"Die Seemannsbraut: Sir Richard und die Ehre der Bolithos" - читать интересную книгу автора (Кент Александер)

III Um hohen Einsatz

Bolitho lehnte sich in seinem Stuhl zurück, als ein weißer Handschuh den erst halb geleerten Teller fortriß und schnellstens durch einen anderen ersetzte. Er wußte nicht mehr, wie viele Gänge ihm schon angeboten oder wie oft die geschliffenen Pokale nachgefüllt worden waren.

Die Luft vibrierte vom Stimmengewirr der Anwesenden: schätzungsweise vierzig Offiziere, Beamten mit Damen und das kleine Kontingent aus der Offiziersmesse der Hyperion. Die lange Tafel wurde durch hunderte von Kerzen erhellt. Am äußeren Rand wogten die Schatten der vielen Diener und Lakaien mit dem ständigen Nachschub von Speisen und Wein hin und her.

Man mußte Bedienstete aus mehreren Häusern zusammengezogen haben, dachte Bolitho, und aus dem gelegentlich wütenden Unterton des Butlers konnte er entnehmen, daß es zwischen Küche und Tafel Reibereien gegeben hatte.

Er saß rechts von Catherine. Im Wirbel von Konversation und Gelächter wurde er sich ihrer Nähe sehr bewußt, obwohl sie über ihre eigenen Gefühle in seiner Gegenwart wenig verriet. Am anderen Ende der Tafel saß ihr Gatte, Viscount Somervell, schlürfte seinen Wein und lauschte sichtlich gelangweilt dem mit schwerer Zunge redenden Kommodore Glassport. Gelegentlich fixierte er über die Länge der Tafel hinweg, alles andere ausschließend, seine Frau und Bolitho. War es Interesse oder Wachsamkeit? Schwer zu sagen. Wenn sich die Flügeltüren von Zeit zu Zeit für eine Prozession schwitzender Diener schwungvoll öffneten, flackerten die Kerzen in der verräucherten Atmosphäre. Bolitho mußte an Haven denken und stellte sich vor, wie er in der Kajüte über seine mögliche Zukunft brütete. Er würde bald mehr Anteilnahme zeigen, wenn er erst erfuhr, was man von ihm erwartete.

Die Frau drehte sich um und richtete das Wort direkt an ihn.»Sie sind sehr still, Sir Richard.»

Er hielt ihrem Blick stand und fühlte, wie seine Abwehr nachgab. Sie war ebenso attraktiv, sogar noch schöner, als er sie in Erinnerung hatte. Die Sonne hatte ihrem Nacken und den Schultern eine zarte Röte verliehen, und er bemerkte den leisen Pulsschlag an ihrem Hals.

Eine ihrer Hände lag wie verloren neben einem geschlossenen Fächer. Er hätte sie gern berührt, um sich selbst zu beruhigen oder seine eigene Dummheit zu enthüllen. Bin ich so dünkelhaft, dachte er, bilde ich mir wirklich ein, sie könnte sich nach so langer Zeit wieder zu mir hingezogen fühlen?

Stattdessen sagte er nur:»Es müssen sieben Jahre her sein.»

Ihr Gesicht blieb unbewegt. Wer sie beide beobachtete, hätte annehmen können, sie unterhielten sich über England oder das Wetter.

«Sieben Jahre und einen Monat, um genau zu sein.»

Bolitho blickte auf, weil der Viscount über etwas lachte, das Glassport gesagt hatte.

«Und dann hast du ihn geheiratet. War er dir so wichtig?«Es hörte sich wie ein bitterer Vorwurf an. Ihre Finger bewegten sich unruhig.

«Du täuschst dich, Richard«, gab sie hastig zurück,»es war nicht so. «Allein schon der Klang seines Namens aus ihrem Mund riß alte Wunden auf.»Ich brauchte Sicherheit, so wie du es brauchst, geliebt zu werden.»

Trotz, Schmerz, beides stand in ihren dunklen Augen. Bolitho wagte kaum zu atmen, als die Unterhaltung um sie herum vorübergehend verstummte. Er glaubte, daß der Erste Leutnant sie beobachtete, daß ein Oberst mit halb erhobenem Glas innehielt, als lausche er ihren Worten. Für ihn war es wie eine Verschwörung.

«Liebe?»

Sie nickte langsam, ihre Augen ließen nicht von ihm ab.»Du brauchst sie wie die Wüste den Regen.»

Er wollte sich ihrem Blick entziehen, aber sie schien ihn zu hypnotisieren, als sie im gleichen Ton gelassen fortfuhr:»Ich habe dich damals gewollt, aber am Ende beinahe gehaßt. Beinahe. Ich habe während all der Jahre dein Leben und deine Laufbahn verfolgt — zwei ganz verschiedene Dinge. Ich hätte alles hingenommen, was du mir geboten hättest, denn du warst der einzige Mann, den ich liebte, ohne nach Ehe und Sicherheit zu fragen.»

Sie spielte leicht mit dem Fächer.»Stattdessen nahmst du eine andere. Eine, von der du glaubtest, sie wäre ein vollwertiger Ersatz für. «Das hatte gesessen.»Ich wußte es!»

Bolitho erwiderte schwach:»Ich habe oft an dich gedacht.»

Sie lächelte, was sie nur trauriger aussehen ließ.»Wirklich?»

Er wandte den Kopf, um sie besser sehen zu können. Andere mochten meinen, er blicke sie direkt an, aber sein linkes Auge wurde durch den flackernden Glanz beeinträchtigt.

«Deine letzte Schlacht — wir hörten vor einem Monat davon«, sagte sie.

«Wußtest du, daß ich herkommen würde?«Sie verneinte.»Er erzählt mir wenig von seinen Regierungsgeschäften. «Mit einem vertraulichen Lächeln schaute sie zum anderen Ende der Tafel. Bolitho fragte sich, weshalb dieses Einvernehmen mit ihrem Gatten ihm so weh tat, als sie sich wieder an ihn wandte.»Deine Wunden, sind sie. «Er fuhr zusammen.»Ich half dir einmal, erinnerst du dich nicht?»

Bolitho senkte die Lider. Es zog ihm wie ein Alptraum durch den Kopf: seine damalige Verwundung, der Rückfall in das Fieber, das ihn fast umbrachte. Ihre bleiche Nacktheit, als sie die Kleider fallen gelassen und sich an seinen keuchenden, zitternden Körper gepreßt hatte, während sie unhörbare Worte flüsterte und ihn an ihre Brust nahm, um seine Qualen zu lindern.

«Ich werde es nie vergessen.»

Sie beobachtete ihn still. Ihre Blicke wanderten über seinen geneigten Kopf und seine baumelnde Haarsträhne, über seine ernsten, sonnenverbrannten Gesichtszüge und die Lider, die seine Augen verbargen, so daß er nicht den Schmerz und die Sehnsucht in ihrem Blick sehen konnte.

Nebenan erläuterte Major Sebright Adams von den Seesoldaten der Hyperion seine Erlebnisse vor Kopenhagen und die blutigen Folgen der Schlacht. Parris, der Erste Leutnant, hörte ihm auf einen Ellenbogen gestützt scheinbar zu, neigte sich aber über die junge Frau eines Hafenbeamten. Sein Arm drückte gegen ihre Schulter, doch sie machte keinen Versuch, ihn abzuschütteln. Auch die anderen Offiziere schienen sich augenblicklich frei von jeder Verantwortung zu fühlen.

Bolitho spürte mehr denn je seine plötzliche Isolierung. Es drängte ihn, Kate seine Gedanken und Ängste mitzuteilen, gleichzeitig verabscheute er seine Schwäche.

So sagte er nur:»Es war ein harter Kampf. Wir verloren viele gute Männer.»

«Und du, Richard? Konntest du wirklich noch mehr verlieren als das, was du schon aufgegeben hattest?»

Er erwiderte heftig:»Laß gut sein, Catherine, es ist vorbei!«Und schärfer:»Es muß vorbei sein!»

Eine Seitentür ging auf, und mehrere Lakaien schwärmten aus, aber diesmal ohne neue Speisen. Es wurde Zeit für die Damen, sich zurückzuziehen und die Herren bei Portwein und Brandy allein zu lassen. Bolitho dachte an Allday, der mit seiner Crew in der Barkasse auf ihn warten würde. Jeder Unteroffizier hätte dafür genügt, aber er kannte Allday. Dieser wäre jetzt in seinem Element gewesen. Bolitho wußte keinen, der imstande war, seinen Bootssteurer unter den Tisch zu trinken.

Somervells Stimme drang durch die angeheiterten Reihen, er hatte keine Schwierigkeiten, sich verständlich zu machen.

«Ich hörte, daß Sie Commander Price besucht haben, Sir Richard?»

Bolitho fühlte, daß die Frau an seiner Seite den Atem anhielt, als ob sie in der beiläufigen Frage eine Falle wittere. War ihre Schuld so offenbar?

Glassport murmelte:»Der ist nicht mehr lange Commander, möchte ich wetten. «Einige Gäste lachten unterdrückt.

Ein schwarzer Lakai betrat den Salon, streifte Somervell mit einem flüchtigen Blick, eilte zu Bolithos Stuhl und präsentierte ihm auf silbernem Tablett ein Kuvert. Bolitho nahm es und hoffte im stillen, daß ihn sein Auge jetzt nicht im Stich lassen möge.

Glassport hub wieder an zu lamentieren.»Meine einzige Fregatte, bei Gott! Ich möchte wirklich wissen.»

Somervell unterbrach ihn unsanft.»Was gibt es, Sir Richard? Betrifft es uns?»

Bolitho faltete das Papier zusammen und schaute den Schwarzen an. Dessen Gesicht zeigte Mitgefühl, als ob er Bescheid wüßte.

«Kommodore Glassport, das Schauspiel bleibt Ihnen erspart, einen tapferen Offizier in Schmach und Schande untergehen zu sehen. «Seine Worte waren klar und hart. Obwohl nur an einen Mann gerichtet, ergriffen sie die ganze Tafel, der es den Atem verschlug.»Commander Price ist tot, er hat sich erhängt. «Bolitho konnte sich nicht versagen hinzuzufügen:»Sind Sie nun zufrieden?»

Mit einem Ruck erhob sich Somervell.»Ich denke, dies ist der richtige Augenblick für die Damen, sich zurückzuziehen. «Es war keine Geste der Höflichkeit, eher schon ein Befehl.

Bolitho sah Catherine an. In ihren Augen las er das Verlangen, sich mit ihm auszusprechen. Statt dessen sagte sie nur:»Wir sehen uns wieder. «Und als er sich aus einer schnellen Verbeugung aufrichtete:»Bald.»

Mit raschelnder Seide tauchte sie in den Schatten.

Bolitho setzte sich wieder. Man hatte ihm ein frisches Glas gebracht. Prices Tod war nicht seine Schuld, nicht einmal die des gedankenlosen Glassport. Was hätte er machen sollen?

Es konnte jedem von ihnen zustoßen. Insgeheim verglich er den jungen Adam mit dem armen Teufel Price, wie er allein vor dem grimmigen Kriegsgericht saß und die Spitze des Degens auf dem grünen Tisch gegen sich gerichtet sah.

Merkwürdig, daß die Nachricht vom Selbstmord Prices aus St. John's unmittelbar zur Hyperion gelangt war. Haven mußte sie gelesen und erwogen haben, bevor er sie ihm nachsandte. Wahrscheinlich durch einen Fähnrich, der sie wiederum einem Lakaien übergab. Es hätte Haven nicht geschadet, wenn er sie persönlich überbracht hätte.

Überrascht merkte Bolitho, daß die anderen bereits aufgestanden waren und ihm ihre Gläser entgegenhielten. Glassport rief heiser:»Auf unseren Vizeadmiral, Sir Richard Bolitho! Möge er uns neue Siege bringen!»

Selbst sein beträchtlicher Rausch vermochte nicht die Beschämung in seiner Stimme zu verbergen.

Bolitho stand ebenfalls auf und verbeugte sich dankend. Er bemerkte, daß die weißgekleidete Gestalt am anderen Ende der Tafel ihr Glas nicht anrührte, und fühlte sein Blut zornig aufwallen. Wie in dem Augenblick, da die Toppsegel des Feindes dessen Angriffsabsicht enthüllten, oder wie bei einem Duell im Morgengrauen. Dann dachte er an ihre Augen und an ihr letztes Wort: bald!

Er griff zum Glas. So sei es denn, dachte er.

Die sechs Tage nach Ankunft der Hyperion in English Harbour waren hektisch und arbeitsreich, zumindest für Bolitho.

Jeden Morgen, nachdem das Wachboot die Depeschen oder Briefe vom Land abgeliefert hatte, kletterte Bolitho in seine Barkasse und widmete sich mit einem verwirrten Leutnant an seiner Seite den Angelegenheiten der ihm unterstehenden Schiffe und Seeleute. Auf den ersten Blick war es keine beeindruckende Streitkraft. Selbst wenn man die drei kleinen Schiffe mit einbezog, die zur Zeit als Aufklärer unterwegs waren, schien die Flottille für die vorliegenden Aufgaben einfach ungeeignet. Bolitho wußte, daß die in seiner Stahlkassette eingeschlossenen und sehr allgemein gehaltenen Befehle Ihrer Lordschaften alle Risiken, alle Verantwortung seinem Urteil überließen.

Das Gros des Antigua-Geschwaders, aus sechs Linienschiffen bestehend, war Berichten zufolge weit im Nordwesten bei den Bahamas verstreut. Wahrscheinlich sondierten sie dort feindliche Streitkräfte oder demonstrierten Macht, um eventuelle Blockadebrecher abzuschrecken. Bolitho kannte ihren Admiral, Sir Peter Folliot, einen ruhigen, würdevollen Offizier, dem seine schlechte Gesundheit zu schaffen machte. Das waren nicht gerade die besten Voraussetzungen für einen Angriff gegen die Franzosen oder deren spanische Verbündete.

Am sechsten Morgen, während Bolitho über das kaum gekräuselte Wasser zum letzten der ihm unterstellten Schiffe gerudert wurde, überdachte er die Ergebnisse seiner Besichtigungen. Abgesehen von der Obdurate, einem älteren Vierundsiebziger, wegen Sturmschäden noch in der Werft, verfügte er über insgesamt fünf Briggs, eine Korvette und über Thor, ein Mörserschiff, das er sich bis zuletzt vorbehalten hatte. Er hätte sich jeden Kommandanten zum Flaggschiff bestellen können, wie man das von einem Admiral erwartete, und erst recht von einem mit seinem Ruf. Sie erfuhren aber bald, daß er es vorzog, sich selbst zu informieren, daß er den Kontakt mit den Menschen suchte, die er führen und anspornen sollte.

Er dachte an Somervell und dessen immer noch ausstehenden

Gegenbesuch auf der Hyperion. Ließ er ihn absichtlich warten, um ihn an seinen Rang zu erinnern, oder stand er Bolithos Plänen gleichgültig gegenüber?

Die Riemen tauchten ein und aus. Die Augen der Ruderer mieden seinen Blick, wenn er sie ansah. Über den geschrubbten Duchten lag Alldays Schatten. So glitten sie an den verankerten Schiffen vorbei. Antigua war zwar britischer Besitz, doch gab es viele Händler und Küstenschiffer, die bereit waren, für ihre eigene freie Passage den Feind mit Informationen zu beliefern, ohne wirklich Spione zu sein.

Auf dem nahen Abhang, nur durch eine Brustwehr und eine schlaffe Flagge kenntlich, war eine Batterie schwerer Geschütze stationiert. Zur Verteidigung — gut und schön, aber man gewann Kriege, indem man angriff. Bolitho sah den Staub der Küstenstraße aufsteigen, als dort eine Kutsche fuhr, und dachte wieder an Catherine. Sie war ihm kaum aus dem Sinn gekommen, und er hatte hart arbeiten müssen, um seine Gefühle im Zaum zu halten.

Vielleicht hatte sie Somervell alles erzählt, was zwischen ihnen gewesen war? Oder er hatte es ihr entlockt? Letzteres verwarf er sofort. Dafür war Catherine zu stark. Er entsann sich ihres früheren Ehemannes, der zweimal so alt gewesen war wie sie, aber erstaunlichen Mut bewiesen hatte, als er Bolithos Leuten half, ein Handelsschiff gegen Korsaren zu verteidigen. Damals hatte Catherine ihn gehaßt. Ihre Gefühle füreinander waren aus jenem Haß gewachsen wie Stahl in der Esse einer Schmiede. Er wußte immer noch nicht genau, was ihnen damals zugestoßen war oder wohin ihre Liebe hätte führen können. So aber hatten sie nur einen kurzen Höhepunkt in London erlebt, nach ihrer zufälligen Begegnung vor der Admiralität, als Bolitho gerade zum Kommodore eines eigenen Geschwaders ernannt worden war.

Das war vor sieben Jahren und einem Monat. Catherine hatte es nicht vergessen. Es erregte ihn, daß sie es fertig gebracht hatte, sein Leben und seine Karriere zu verfolgen, ihrer Meinung nach zwei ganz verschiedene Dinge.

Allday flüsterte:»Sie sind am Fallreep angetreten, Sir Richard.»

Bolitho setzte den Hut auf. Vor ihnen lag die Bombarde, Seiner Britannischen Majestät Mörserschiff Thor. Verglichen mit einem Linienschiff oder einer Fregatte war es klein, aber ausgesprochen stabil und stark konstruiert zum Bombardieren von Küstenbefestigungen und dergleichen. Seine Bewaffnung bestand in der Hauptsache aus zwei schweren Dreizehn-Zoll-Mörsern. Das Schiff mußte kräftig gebaut sein, um dem Rückstoß der Mörser zu widerstehen, die fast senkrecht feuerten. Dazu zehn schwere Karronaden — kurzläufige, aber großkalibrige Geschütze — und einige kleinere Sechspfünder obendrein. Thor mußte ein langsamer Segler sein. Immerhin hatte sie drei Masten und eine handliche Takelage, die sich bei launischem Wind bewähren mochte.

Ein Schatten verdunkelte Bolithos Überlegungen. Hatte nicht Francis Inch das Kommando über eine Bombarde erhalten, nachdem er Hyperion verließ? Das war schon fast unheimlich. Allday beobachtete ihn und sagte leise:»Wie die alte Hekla, Sir Richard, erinnern Sie sich?»

Bolitho bejahte. Immer noch konnte er nicht glauben, daß Inch tot war — wie so viele andere.

«Oberdeck — stillgestanden!»

Pfeifen trillerten. Bolitho ergriff mit beiden Händen das Fallreep und schwang sich durch die Pforte.

Auf den von ihm bisher besuchten Schiffen schien man von seinem Anbordkommen überrascht zu sein, aber bis auf einen waren alle Kommandanten vor kurzem noch Leutnants gewesen. Beim Kommandanten der Thor dagegen war keinerlei Nervosität zu spüren, als Bolitho den Hut zog.

Commander Ludovic Imrie war ein schlanker, schmalschultriger Mann, weshalb seine einzelne Goldepaulette so aussah, als wolle sie jeden Augenblick abfallen. Aber er war über sechs Fuß groß. Wenn man die Stehhöhe in einigen Abteilungen seines Schiffes bedachte, nämlich vier Fuß und sechs Zoll, mußte er sich hier wie in einem Käfig vorkommen.

«Herzlich willkommen, Sir Richard. «Seine Stimme war auffallend tief, mit einem schottischen Zungenschlag, der Bolitho an seine Mutter denken ließ. Es wurden ihm zwei Leutnants und einige junge Offiziersanwärter vorgestellt. Eine kleine Besatzung. Er hatte sich schon ihre Namen gemerkt und ahnte, daß ihre Zurückhaltung jetzt von Neugier verdrängt wurde.

Imrie ließ die Ehrenwache wegtreten und geleitete Bolitho nach kurzem Zögern in seine kleine Heckkajüte. Als sie sich unter den massiven Decksbalken ducken mußten, entsann sich der Admiral seines ersten selbständigen Kommandos, einer Korvette, deren Erster Leutnant sich für den Raummangel entschuldigt hatte. Bolitho aber war fast außer sich vor Freude gewesen. Nach der engen Leutnantsunterkunft auf seinem bisherigen Linienschiff war ihm die Kajüte wie ein Palast vorgekommen.

Thor war sogar noch kleiner. Sie saßen einander gegenüber, während ein wettergegerbter Seemann Flasche und Gläser brachte. Welch ein Kontrast zu Somervells Tafel, dachte Bolitho.

Imrie sprach ungezwungen über sein Kommando, das er seit zwei Jahren innehatte. Er war sehr stolz auf Thor, und Bolitho spürte sofort seinen Protest, als er erwähnte, Bombarden hätten auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen bisher wenig erreicht.

«Wenn man ihnen die Chance gibt. «Er brach ab und zuckte mit den Achseln.»Ich bitte um Entschuldigung, Sir Richard, ich hätte es wissen müssen.»

Bolitho nippte an dem Wein.»Was wissen?»

«Wie ich hörte, prüfen Sie Ihre Kommandanten mit ein oder zwei Fangfragen«, erwiderte Imrie.

Bolitho lächelte.»Es klappt meistens.»

Er dachte an einige der anderen Kommandanten in Antigua, bei denen er so etwas wie Abneigung, wenn nicht sogar Feindschaft zu spüren bekommen hatte. Vielleic ht wegen Price? Schließlich waren sie ihm verbunden gewesen, hatten eng mit ihm zusammengearbeitet. Vermutlich nahmen sie an, daß er sich umgebracht hatte, weil Bolitho es abgelehnt hatte, sich für ihn einzusetzen. Es gab ähnliche Fälle.

Imrie starrte durch das Oberlicht in den wolkenlosen Himmel.»Wenn ich dicht vor dem Ziel liege, Sir, kann ich ein solches Bombardement loslassen, daß der Feind glaubt, die Hölle wäre ausgebrochen. Die Spanier haben noch nie Mörser zu Gesicht bekommen…«Er stockte und fügte entschuldigend hinzu:»Ich meine, wenn wir wirklich gegen die Dons losschlagen würden.»

Imrie hatte seine eigenen Schlüsse gezogen. Warum sollte sich auch sonst ein Vizeadmiral die Mühe machen, ihn aufzusuchen? Prices kühner Vorstoß und katastrophales Ende, die Vorteile der flachgehenden Thor in den seichten Gewässern, wo die Fregatte Consort auf Grund gelaufen war — die Erklärung bot sich von alleine an.

«Das ist schon richtig, Commander Imrie«, sagte Bolitho.»Aber ich vertraue darauf, daß Sie Ihre Meinung für sich behalten. «Eigenartig, daß sich keiner der anderen, nicht einmal Haven, bisher gefragt hatte, warum sie eigentlich in Antigua waren.

Bolitho rieb sich wieder das linke Auge, zog seine Hand aber schnell zurück.»Ich habe alle Berichte gelesen und auch die Notizen, die mein Adjutant machte, als ich mit Commander Price sprach.»

Imrie hatte ein langes Gesicht mit spitzem Kinn und sah aus, als könne er ein energischer Gegner sein. Aber seine Züge lockerten sich, als er Bolitho zuhörte, vielleicht weil dieser das Andenken des Toten respektierte. Es gab dem einsamen Grab unterhalb der Ostbatterie ein wenig Würde.

«Die Zufahrten sind zu gut geschützt für das, was ich im Sinn habe«, fuhr Bolitho fort.»Geschickt plazierte Artillerie könnte ein langsames Schiff mit Leichtigkeit aufhalten, und mit glühenden Kugeln wäre die Wirkung noch katastrophaler.»

Imrie rieb sich das Kinn, seine Augen waren weit weg. Sie stimmten übrigens in der Farbe nicht überein. Das eine war dunkel-, das andere blaßblau. Er entgegnete:»Wir denken beide an denselben Küstenstrich, Sir Richard, aber natürlich können wir nicht ganz sicher sein, daß.»

Jenour hörte gebannt zu. Zwei Offiziere, jeder ein Veteran auf seinem Gebiet, diskutierten und lachten wie zwei Verschwörer über etwas, das er nicht begriff. Es war unglaublich.

Bolitho nickte.»Aber wenn…»

«Auch Thor käme nicht nahe genug heran, um ihre Mörser einzusetzen. «Imrie prüfte das Gesicht seines Gegenübers, als erwarte er Einwände oder ein Zeichen der Enttäuschung.»Zudem ist unser Tiefgang nicht sehr viel geringer als der von Consort.»

Ein Boot stieß dumpf an die Bordwand, und man hörte Allday jemanden anschnauzen. Kurz darauf erschien sein Kopf im Oberlicht.»Pardon, Sir Richard, eine Meldung von der Hyperion: Der Generalinspekteur kommt an Bord.»

Bolitho verbarg seine Aufregung. Hatte Somervell aus Neugier schließlich nachgegeben? Begriff er, daß es zwischen ihnen so etwas wie einen Wettbewerb gab?

Er stand auf und verzog das Gesicht, als sein Kopf an einen Decksbalken stieß. Imrie meinte:»Au verdammt, Sir Richard, ich hätte Sie warnen sollen.»

Er griff nach seinem Hut.»Das war nur eine Mahnung und weniger schmerzhaft als die Erinnerung.»

Oben hatte sich die Fallreepswache versammelt. Allday kletterte wütend in die wartende Barkasse hinunter und fauchte die Ruderer an:»Klar bei Riemen, verdammt noch mal!»

Bolitho faßte einen Entschluß.»Commander Imrie, sagen Sie Ihrem Ersten, er soll Sie vertreten. Ich möchte, daß Sie mich begleiten.»

Imrie blieb der Mund offen stehen.»Aber, Sir Richard.»

Bolithos Blick fiel auf den Ersten Leutnant der Thor. »Er brennt schon darauf, das Kommando zu übernehmen, wenn auch nur für einen Tag.»

Seine gute Laune erstaunte ihn selbst. Sie war wie ein Damm, der alle Sorgen zurückhielt.

Er beugte sich vor, als wolle er eine der kurzläufigen Karronaden näher betrachten. Das ließ ihm Zeit, sein Auge wieder zu massieren und jene Unscharfe zu vertreiben, die ihm das grelle Sonnenlicht verursachte.

Imrie flüsterte Jenour zu:»Das is t ein Mann, was? Ich würde mit ihm durch dick und dünn gehen.»

«Aye, Sir.»

Bis auf Allday und das Kajütpersonal sah Jenour mehr von Bolitho als jeder andere, und ihm war etwas aufgefallen. Jenours Onkel war Arzt in Southampton und hatte schon von dergleichen gesprochen. Jenour hatte beobachtet, daß Bolitho manchmal das Gleichgewicht verlor wie in jenem Augenblick, als die schöne Viscountess zulangte, um ihn zu stützen. Auch zuvor war das mehrmals passiert, doch wurde nie darüber gesprochen. Vielleicht irrte er sich auch.

Unterwegs grübelte Bolitho über seine Mission. Wenn er Fregatten gehabt hätte, wenigstens eine, hätte er das eine gewaltige Hindernis ausräumen können. Doch La Guaira, der Hafen auf dem spanischen Festland und das Tor zu Venezuelas Hauptstadt Caracas, galt als uneinnehmbar. Aber nur, weil es niemand bisher versucht hatte. Er merkte Imries Interesse und freute sich, die Thor besucht zu haben, ehe er das Wagnis mit Haven und den anderen erörterte.

Imrie würde zuversichtlich, aber nicht sorglos sein. Price hatte gedacht, daß er es schaffen könne, wenn auch aus anderen Gründen. Doch wäre sein Unternehmen erfolgreich verlaufen, hätte hinterher nicht einmal mehr ein Fischerkahn durch die Abwehr der Dons schlüpfen können.

Allday rief:»Wir müssen zur anderen Seite, Sir Richard. «Er schien gereizt, und Bolitho wußte, daß er über seinen kürzlich entdeckten und ebenso schnell wieder verlorenen Sohn nachdachte. Jenour erhob sich schwankend.»Die Wasserleichter gehen längsseit. Soll ich sie wegscheuchen?»

Bolitho rückte seinen Rock zurecht.»Setzen Sie sich wieder hin, junger Heißsporn. Wir haben Frischwasser nötig, und Hyperion hat schließlich zwei Seiten.»

Sie pullten um den Bug herum, der grimmige Blick der

Galionsfigur glitt über sie hinweg. Schon mancher mußte im Pulverdampf diese stechenden Augen gesehen und Furcht empfunden haben.

Haven war aufgeregt und besorgt.»Es tut mir leid wegen der Leichter, Sir Richard, aber ich hatte Sie noch nicht zurückerwartet.»

Bolitho überquerte das Deck mit gesenktem Blick. Er wollte sich an den Schatten in der Kajüte gewöhnen.

«Macht nichts. «Da Haven Imrie mit Mißtrauen betrachtete, fügte er hinzu:»Der Commander ist mein Gast.»

Unten hatten die Leic hter festgemacht, ungeschlachte Fahrzeuge mit flachem Boden und offenen Rümpfen, in denen Reihen von Wasserbehältern standen. Eine ganze Menge war bereits mit Flaschenzügen hochgeholt und in der Hyperion verstaut worden. Parris, der Erste Leutnant, stützte sich mit einem Bein am Lukenrand ab und sah zu, wie der hakennasige Zahlmeister Sheargold jeden Behälter kontrollierte, bevor er übernommen wurde. Bolitho wollte sich gerade umdrehen, als ihm etwas auffiel.

«Dieser Leichter liegt noch auf ebenem Kiel, nicht schief, obwohl die Fässer jetzt alle auf einer Seite stehen.»

Haven beobachtete ihn vorsichtig.»Die sind eben so gebaut, Sir. Nichts kann sie umkippen.»

Bolitho richtete sich auf und wandte sich an Imrie.»Da haben wir es, Imrie: eine flachgehende Plattform für Ihre Mörser.»

Er ignorierte das allgemeine Erstaunen.

«Jetzt muß ich aber den Generalinspekteur begrüßen.»

Der Sehr Ehrenwerte Viscount Somervell räkelte sich, von den einfallenden Sonnenstrahlen beschienen, in einem ledergepolsterten Sessel und hörte aufmerksam zu. Diesmal war er in ein sehr helles Grün mit Brokatbesatz und Stickereien gekleidet, die jeden Prinzen beschämt hätten. Im grellen Licht wirkte er jünger, knapp Mitte der Dreißig. Bolitho bemühte sich, nur an sein Vorhaben zu denken, aber trotzdem schien Catherine wie ein Schemen in der großen Kajüte zu schweben und Vergleiche zwischen den beiden Männern anzustellen.

Der Admiral trat zu den Heckfenstern und schaute auf einige Fischerboote hinaus. Die Reede war noch glatt und windstill, doch der Dunst trieb schon seewärts, und der Wimpel einer ankernden Brigg lüftete sich hin und wieder in einem schwachen Hauch.

«Commander Price hatte die Angewohnheit. «sagte Bolitho und hielt inne, als erwarte er Somervells Einspruch oder beißende Kritik,». hatte die Angewohnheit, jenen Küstenstrich zu erkunden, an dem er schließlich mit Consort scheiterte. Er machte sich sorgfältige Notizen von allem, was er sah, und durchsuchte oder zerstörte in der Folge etwa zwanzig feindliche Fahrzeuge. Wenn er Zeit gehabt hätte.»

Das war Somervells Stichwort.»Die war für ihn abgelaufen. «Er beugte sich vor, ohne daß seine fahlen Augen im Sonnenschein blinzelten.»Und Sie haben wirklich diese geheime Angelegenheit mit einem. äh. mit Commander Imrie erörtert?«Er sprach den Namen so gleichgültig aus wie ein Gutsherr den eines Landarbeiters.»Das schafft ein zusätzliches Risiko.»

Bolitho erwiderte:»Imrie ist ein intelligenter Offizier und diskret dazu. In den vorangegangenen Gesprächen mit meinen anderen Kommandanten gewann ich den Eindruck, daß sie erwarteten, ich würde versuchen, die Consort — oder die Intrepido, wie sie jetzt heißt — zurückzuholen.»

Somervell preßte die Fingerspitzen zusammen.»Sie haben Ihre Sache gut gemacht, Sir Richard.»

Ungerührt sprach Bolitho weiter.»Nur Imrie ahnte sofort, daß ich etwas anderes im Sinn hatte. Er wußte, daß seine Thor für derartige Unternehmen zu schwer und zu langsam ist.»

«Es beruhigt mich, daß Sie ihm nicht mehr gesagt haben.»

Bolitho blickte auf die Seekarte und ärgerte sich, daß Somervell ihn so leicht provozieren konnte.

«Jedes Jahr gehen Geleitzüge vom spanischen Festland ab, wobei jedes Schiff Riesensummen befördert. Die Kirche und die Armee haben den südamerikanischen Kontinent schon lange vergewaltigt und geplündert, und jetzt braucht der König von Spanien noch mehr Gold. Seine französischen Herren wollen ihren Anteil.»

Somervell stand auf und ging wie beiläufig zur Karte. Alles, was er unternahm, sah gelangweilt und träge aus, doch sein Ruf als Fechter strafte das Lügen.

«Als ich hier ankam, auf Befehl Seiner Majestät«, er betupfte sich den Mund mit einem seidenen Taschentuch, als wolle er ein Lächeln verbergen,»hielt ich das Kapern eines spanischen Schatzschiffes lediglich für einen Traum. Ich weiß, daß Nelson dabei viel Glück gehabt hat, besonders auf See, wo eine derartige Beute noch schwerer aufzuspüren ist. «Sein Finger fuhr an der Küstenlinie entlang.»La Guaira ist gut befestigt. Sie werden die Consort dorthin gebracht haben.»

«Mit Respekt, Mylord, das bezweifle ich. La Guaira ist wohl das Tor zur Hauptstadt Caracas, aber nicht geeignet, ein Kriegsschiff neu herzurichten. Wahrscheinlich wird die Fregatte nach der Grundberührung Schäden davongetragen haben. «Ehe Somervell sich äußern konnte, berührte Bolitho die Karte.»Hier, Mylord: Puerto Cabello, siebzig Meilen westlich, wäre ein viel geeigneterer Ort.»

«Hm. «Somervell sah näher hin, und Bolitho entdeckte eine blaue Narbe unterhalb seines Ohrs. Das war haarscharf daneben gegangen, dachte er düster.

Der Viscount meinte:»Es liegt ziemlich nahe an Ihrem vorgesehenen Operationsgebiet. Ich bin noch nicht überzeugt. «Er ging langsam durch die Kajüte.»Price sah Schiffe vor Anker liegen, und nach meinen Informationen laufen die Schatzschiffe La Guaira an. Der Ort wird von mindestens drei Forts verteidigt und, wie Consort zu ihrem Schaden entdeckte, obendrein wahrscheinlich von beweglicher. Feldartillerie. «Er schüttelte den Kopf.»Mir gefällt das nicht. Wenn wir die Fregatte noch hätten, könnte es — und ich betone könnte es — anders aussehen. Würden

Sie nun angreifen und von den Dons zurückgeschlagen, hätten wir den Vorteil der Überraschung vertan. Der König von Spanien verliert lieber eine ganze Flotte als sein Gold. Nein, ich bin noch nicht überzeugt.»

Bolitho blieb eigenartig ruhig und zuversichtlich. In seiner Vorstellung gewann der verschwommene Plan plötzlich Substanz wie eine Küste im Morgendunst. Der Krieg auf See war immer ein Risiko. Er verlangte mehr als Geschick und Mut, es brauchte dazu, was sein Freund Thomas Herrick als die Hand Fortunas umschrieben hätte. Aber war er nach allem noch sein Freund?

«Ich bin bereit, es darauf ankommen zu lassen, Mylord.»

Somervell fuhr herum.»Ich aber nicht. Hier steht mehr als Ihr Ruhm auf dem Spiel — es geht um einen hohen Einsatz.»

«Daran habe ich nie gezweifelt, Mylord.»

Sie sahen einander an, als suchten sie ihre Absichten zu erraten.

Somervell sagte unvermittelt:»Als ich an diesen verdammten Ort kam, bildete ich mir ein, man würde mir einen erfahrenen und tapferen Kapitän schicken, um eine Schatzgaleone aufzuspüren und zu kapern. «Es hörte sich an, als spucke er die Worte aus.»Dann wurde mir mitgeteilt, daß möglicherweise ein Geschwader kommen und die Fluchtwege der Spanier zu den Kanaren und ihren Heimathäfen blockieren würde. «Er wedelte mit der Hand, wie um sich zu verbeugen.»Statt dessen schickte man Sie, einen Admiral, sozusagen als Vorläufer, um der Sache mehr Gewicht zu verleihen. Aber wenn wir nun verlieren, wird der Sieg des Feindes um so größer aussehen. Was sagen Sie dazu?»

Bolitho zuckte die Achseln.»Ich denke, wir können gewinnen. «Die Erkenntnis überfiel ihn wie ein Schrei in der Nacht: Somervell brauchte den Erfolg mehr als jeder andere. Vielleicht weil er bei Hofe in Ungnade gefallen war, oder weil er sich anderweitig in Schwierigkeiten befand, die nur ein hoher Anteil an Prisengeld bereinigen würde.

Er sagte sachlich:»Mylord, wir haben keine Zeit zu verlieren. Wenn wir so lange warten, bis Verstärkung aus England eintrifft — und ich weise darauf hin, daß es nur drei Linienschiffe sein werden — , dann ist hier alle Welt hinter uns her. Gewiß, ein Sieg hilft unseren Finanzen, aber vor allem wird er das französischspanische Bündnis ernsthaft schädigen.»

Somervell setzte sich wieder und strich sorgfältig seinen Rock glatt, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Schließlich meinte er gereizt:»Das Geheimnis wird ohnehin bald bekannt sein.»

Bolitho sah ihn die Lippen spitzen und wollte nicht daran denken, daß diese Catherines Hals berührten, ihre Brüste.

Dann lächelte Somervell, als lenke er ein.»Gut, ich stimme zu. Es soll so ablaufen, wie Sie planen. Ich bin ermächtigt, Ihnen jede Unterstützung zu gewähren. «Sein Lächeln verschwand abrupt.»Aber ich kann Ihnen nicht helfen, wenn.»

Bolitho nickte zufrieden.»Gewiß, Mylord, das Wort gt;wennlt; kann für einen Marineoffizier alles bedeuten.»

Er vernahm, daß jemand ein Boot anrief, und vermutete, daß Somervell seinen Abgang wie seine Ankunft auf die Minute genau arrangiert hatte.

«Ich werde sofort Kapitän Haven informieren.»

Somervell hörte nur noch halb hin, meinte aber:»So vage wie möglich. Wenn zwei ein Geheimnis teilen, ist es kein Geheimnis mehr.»

Die Tür ging auf und Ozzard trat ein, Somervells Hut mit größter Sorgfalt balancierend.

Somervell bemerkte noch:»Es freut mich, daß wir uns kennengelernt haben. Aber ich kann mir um nichts in der Welt vorstellen, warum Sie darauf bestanden, diese Aufgabe selbst zu übernehmen. «Er verbeugte sich spöttisch.»War es etwa Todessehnsucht? Denn noch mehr Ruhm haben Sie bestimmt nicht nötig.»

Damit drehte er sich auf dem Absatz um und verließ die Kajüte.

Über die strammstehenden Seesoldaten an der Relingpforte sah er hinweg, desgleichen über Imries schlaksige Gestalt an der Pooptreppe.»Ich könnte mir denken, daß Lady Belinda diesen Drang zu weiteren Siegen, so bald nach dem letzten, ausgesprochen mißbilligt. «Mit einem schiefen Lächeln ging er von Bord.

Bolitho blickte der hübschen, von der Hyperion fortrudernden Barkasse nach. Was hatten sie besprochen und, mehr noch, was war ungesagt geblieben? Was hatte sich beispielsweise Somervell bei seinem Hinweis auf Belinda, seine Frau, gedacht? Wollte er ihn nur reizen, oder konnte er sich nicht zurückhalten, da keiner von beiden auch nur einmal Catherine erwähnt hatte? Haven näherte sich und tippte an seinen Hut.»Irgendwelche

Befehle, Sir Richard?»

Bolitho zog seine Uhr und ließ den Deckel aufspringen. Es war genau Mittag. Ihre Augen trafen sich, und Bolitho fühlte fast körperlich des anderen Zurückhaltung, ja Vorsicht. Er zögerte.»Alle Kommandanten sollen sich im Anschluß an die Nachmittagswache zur Besprechung bei mir melden. Führen Sie sie in meine Kajüte.»

Haven schluckte.»Der Rest unseres Geschwaders ist aber noch auf See, Sir.»

Bolitho sah sich um. Die Ehrenwache war schon weggetreten, nur der Unteroffizier vom Dienst war noch in der Nähe. Er sagte:»Ich habe die Absicht, innerhalb der Woche und sobald genügend Wind unsere Segel füllt, ankerauf zu gehen. Wir segeln nach Südwesten zum Festland und beziehen vor La Guaira Station.»

Havens rötliche, sonnengebräunte Wangen, die zu seiner Haarfarbe paßten, schienen zu erbleichen.»Das sind sechshundert Seemeilen, Sir! Mit diesem Schiff, ohne Unterstützung? Ich weiß nicht, ob.»

Bolitho fixierte ihn scharf.»Haben Sie keinen Mumm oder möchten Sie eine vorzeitige Verabschiedung?«Doch er zügelte sich, weil Haven nicht zurückschlagen konnte, und setzte ruhiger hinzu:»Ich brauche Sie, und auch dieses Schiff braucht Sie. Das ist alles.»

Beim Fortgehen bemerkte er Imrie.»Kommen Sie mit, ich möchte Sie Ihrer Ideen berauben. «Als ein Sonnenstrahl durch die Besanwanten auf ihn fiel, zuckte er zurück. Für Sekunden war sein linkes Auge völlig blind, und er mußte sich zusammennehmen, um nicht vor Schmerz aufzuschreien.

Von Todessehnsucht hatte Somervell gesprochen. Bolitho ertastete sich den Weg ins Achterschiff, wobei ihn Bitterkeit überfiel. Zu viele hatten schon seinetwegen sterben müssen, und auch seine Freunde erlitten durch den Umgang mit ihm nur Schaden.

Imrie duckte sich unnötigerweise und begleitete ihn in das Dunkel des Achterdecks.»Ich habe nachgedacht, Sir Richard, und ein paar Einfalle.»

Seine einfachen Worte waren eine Art Rettungsleine für den Admiral.

Bolitho entgegnete:»Dann wollen wir unseren Durst löschen, während ich zuhöre.»

Als sie verschwunden waren, rief Haven nach dem Signalfähnrich und erklärte dem Jungen Art und Zeit der Übermittlung, wodurch die anderen Kommandanten an Bord gerufen werden sollten. Danach wandte er sich dem erst jetzt herbeieilenden Ersten Leutnant zu. Bevor dieser den Mund aufmachen konnte, fuhr ihn Haven an:»Muß ich auch noch Ihre Aufgaben übernehmen, verdammt noch mal?«Noch im Weggehen schimpfte er:»Bei Gott, wenn Sie sich nicht bessern, lasse ich Sie an Land setzen, für immer!»

Parris starrte ihm nach, nur seine geballten Fäuste verrieten seinen Groll.»Gott verdamme dich!»

Er sah, daß der Fähnrich große Augen machte. Hatte er sich etwa laut ausgelassen? Er grinste müde.»Der Seemann hat ein feines Leben, Mr. Mirrielees, vorausgesetzt, er hält sein Maul!»

Um acht Glasen nachmittags, also um vier Uhr, wurde das Signal an der Rah vorgeheißt. Es fing an.