"Die Seemannsbraut: Sir Richard und die Ehre der Bolithos" - читать интересную книгу автора (Кент Александер)II Ein WiedersehenJohn Allday lugte unter der Krempe seines Hutes hervor und sah die einlaufende Strömung das Wachboot aus dem Kurs drängen. Er legte die Pinne, und Bolithos frisch gestrichene grüne Barkasse folgte dem anderen Boot ohne eine Unterbrechung im Takt der Ruderer. Alldays Ruf als des Admirals persönlicher Bootssteurer war legendär. Er sah über die Bootscrew hinweg, die Gesichter sagten ihm nichts. Das Boot selbst war von ihrem letztem Schiff, der Seine Augen blieben auf Bolithos breiten Schultern haften, und er versuchte die Besorgnis zu unterdrücken, die ihn seit ihrer Rückkehr nach Falmouth begleitete. Trotz der Schmerzen und des Blutzolls der Schlacht hätte es eine stolze Heimkehr sein sollen. Sogar die Verletzung von Bolithos linkem Auge schien weniger schlimm im Vergleich zu dem, was sie zusammen durchgemacht hatten. Das war vor ungefähr einem Jahr passiert, an Bord des kleinen Kutters Sie kamen vom Hafen in Falmouth und hielten an der Kirche, die zu einem Teil von Bolithos Familiengeschichte geworden war. Generationen waren mit ihr verbunden, durch Hochzeiten und Geburten, durch Dank für die Siege auf See, aber auch durch gewaltsamen Tod. Allday war an jenem Sommertag am großen Portal der stillen Kirche stehengeblieben und hatte mit Erstaunen und Trauer gehört, wie Bolitho ihren Namen aussprach: Nur ihren Namen, nichts weiter; und doch hatte ihm das vieles erklärt. Allday hatte bis dahin geglaubt, es würde alles wieder gut, sobald sie erst das graue Haus erreicht hatten. Die schöne Lady Belinda, die zumindest im Aussehen so sehr seiner ersten Frau Cheney glich, würde es schon schaffen, Bolitho zu trösten, wenn sie erst das Ausmaß seines Schmerzes begriff. Vielleicht würde sie seine Qual heilen, die er nie erwähnte, die aber Allday nicht entging. Angenommen, das andere Auge würde in einer Schlacht ebenfalls verletzt? Die Angst so vieler Seeleute und Soldaten, als Krüppel unerwünscht zu sein, quälte auch Bolitho. Alle hatten sie gewartet, um ihn zu begrüßen: Ferguson, der Verwalter, der einen Arm bei den Saintes verloren hatte, was schon eine Million Jahre zurückzuliegen schien; seine rotbäckige Frau Grace, die Haushälterin, und das andere Personal. Es gab Lachen, Hochrufe und eine Menge Tränen obendrein. Doch Belinda und die kleine Elizabeth waren nicht dagewesen. Ferguson sagte, sie hatte in einem Brief ihre Abwesenheit erklärte. Oft genug fand ein heimkehrender Seemann seine Familie in Unkenntnis über sein Kommen, aber hier hätte es in keinem schlimmeren Augenblick geschehen oder Bolitho härter treffen können. Nicht einmal sein junger Neffe Adam, der nun die Brigg Aber Die alte Allday grübelte weiter über Bolitho nach. Wie er sich doch verändert hatte! Ein Schiff folgte dem anderen, sie befuhren verschiedene Meere, aber gewöhnlich blieb der Feind sich gleich. Und Bolitho hatte ihn immer wie einen Freund behandelt, wie einen, der zur Familie gehörte. Das hatte er einmal beiläufig gesagt, aber Allday hatte es wie etwas Kostbares im Gedächtnis bewahrt. Es war schon seltsam, wenn man darüber nachdachte. Einige seiner alten Messegefährten hätten ihn vielleicht sogar damit geneckt, hätte der Respekt vor seinen Fäusten sie nicht zurückgehalten. Aber Allday wie auch Ferguson waren einmal in den Dienst des Königs gepreßt und auf Bolithos Schiff, die Fregatte Er studierte Bolithos altmodischen Nackenzopf, der unter seinem goldbetreßten Hut hervorsah. Noch war er rabenschwarz. Seine Erscheinung blieb jugendlich, so daß er manchmal irrtümlich für Adams älteren Bruder gehalten wurde. Sofern Allday es überhaupt wußte, hatte er das gleiche Alter: siebenundvierzig. Doch während er voller wurde und sein dickes braunes Haar graue Streifen bekam, schien Bolitho nicht zu altern. Allday kannte ihn von allen Seiten: als einen Tiger im Gefecht, aber auch als einen Mann, den es fast zu Tränen rührte, wenn er Schiffe und Menschen in einer Seeschlacht sterben sah. Das Wachboot schwenkte unter dem ausladenden Klüverbaum eines hübschen Schoners durch. Allday beugte sich über die Pinne und hielt den Atem an, als er seine alte Wunde in der Brust brennen fühlte. Nur selten konnte er sie vergessen: die spanische Klinge, die wie aus dem Nichts gekommen war, und Bolitho, der ihn deckte, ihm das Leben rettete. Die Wunde machte ihm Mühe, und es fiel ihm oft schwer, seine Schultern zu straffen, ohne daß Schmerz ihn durchschoß. Bolitho hatte ihm nahegelegt, an Land zu bleiben, wenigstens vorübergehend. Längst bot er ihm nicht mehr die Chance einer Freistellung von der Navy an, der er so gut gedient hatte. Denn er wußte, das hätte Allday fast mehr geschmerzt als die Wunde selbst. Die Barkasse strebte der nächsten Anlegepier zu. Bolithos Finger umklammerten die Scheide seines alten Degens, den er zwischen den Knien hielt. So viele Gefechte hatten sie gemeinsam bestanden, so oft hatten sie sich gefragt, weshalb sie wieder einmal verschont geblieben waren, obwohl so viele andere fielen. «Klar bei Bootshaken!«Allday beobachtete kritisch, wie der Bugmann den Riemen einzog, aufstand und mit dem bereitgehaltenen Haken nach der Pierkette tastete. In ihren geteerten Hüten und karierten Hemden sahen die Leute forsch und schmuck aus, aber es brauchte mehr als Farbe, damit ein Schiff segeln konnte. Auch Allday selbst war eine stattliche Erscheinung, obwohl er sich dessen kaum bewußt war, wenn er nicht gerade das Auge des einen oder anderen Mädchens auf sich zog, was öfter geschah, als er zugab. In seinem blauen Rock mit den goldenen Knöpfen, den ihm Bolitho spendiert hatte, und in seinen Nankingbreeches war er jeder Zoll ein alter Salzwasserbuckel. Das Wachboot machte Platz, der verantwortliche Offizier zog aufstehend den Hut, während die Ruderer zum Gruß ihre Riemen hochstellten. Allday bekam einen Schreck, als sich Bolitho ihm zuwandte, eine Hand überm Auge, um es vor der Helligkeit zu schützen. Er sagte nichts, aber sein Blick war so deutlich, als ob er laut gerufen hätte: eine dringende Bitte, die alle anderen ausschloß. Allday war eine simple Seele, aber er erinnerte sich dieses Blickes noch lange, nachdem Bolitho die Barkasse verlassen hatte. Er machte ihm Sorge und rührte ihn zugleich. Er sah, daß die Bootscrew ihn anstarrte, und brüllte:»Ich hab' schon geschicktere Kerls als ihr aus'm Puff geschmissen. Bei Gott, nächstes Mal strengt euch lieber mehr an, sonst sollt ihr mich kennenlernen!» Flaggleutnant Jenour stieg an Land und lächelte über den Fähnrich, der bei der Schimpfkanonade des Bootssteurers verlegen errötete. Der Flaggleutnant war erst einen Monat bei Bolitho, begann aber schon, die ungewöhnliche Ausstrahlung des Mannes, dem er beigeordnet war, zu begreifen. Wie für den Fähnrich war er auch für ihn ein Held. Bolithos Stimme riß ihn aus seinen Gedanken.»Kommen Sie, Mr. Jenour, das Boot kann warten, der Krieg nicht.» «Aye, aye, Sir Richard. «Jenour grinste und dachte an seine Eltern in Hampshire, die den Kopf geschüttelt hatten, als er ihnen seine Absicht eröffnete, eines Tages Bolithos Adjutant zu werden. Bolitho sah Jenour lächeln und merkte, wie seine Melancholie zurückkehrte. Er wußte, was der junge Leutnant fühlte, weil er früher selbst so gewesen war. In der begrenzten Welt der Navy hing man sehr stark an Freunden. Wenn sie fielen, ging mit ihnen etwas verloren, und das eigene Überleben ersparte einem nicht die Trauer um ihr Verschwinden. Bolitho blieb abrupt an der Treppe zur Pier stehen. Der Erste Leutnant der «Ist Ihnen nicht wohl, Sir Richard?» «Verflucht noch mal, doch!» Aber Bolitho drehte sich sofort um und berührte bedauernd Jenours Ärmel.»Entschuldigen Sie. Mein Rang bringt viele Vorrechte, doch schlechte Manieren gehören nicht dazu.» Er stieg die Treppe hoch, während Jenour ihm nachstarrte. Yovell seufzte, als er schwitzend hinterherkletterte. Der arme Leutnant, er hatte noch eine Menge zu lernen. Man konnte nur hoffen, daß ihm die Zeit dazu vergönnt wurde. Der große Raum war nach der Hitze draußen bemerkenswert kühl. Bolitho saß auf einem Stuhl mit steifer Lehne, nippte an einem Glas Rotwein und wunderte sich, daß er so kalt blieb. Leutnant Jenour und Yovell saßen an einem Nebentisch, der mit Akten und Folianten bedeckt war. Sonderbar, daß in einem anderen Teil desselben Gebäudes Bolitho einmal besorgt auf die Beförderung zum Kommandanten gewartet hatte. Der Wein war gut und sehr leicht. Er merkte, daß sein Glas von einem farbigen Diener sofort nachgefüllt wurde, und nahm sich vor, auf der Hut zu sein. Bolitho genoß einen guten Schluck, doch war es ihm bisher leicht gefallen, dem verbreiteten Laster der Navy, der Trunksucht, zu entgehen. Es führte zu oft zur Schande und dem Kriegsgericht. Er hatte es nur in jenen schwarzen Tagen in Falmouth, als er erwartungsvoll zurückkam, nicht geschafft. Trotzdem — was hatte er eigentlich erwartet? Wie konnte er bestürzt sein und verbittert über Belindas Kälte, wenn in Wahrheit sein Herz bei Cheney geblieben war? Wie still das Haus dalag, als er ruhelos durch seine tiefen Schatten wanderte, mit einer Hand die Kerze vor den strengen Porträts hochhaltend, die er schon kannte, seit er so klein wie Elizabeth gewesen war. Als er am nächsten Morgen aufwachte, ruhte seine Stirn in vergossenen Weinlachen auf dem Tisch. Mit trockenem Mund bemerkte er die leeren Flaschen, konnte sich aber nicht erinnern, sie aus dem Keller geholt zu haben. Das Personal mußte Bescheid gewußt haben. Ferguson hatte ihn noch in Reisekleidung vorgefunden und war hin und her geeilt, um ihm zu helfen. Bolitho mußte die Wahrheit später fast mit Gewalt aus Allday herausholen. Er entsann sich nicht, ihn fortgeschickt zu haben, weil er in seinem Elend allein sein wollte, hörte aber, daß Allday die Nacht gleichfalls vertrunken hatte, in jener Taverne, wo die Wirtstochter immer noch auf ihn wartete. Er hörte, daß der andere Offizier auf ihn einsprach. Das war Kommodore Aubrey Glassport, Direktor der Marinewerft von Antigua und bis zu «Bei einem so ausgedehnten Seegebiet, Sir Richard, tun wir uns schwer, Blockadebrecher oder Piraten zu verfolgen und aufzubringen. Die Franzosen und ihre Verbündeten andererseits…» Bolitho zog die Seekarte heran. Dieselbe alte Geschichte. Nicht genug Fregatten, zu viele Linienschiffe weggeschickt, um die Flotten im Kanal und im Mittelmeer zu verstärken. Über eine Stunde lang hatte er jetzt die Berichte durchgesehen, den tage-und wochenlangen Patrouillen zwischen den zahllosen Inseln die mageren Resultate gegenübergestellt. Gelegentlich riskierte ein wagemutiger Kommandant Leib und Leben, erschien mit seinem Schiff auf einem feindlichen Ankerplatz, brachte eine Prise auf oder veranstaltete ein schnelles Bombardement. Das las sich gut, trug aber wenig dazu bei, den überlegenen Feind ernstlich zu lahmen. Bolithos Mund wurde hart. Nur zahlenmäßig überlegen. Glassport hielt Bolithos Schweigen für Zustimmung und redete weiter. Er war ein rundlicher, bequemer Herr mit gelichtetem Haupthaar und einem Mondgesicht, das mehr von gutem Leben zeugte als vom Kampf gegen die Elemente oder die Franzosen. Er sollte längst verabschiedet sein, wußte Bolitho, aber er hatte Beziehungen im Stützpunkt, also ließ man ihn hier. Seinem Weinkeller nach zu urteilen, unterhielt er ebenso gute Beziehungen zu den Zahlmeistern. Glassport sagte gerade:»Angesichts Ihrer früheren Erfolge, Sir Richard, fühle ich mich geehrt durch Ihren Besuch. Bei Ihrem ersten Hiersein war Amerika wohl ebenfalls gegen uns aktiv? Mit vielen Freibeutern und auch mit der französischen Flotte.» «Die Tatsache, daß wir uns mit Amerika nicht länger im Krieg befinden«, entgegnete Bolitho,»verhindert nicht zwangsläufig internationale Einmischung, auch nicht die zunehmenden amerikanischen Nachschublieferungen an den Feind. «Er legte die Karte aus der Hand.»In den nächsten Wochen wünsche ich mit jeder Patrouille Kontakt aufzunehmen. Haben Sie zur Zeit eine Kurierbrigg hier?«Er bemerkte Glassports plötzliches Erstaunen und seine Unsicherheit. Eine ruhige Existenz ging hier wohl zu Ende.»Ich möchte jeden Kommandanten persönlich sprechen. Können Sie das einrichten?» «Ah, hm — jawohl, Sir Richard.» «Gut.» Bolitho ergriff sein Weinglas und beobachtete die Sonnenreflexe im Stiel. Er neigte es ein wenig nach links und wartete, fühlte Yovells Augen auf sich gerichtet. Und Jenours Neugier. Er fügte hinzu:»Man hat mir gesagt, daß sich Seiner Majestät Generalinspekteur noch in Westindien befindet?» Glassport murmelte unglücklich:»Mein Flaggleutnant weiß genaueres.» Bolitho stutzte, als sich das Bild des Glases zu verwischen begann. War der trübe Schleier diesmal schneller gekommen, oder hatte das ständige Drandenken. «Meine Frage war einfach genug, glaube ich«, fuhr er auf.»Ist er noch hier oder nicht?» Zitterte seine Hand? War er hartherzig, verärgert? Keines von beiden. Nur unsicher wie auf der Pier, als er Jenour angefahren hatte. Ruhiger sprach er weiter:»Er ist doch mehrere Monate hier draußen gewesen, glaube ich.» «Viscount Somervell befindet sich noch in Antigua«, erwiderte Glassport und setzte defensiv hinzu:»Ich habe Grund anzunehmen, daß er mit dem Vorgefundenen zufrieden ist.» Bolitho sagte nichts. Der Generalinspekteur konnte ihm eine zusätzliche Last bei seiner Aufgabe sein. Es schien absurd, jemanden mit so hochtrabend klingendem Titel zu einer Inspektionsreise nach Westindien zu schicken, wenn England, allein im Kampf gegen Frankreich und die Flotten Spaniens stehend, täglich eine Invasion erwartete. Bolithos Instruktionen besagten klar, daß er Viscount Somervell ohne Verzögerung zu treffen hätte, auch wenn dies bedeutete, daß er sich sofort zu einer anderen Insel begeben mußte, Jamaika eingeschlossen. Doch der Gesuchte befand sich hier. Immerhin etwas. Bolitho fühlte sich müde. Er hatte die meisten Offiziere und Beamten des Stützpunkts kennengelernt, zwei Schoner besichtigt, die für die Navy umgebaut wurden, und war bei den Batterien gewesen, wobei Jenour und Glassport Mühe gehabt hatten, mit ihm Schritt zu halten. Er lächelte schwach. Dafür büßte er jetzt. Glassport wartete, bis er an seinem Wein nippte, und bemerkte dann:»Es gibt einen kleinen Empfang für Sie heute abend, Sir Richard. «Er unterbrach sich, als er in die grauen Augen blickte.»Kaum dem Anlaß angemessen, aber er wurde erst arrangiert, nachdem man Ihr. äh, Flaggschiff gemeldet hatte.» Bolitho merkte das Zögern. Noch einer, der an seinem Schiff zweifelte. Glassport mochte eine Absage befürchtet haben, denn er haspelte weiter:»Viscount Somervell erwartet Sie.» «Verstehe. «Ein Wink zu Jenour.»Informieren Sie den Kommandanten.» Als der Leutnant sich abmeldete, sagte Bolitho:»Mein Bootssteurer soll es ihm ausrichten. Sie bleiben bei mir.» Jenour nickte. Er lernte heute eine ganze Menge. Bolitho wartete, bis Yovell ihm den nächsten Stapel Papiere brachte. Glassport sah ihm beim Umblättern zu. Dies also war der Mann hinter der Legende, ein zweiter Nelson, sagten manche. Doch alle Welt wußte, daß Nelson höherenorts nicht sehr beliebt war. Er war der richtige Mann, um eine Flotte zu fuhren. Notwendig. Aber hinterher? Glassport studierte Bolithos gesenkten Kopf, die Strähne über dem Auge. Ein ernstes, empfindsames Gesicht, dachte er, das man sich in den Gefechten, über die er soviel gelesen hatte, schwer vorzustellen vermochte. Er wußte, Bolitho war mehrmals schwer verwundet worden und am Fieber fast gestorben. Aber insgesamt waren das nicht viele Informationen. Ritter des Bath-Ordens, aus einer guten alten Seefahrerfamilie stammend — und England sah in ihm einen Helden: all das, was Glassport gern gewesen wäre und gehabt hätte. Warum war er nach Antigua gekommen? Es bestand wenig oder gar keine Aussicht für ein Unternehmen zur See, selbst vorausgesetzt, die einzelnen Flottillen wurden verstärkt und ein Ersatz für die. Er erschrak, als Bolitho gerade diesen Punkt berührte, als könnten die grauen, zwingenden Augen Gedanken lesen. «Die Spanier haben uns die Fregatte «Vor zwei Monaten, Sir Richard. Sie strandete unter Beschuß. Einer meiner Schoner konnte den größten Teil ihrer Besatzung abbergen, ehe der Feind bei ihr war. Der Schoner machte seine Sache gut. Ich dachte, daß.» «Und der Kommandant der «Befindet sich in St. John's, Sir Richard. Steht zur Verfügung des Kriegsgerichts.» «Wirklich?«Bolitho erhob sich und wandte sich an den eintretenden Jenour.»Wir begeben uns nach St. John's.» Jenour schluckte hart.»Gibt es eine Kutsche, Sir Richard?«Hilfesuchend schaute er Glassport an. Bolitho griff zum Degen.»Aber bestimmt zwei Pferde, mein Junge.» Sein plötzlicher Eifer überraschte ihn selber. War er lediglich ein Ablenkungsmanöver von anderen Sorgen?» Sie sind doch aus Hampshire, richtig?» Jenour nickte.»Jawohl, das heißt.» «In Hampshire kann man reiten. Zwei Pferde — sofort!» Glassport starrte vom einen zum andern.»Aber der Empfang, Sir Richard. «Er schien entsetzt. «Der Ausflug wird mir Appetit machen. «Bolitho lächelte.»Ich bin rechtzeitig zurück.» Bolitho musterte forschend sein Gesicht im Wandspiegel, dann strich er sich die lose Strähne aus der Stirn. Im Spiegel sah er auch Allday und Ozzard, die ihn besorgt beäugten, während sich Stephen Jenour nach ihrem Ritt das Hinterteil massierte. Der Ausflug war heiß und staubig gewesen, aber zunächst unerwartet heiter. Allein schon die Gesichter der Passanten, als sie an ihnen vorüber durch den diesigen Sonnenschein galoppierten, waren sehenswert. Nun war es dunkel, die Dämmerung setzte auf den Inseln früh ein. Bolitho musterte sich sorgfältig, während sein Ohr schon den Klang der Violinen und das dumpfe Gemurmel aus dem Salon auffing, in dem der Empfang stattfand. Ozzard hatte ihm frische Strümpfe von Bord gebracht, Allday den Repräsentationsdegen und ihn gegen das alte Erbstück, das Bolitho trug, ausgewechselt. Bolitho seufzte. Die meisten Kerzen wurden durch hohe Sturmgläser geschützt, daher war die Beleuchtung nicht zu grell. So blieben vielleicht sein zerknittertes Hemd und die Schmutzflecken, die der Sattel auf seinen Breeches hinterlassen hatte, unbemerkt. Sie hatten keine Zeit gefunden, noch zur Commander Matthew Price war für die Führung eines so schönen Schiffes noch reichlich jung. Die Consort mit ihren sechsunddreißig Geschützen hatte sich zwischen einigen Untiefen vor Venezuela durchgewunden, als sie von einer Küstenbatterie unter Feuer genommen wurde. Unglücklicherweise stand sie so dicht unter Land, daß sie auf Grund geriet. Es war schon so, wie Glassport berichtet hatte: Ein Schoner hatte den Großteil der Besatzung abgeborgen, mußte sich aber davonmachen, als ein spanisches Kriegsschiff auf der Bildfläche erschien. Commander Price saß in seinem Alter noch auf keiner Kapitänsplanstelle, und wenn das Kriegsgericht gegen ihn entschied, was sehr wahrscheinlich war, mußte er alles verlieren. Bestenfalls würde man ihn zum Leutnant zurückstufen. Der schlimmste Fall war nicht auszudenken. Während Price in einem kleinen, regierungseigenen Haus die Verhandlung erwartete, hatte er viel zu bedenken. Nicht zuletzt, daß Gefangenschaft oder gar der Tod im Gefecht besser für ihn gewesen wären. Denn sein Schiff war wieder flottgemacht worden und gehörte nun zum Geschwader Seiner Allerkatholischsten Majestät in La Guaira auf dem spanischen Festland. Fregatten aber waren ihr Gewicht in Gold wert, und England bedurfte ihrer immer dringender. Als Bolitho noch im Mittelmeer diente, waren zwischen Gibraltar und der Levante nur sechs Fregatten verfügbar gewesen. Der Vorsitzende der Kriegsgerichtsverhandlung würde dies bei seinen Erwägungen nicht ignorieren können. In seiner Verzweiflung hatte der junge Kommandant den Vizeadmiral gefragt, was wohl bei der Verhandlung herauskommen würde. Bolitho hatte ihm gesagt, er müsse erwarten, die Spitze des Degens auf dem Tisch gegen sich gerichtet zu sehen. Sein Schiff aufs Spiel zu setzen, war eine Sache, es an den verhaßten Feind zu verlieren, war eine völlig andere. Er konnte Price nichts vormachen, das Urteil vermochte er nicht zu beeinflussen. Price hatte viel riskiert, um die spanische Stärke zu erkunden. Zusammen mit dem, was Bolitho schon wußte, konnten seine Informationen äußerst wertvoll sein. Aber dem Kommandanten der Bolitho sagte:»Ich glaube, es ist Zeit. Sind unsere Offiziere schon da?» Jenour nickte und zuckte zusammen, als der Schmerz wieder durch seine Schenkel und Hüften schoß. Der Admiral war ein prächtiger Reiter, und das gleiche hatte er auch von sich selbst gedacht. Bolithos kleiner Scherz über die Leute aus Hampshire hatte ihn angespornt, doch zu keiner Zeit hatte er Bolithos Tempo halten können. Er entgegnete:»Der Erste Leutnant traf mit ihnen ein, als Sie sich umkleideten, Sir Richard.» Bolitho schaute auf seine makellosen Strümpfe hinunter und dachte an die Zeit, als er noch ein kleiner Leutnant mit nur einem feinen Paar Strümpfe für derartige Anlässe gewesen war. Die anderen waren über und über gestopft, ein Wunder, daß sie überhaupt noch zusammengehalten hatten. Dann fiel ihm wieder ein, daß Kapitän Haven ersucht hatte, an Bord bleiben zu dürfen. Haven hatte dies damit begründet, ein Sturm könne ausbrechen und seine rechtzeitige Rückkehr an Bord verhindern. Die Luft war wirklich schwer und feucht und die Sonne blutrot untergegangen. Der Segelmeister der Wenn nur Keen sein Flaggkapitän gewesen wäre! Bolitho hätte ihn nur zu fragen brauchen, und Keen wäre mit ihm gekommen, aus Treue, Freundschaft, Zuneigung. Aber Bolitho hatte Keen genötigt, in England zu bleiben, bis dieser seine Probleme mit der reizenden Zenoria gelöst hatte. Mehr als alles andere hatte Keen sich nämlich gewünscht, das dunkeläugige Mädchen mit dem vollen kastanienbraunen Haar zu heiraten. Sie waren so sehr ineinander verliebt, daß Bolitho es nicht über sich brachte, die beiden wieder zu trennen, kaum daß sie sich gefunden hatten. Verglich er ihre Liebe mit seiner eigenen Ehe? Da hörte er lieber auf, sich Gedanken zu machen. Es war jetzt nicht die rechte Zeit dazu. Vielleicht würde es das niemals mehr sein. Jenour fragte höflich:»Sollen wir gehen, Sir Richard?» Bolitho betastete sein linkes Auge, hielt dann aber inne und starrte statt dessen auf das nächste Sturmglas und seinen zarten Rauchfaden, der kerzengerade zur Decke stieg. Alles war hell und klar. Keine Trübung, keine Schatten, die ihn manchmal so plötzlich behinderten. Zwei Lakaien, die sich bisher zurückgehalten hatten, rissen die hohen Türflügel auf. Musik und Stimmengewirr brandeten in den Raum. Bolitho spannte seine Muskeln, als gälte es, einer Musketenkugel zu widerstehen. Den von Pfeilern flankierten Korridor hinuntergehend, rätselte er über Sinn und Zweck dieses stattlichen Gebäudes auf einer so kleinen Insel. Aber es war eben ein Platz, der durch den Krieg schon öfter ein wichtiger Angelpunkt in Englands Strategie geworden war. Er hörte Jenours Sohlen über die Dielen tappen und lächelte halb über des Leutnants Eifer, mit ihm Kopf an Kopf zu reiten. Sie hatten mehr wie Landjunker ausgesehen als wie Offiziere des Königs. Dann sah er die reichen Farben der Damengewänder, die nackten Schultern und neugierigen Blicke, die ihn empfingen. Sie hatten kaum Zeit seit seiner Ankunft gehabt, wie schon Kommodore Glassport erklärte, aber wahrscheinlich war jeder offizielle Besucher oder ein Schiff aus England hier willkommener Anlaß zum Feiern. Er bemerkte einige Offiziere von der Wieder einmal mußte er sich beherrschen, um nicht nach vertrauten Gesichtern zu suchen oder nach Stimmen; es durfte nicht so aussehen, als ob er einen Handschlag erwarte oder ein Zeichen des Wiedererkennens. Zwischen zwei Pfeilern, einige Stufen erhöht, stand Glassport und blickte ihn an, zweifellos erleichtert, daß Bolitho nach seinem Ritt doch noch gekommen war. Im Mittelpunkt, elegant und unbeschwert, stand eine von Kopf bis Fuß in Weiß gekleidete Gestalt. Bolitho wußte wenig über den Mann, den zu treffen er gekommen war. Der Sehr Ehrenwerte Viscount Somervell, Seiner Majestät Generalinspekteur in der Karibik, schien nicht viel an sich zu haben, das ihn für diesen Posten empfahl. Er war ein bekanntes Gesicht bei Hofe und auf den richtigen Empfängen, ein rücksichtsloser Spieler, wie einige meinten, und ein Fechter von Ruf. Letzterer war wohlbegründet. Man wußte, daß der König sich seinetwegen eingeschaltet hatte, als Somervell einen Mann im Duell tötete. Für Bolitho war das ein vertrautes und zugleich schmerzliches Milieu, für das er nicht bestimmt war. Ein Lakai klopfte mit seinem langen Stab auf die Dielen und verkündete:»Sir Richard Bolitho, Vizeadmiral der Roten Flotte!» Die plötzliche Stille war fast körperlich spürbar. Bolitho sah aller Augen auf sich gerichtet, als er über den Teppich ging. Die Musiker mit ihren Instrumenten standen stockstill, ein junger Marineoffizier, der seinen Partner knuffte, erstarrte, als ihn Bolithos Blick streifte. Dann der kühne Blick einer Lady in so tief ausgeschnittener Robe, daß sie sich überhaupt nicht hätte anzuziehen brauchen, und der eines jungen Mädchens, welches scheu lächelte und dann das Gesicht hinter einem Fächer verbarg. Der Viscount kam ihm zur Begrüßung nicht entgegen. Er stand wie zuvor, eine Hand nachlässig in die Hüfte gestemmt, die andere an der Seite baumelnd. Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln, das sowohl Belustigung als auch Langeweile bedeuten konnte. Seine Gesichtszüge waren die eines Jüngeren, aber er besaß die trägen Augen eines Lebemannes, der schon alles gesehen hatte. «Willkommen in…«Somervell stockte und drehte sich ungehalten um, als ein fahrbarer Kandelaber hinter ihm in den Saal gerollt wurde und ihn um seine elegante Pose brachte. Der überraschend grelle Lichtschein in Augenhöhe kostete Bolitho die Balance, als er eben einen Fuß auf die erste Stufe setzen wollte. Eine Dame in Schwarz, die neben dem Viscount gestanden hatte, ergriff stützend seinen Arm. Durch die vielen Kerzen lugten überraschte und neugierige Gesichter wie auf einem Gemälde. «Pardon, Ma'am!«Bolitho gewann sein Gleichgewicht wieder und versuchte gar nicht erst, sein Auge zu beschatten, als der Schleier darüber hinwegzog. Es war, als fiele er in tiefes Wasser, tiefer und tiefer. «Es geht schon«, versicherte er. Die Robe der Dame war gar nicht schwarz, sondern von dunkelgrün schillernder Seide, die ihre Farbe in Falten und Kurven zu wechseln schien, was das blendende Licht erst jetzt enthüllte. Der Rock war weit geschnitten, das Mieder mit dem tiefen Dekollete eng. Das Haar — soweit er sich entsann, war es lang und so dunkel wie sein eigenes gewesen. Jetzt trug sie es über den Ohren zu Locken aufgetürmt. Die neugierigen Gesichter, das wieder einsetzende Gemurmel, das mutwillige Geschwätz, alles schien vor seinen Augen zu verblassen. Er hatte sie einmal als Catherine Pareja gekannt, als Kate. Er vergaß seine momentane Behinderung, als er ihre Augen sah, in denen Besorgnis einer erzwungenen Ruhe wich. Sie hatte gewußt, daß er kommen würde. Die Überraschung war nur auf seiner Seite. Somervells Stimme schien von weither zu dringen. Auch er tat gelassen, hatte seine Haltung wiedergewonnen.»Natürlich, ich vergaß. Sie beide kennen sich von früher.» Bolitho beugte sich über ihre ausgestreckte Hand. Sogar ihr Parfüm war noch das gleiche. Er hörte sie erwidern:»Das ist lange her.» Als Bolitho sich aufrichtete, wirkte Kate seltsam fern und selbstsicher, fast gleichgültig. Sie setzte hinzu:»Aber einen Helden vergißt man nicht.» Dann bot sie ihrem Gatten den Arm und wandte sich den übrigen Gästen zu. Bolitho war wie ins Herz getroffen. Sie trug die langen, goldenen Filigranohrringe, die er ihr in jener anderen unwirklichen Welt einmal gekauft hatte — in London. Lakaien näherten sich mit Tabletts voll funkelnder Gläser. Das kleine Orchester erwachte wieder zum Leben. Doch über die erhitzten, erregten Gesichter hinweg trafen sich ihre Blicke und schlossen alles andere aus. Glassport sprach ihn an, aber er hörte nicht hin. Trotz allem, was geschehen war, bestand das Band zwischen ihnen immer noch. Aber es mußte zerrissen werden, bevor ihre Gefühle sie beide zerstörten. |
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