieren und wirklich in Flaschen zu füllen, hätten wir genau das gemacht. Die menschliche Moral ist wundersam dehnbar. Das war aber gar nicht nötig, denn das beste Glas ist dein eigener Körper. Ihm wird Nahrung zugeführt, die Endprodukte werden entsorgt und in den Shunt wird ein Kabel gesteckt. Das ist alles, Tikkirej. Und die Tatsache, dass es wirklich einige Module gibt, die nach Vertragsende aufhören, erlaubt es den Menschen, ein für allemal ihr Gewissen zu beruhigen. Hast du das verstanden?« »Ja. Danke.« Ich lächelte ein schales Lächeln. »Ich… ich bin ein bisschen erschrocken. Dachte, dass man mich nicht aus dem Raumschiff lassen würde, bis ich genauso geworden bin… wie diese.« Doktor Anton lächelte ebenfalls. Er ging neben dem Bett in die Hocke und fuhr mir über den Kopf. »Vergiss das! In unserer idiotischen, mit Gesetzen voll gestopften Welt gibt es praktisch keine Notwendigkeit für die Anwendung von Gewalt. Vielleicht wäre es besser andersherum, hm?« Er erhob sich und holte ein weiteres Kabel heraus. Ich schaute aus den Augenwinkeln — das war das Kabel für den Neuroshunt. Fragte: »Ich bin dann sofort abgeschaltet?« »Ja, Tikkirej. Nimm dein Mundstück.« Folgsam nahm ich den Schlauch in den Mund. Er hatte überhaupt keinen Geschmack, obwohl er schon unzählige Male sterilisiert worden war. Vielleicht sollte ich doch um eine Kostprobe bitten… »Guten Zeitsprung, Modul«, sagte der Doktor. Und die Welt verschwand. Mann, tat mir der Kopf weh! Ich stöhnte auf, als ich den Schmerzen nachspürte. Im Mund spürte ich einen ekelhaften Geschmack, als ob ich salzig-süßen Lehm gekaut hätte. Der Kopf wollte mir platzen. Das Knie juckte. Die rechte Hand kribbelte, als ob ich versucht hätte, sie aus der engen Schlinge zu ziehen. Ich lag auf meinem Bett für Module. Das Kabel war noch immer im Shunt, ich aber war offline. Mit der linken Hand, die besser reagierte, zog ich es heraus. Ich spuckte das Mundstück aus. Zum Teufel! Das war etwas anderes als der Anschluss an den Schulcomputer. Die Bänder hielten mich nach wie vor auf dem Bett fest. Ich schaffte es, sie zu lösen, und stand auf. Ich hatte Bedenken, dass mir die Knie weich werden könnten, aber es schien alles in Ordnung zu sein. Vorsichtig berührte ich die Tür und schaute in den Gemeinschaftraum. Dort stand Keol — nackt und blass und kratzte sich gerade seinen Bauch. Bei meinem Anblick fing er an zu lächeln: »Ah, Tikkirej! Grüß dich, Tikkirej. Wie ist dein Befinden?« »Alles in Ordnung«, murmelte ich. Im Großen und Ganzen schien ich unversehrt. »Am Anfang ist immer alles in Ordnung«, sagte Keol mit ernstem Gesicht, »dann wird alles langweilig, uninteressant. Dagegen muss man intensiv ankämpfen!« Er drohte mir feierlich mit dem Finger und wiederholte: »Intensiv! Hast du das Bett sterilisiert?« »Nein… wie denn?« »Schau her«, Keol zwängte sich in meine »Flasche« und zeigte es mir. Es war wirklich einfach und fast vollständig automatisiert. Wirklich wie für Schwerkranke. »Das Mundstück spülst du ebenfalls«, erklärte er ernsthaft, »darin sind immer Breireste. Und wasch dich! Das Bett nimmt die Ausscheidungen auf, wenn etwas danebengeht, aber man muss sich trotzdem waschen. Bis du blitzt vor Sauberkeit! Also, öffne das Fach…« Die Dusche war integriert. Ein biegsamer Schlauch mit einem Duschkopf am Ende und ein Flakon mit antibakteriellem Gel, dem billigsten auf dem Markt, das wir auch zu Hause manchmal kauften. »Im Boden ist ein Abfluss für das Wasser«, klärte mich Keol auf, »schieb das Bett zurück. Wenn du rausgehst, schalten sich Trocknung und Ultraviolett selbständig ein.« »Sind wir angekommen, Keol?«, fragte ich. Er fing an zu zwinkern. »Wir? Ja, sicherlich. Ich habe nicht gefragt. Aber wenn wir offline sind, heißt das, dass wir angekommen sein müssen. Stimmt’s?« Keol ging weg und ich begann mich schnell herzurichten. Ich wusch mich mehrere Male und trocknete mich mit einem Handtuch aus demselben Fach ab. Alles war durchdacht. Alles war einfach und zweckmäßig. Wie schrecklich! Gut, dass ich nicht vorhabe, mich wieder in dieses Grab zu legen und mich für den Dauerbetrieb anschließen zu lassen. Das will ich doch nicht, oder? Ich horchte in mich hinein und fürchtete sehr, dass meine Entscheidungsfähigkeit schon geschwächt sein könnte. Nein, alles war normal. Ich zog meine eigenen Sachen an. Eine Uniform hatte ich nicht bekommen. Ist ja auch nicht nötig. Ich sah mir das Datum auf der Uhr an. Oho, ich war fast zwei Wochen in Dauerbetrieb gewesen! Dann nahm ich mein Köfferchen und verließ die »Flasche«. »Tut dein Kopf weh, Tikkirej?«, fragte mich Keol. »Ja«, gab ich zu. »Trink!«, er reichte mir ein Glas mit irgendeinem Getränk. »Es ist etwas Spezielles. Nimmt die Schmerzen und erhöht die Spannkraft.« Er war wirklich normaler als alle anderen Module. Er versuchte noch, sich um die Kameraden zu kümmern. Dazu aber braucht man einen Willen und eine Zielvorstellung. »Viel Glück«, sagte er und ich ging in den Flur. Den Weg zur Schleuse hatte ich mir gemerkt. Ich war ihn ja gerade erst mit Doktor Anton gegangen. Klar, nicht gerade erst. Aber ich kann mich nicht an die Flugtage erinnern… Interessant zu erfahren, wie weit wir geflogen sind!? Kurz und gut, zur Schleuse wollte ich vorerst nicht. Ich hatte nicht vor, Kapitän und Mannschaft zu betrügen. Ich musste jemanden finden — und das gelang mir auch. Ich traf direkt auf den Ältesten, der auf dem Weg zur Schleuse war. Dieser sah mich aufmerksam an, sein Blick ruhte auf dem Köfferchen und er sagte: »Verstehe. Zur Schleuse?« »Nein, ich möchte den Kapitän finden. Und den Vertrag kündigen. Das ist doch mein Recht?«, erkundigte ich mich. Der Älteste nickte: »Gehen wir…« Er brachte mich aber nicht zum Kapitän, sondern in einen Arbeitsraum. Setzte sich vor den Bildschirm und schaltete den Computer ein. Befahl: »Daten über den Vertrag des Moduls Tikkirej.« Auf dem Bildschirm erschien mein Vertrag. »Du hast das Recht, den Vertrag zu kündigen und auf einem beliebigen Planeten auszusteigen«, begann der Älteste. »Das ist Gesetz. Wir sind verpflichtet, dir deinen anteiligen Lohn auszuzahlen. Das sind…« — er beugte sich vor — »das sind 1038 Kredit.« Nicht schlecht! Ich schwieg. »Selbstverständlich werden Ernährung und die Leistungen deines Lebenserhaltungssystems extra in Rechnung gestellt, da du den Vertrag vorzeitig kündigst«, ergänzte der Älteste trocken, »also ziehen wir 604 Kredit ab.« »So viel?«, wunderte ich mich. »So viel. Weil man deine Nahrung und dein Bett gemeinsam mit dir durch den Kosmos schleppen muss. Selbst wenn man die günstigsten internen Berechnungen der Flotte ansetzt, ist das eine gewaltige Summe. Hast du Einwendungen?« »Nein«, sagte ich. Alles hatte seine Richtigkeit. »Es verbleiben also 434 Kredit«, resümierte der Älteste, »nun die Versicherung.« »Aber das ist nicht nötig«, flehte ich. Es war etwas Unanständiges an der Tatsache, dass ich die Kljasma als Transportmittel benutzte und ihnen dazu noch eine Menge Geld aus der Tasche zog. »Das muss leider sein«, meinte der Älteste, »du bist für 350.000 Kredit versichert. Wie es sich gehört. Der Versicherungsbeitrag belief sich auf 117.000. Jetzt ist die Versicherunggekündigt,verstehstdu.Der Versicherungsbeitrag wird nicht zurückerstattet. 117.000 minus 434 Kredit…« Er drehte sich in seinem Sessel um und schaute mich an. Ich begann zu verstehen. Innerlich wurde mir eiskalt. »Wenn du den Vertrag kündigst, Tikkirej, müssen zuerst die finanziellen Fragen geklärt sein. Ich denke, sechzig bis siebzig Reisen werden dich in diese Lage versetzen. Du kannst bestimmt nach etwa zwei Jahren das Raumschiff verlassen.« »Das steht im Vertrag?«, fragte ich leise. »Natürlich. Soll ich es dir zeigen?« »Nicht nötig. Ich erinnere mich… Ich hätte nicht gedacht, dass die Versicherung so teuer ist…« Der Älteste stützte seine Hände auf die Knie, beugte sich nach vorn und giftete: »Tikkirej, glaubst du, dass nur du allein die kluge Idee hattest, anzuheuern und auf dem ersten besten Planeten das Raumschiff wieder zu verlassen? Sogar wenn unser Flug ins Paradies führen würde, mit Zwischenlandung in der Hölle, hätte sich ein Interessent gefunden, um dorthin abzuhauen. GenauausdiesemGrund,Tikkirej,istdie Versicherungssumme dermaßen hoch. Damit sich die Mannschaft nicht damit abmühen muss, auf jedem Kosmodrom neue Gehirne aufzuspüren. Du hast die Arbeit angenommen, also arbeite! Wir hatten dich gewarnt!« Ich bemerkte nicht einmal, dass ich anfing zu weinen. »Also, wofür entscheidest du dich? Kündigst du den Vertrag und bist berechtigt, nach zwei Jahren von Bord zu gehen, oder bleibst du die vereinbarten fünf Jahre und erarbeitest dir eine Drittelmillion?« Er war wütend, verteufelt wütend auf mich selbstherrlichen Dummkopf, der ihn daran hinderte, das Raumschiff zu verlassen, sich zu vergnügen und in der Bar sein ehrlich verdientes Geld auszugeben. Ich hatte mir aber doch den Vertrag angesehen! Es war etwas verwirrend, manche Dinge waren kleingedruckt, aber… Ich setzte mich auf den Boden und versteckte mein Gesicht zwischen den Knien. Für zwei Jahre — das ist mein Ende. So viel halte ich nicht aus. Fünf Jahre auf gar keinen Fall. Ich werde kein Idiot, aber mir wird alles egal sein. Man bekommt zu essen und zu trinken, darf alles unter sich lassen… und… »Haben wir dich gewarnt oder nicht?«, bellte der Älteste. »Sie haben mich gewarnt«, schluchzte ich. Er pflückte mich vom Boden, nahm mich auf den Schoß, presste mir die Zähne auseinander und schob mir einen metallenen Flaschenhals in den Mund: »Trink! Du bist hysterisch wie ein altes Weib.« Ich schluckte die brennende Flüssigkeit. Musste husten. »Das ist Cognac«, informierte mich der Älteste. »Was wolltest du denn auf diesem Planeten machen, Tikkirej?« »Leben«, flüsterte ich. »Leben? Wie?« »Ich habe doch die Staatsbürgerschaft des Imperiums…« »Was nützt dir das? Glaubst du denn, dass ein Mensch in einer unbekannten Welt überleben kann? Zumal — als Jugendlicher? Zumal — ohne Geld? Du hättest deine jämmerlichen vierhundert bekommen und was hätte es dir genützt? Auf deinem Planeten sind einhundert Kredit richtig viel Geld. In einer normal entwickelten Welt reichen sie nicht mal für eine Woche!« Er stieß mich plötzlich weg: »Die Tür da, wasch dich.« Dann wandte er sich zum Bildschirm und fauchte böse: »Dienstanweisung. Vertrag mit Modul Tikkirej annullieren. Versicherung nicht abschließen.« Ich sah ihn an und verwischte meine Tränen. »Wir haben für dich keine Versicherung abgeschlossen«, der Älteste wandte mir den Rücken zu und nur sein geröteter Nacken verriet seine Gefühle, »es war klar, weshalb du angeheuert hast. Nur Anton hatte auf dich gesetzt, war davon überzeugt, dass du deine fünf Jahre abarbeitest und dir deinen Willen erhältst.« »Also haben Sie das Gesetz gebrochen!«, schrie ich. »Was geht dich das an? Was stehst du hier herum? Wasch dich und geh!« »Wohin?« »Wohin?«, jetzt tobte der Älteste echt. »Wohin wolltest du denn? Auf den Planeten! Neu-Kuweit, Kolonie des Imperiums, Standardgesetzgebung, beschleunigte Prozedur für die Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis, mittleres Komfortniveau — 104 Prozent! Wir haben dich erst nach zwei Zeitsprüngen abgeschaltet, und weißt du, warum? Weil wir davon überzeugt waren, dass du gleich auf dem ersten Planeten von Bord gehen willst! Ohne sich zu erkundigen, was das für ein Planet ist! Und dort, wohin wir das Erz transportiert haben, ist eine Kloake, noch schlimmer als eure Zwangsarbeit!« »Warum Zwangsarbeit? …«, murmelte ich. »Weil Karijer als Planet für Zwangsarbeiter besiedelt wurde. Die Bewohner der Kuppeln sind die Nachfahren der Aufseher. Wasch dich und verschwinde!« Ich wusch mich. Ich spritzte mir lange kaltes Wasser ins Gesicht und bemühte mich, nicht die geröteten Augen zu reiben. Ich trocknete mich ab und ging hinaus. Der Älteste saß noch immer am Computer und spielte Schach. Sehr schnell, über den Shunt. Die Figuren sprangen nur so über den Bildschirm. »Hier hast du dein Geld«, sagte er, »434 Kredit.« Auf dem Tisch lagen sieben Scheine und vier Münzen. »Hätte… hätte ich fünf Jahre aushalten können?«, wollte ich wissen. »Niemand kann fünf Jahre ohne Einbußen überstehen. Anton ist ein naiver Optimist! Nach zehn Jahren hättest du verlernt, Entscheidungen zu treffen. Sogar die Wahl zwischen drei Sorten Limonade wäre für dich zu einem quälenden Problem geworden. Nimm das Geld, schau noch bei Anton vorbei und dann verschwinde! Der medizinische Sektor ist zwei Ränge tiefer, die Hinweisschilder sind standardmäßig.« Er drehte sich nicht mehr zu mir um. Ich wollte mich bei ihm bedanken. Oder ihn umarmen und wieder losheulen, weil mir nie zuvor jemand eine derart nützliche Lehre erteilt hatte. Aber ich schämte mich zu sehr. Sogar um »Danke« zu sagen. Ich nahm das Geld vom Tisch, ging zur Tür und flüsterte, schon fast auf dem Flur: »Verzeihen Sie mir…« Ich wusste nicht, ob er mich überhaupt gehört hatte. Im Flur war es leer und ruhig. Ich hatte keine Ahnung, was es hier für »standardmäßige Hinweise« gab. Der Älteste überschätzte meine Kenntnisse über den Kosmos. Sicher wegen meiner gelungenen Äußerung über die Hauptmotoren. Aber was bedeutet zum Beispiel ein blauer Pfeil unter einem roten Zickzack? Oder die Figur eines Menschen mit ausgestreckten Armen in einem gelben Kreis? Ich könnte natürlich den Fahrstuhl nehmen, zwei Etagen nach unten fahren und den medizinischen Sektor suchen. Mir widerstrebte es jedoch, Anton in die Augen zu schauen, dem Einzigen, der mich für einen einfachen, ehrlichen Kerl und nicht einen dummen Betrüger hielt. Also eilte ich zur Schleuse. Wenn das Komfortniveau eines Planeten fünfzig Prozent übersteigt, bedeutet das, dass man ohne spezielle Schutzmaßnahmen auf der Oberfläche überleben kann. Zumindest hatte ich es so im Naturkundeunterricht gelernt. Und hier sind es 104 Prozent! Das heißt, Neu-Kuweit ist besser als die Erde. Der Fahrstuhl erschien. Ich ging hinein, berührte den Sensor mit dem Pfeil nach unten und der Fahrstuhl senkte sich. Mein dritter Planet wartete auf mich. Der, auf dem ich nicht geweckt worden war, zählte ja mit, selbst wenn ich das Raumschiff nicht verlassen hatte. |
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