"Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" - читать интересную книгу автора (Роулинг Джоан)

Die Widmung dieses Buches ist siebengeteilt: für Neil, für Jessica, für David, für Kenzie, für Di, für Anne und für euch, wenn ihr zu Harry gehalten habt, bis ganz zum Schluss.

Erbteil des fluches,

hässlicher sünde

blutige wunde,

schmerzen, wer trüge sie?

quälen, wer stillte sie?

wehe weh!

Einzig der erbe

heilet des hauses

eiternde wunde,

einzig mit blut'gem schnitt.

götter der finsternis

rief mein lied.

Sel'ge geister drunten in der tiefe,

wenn ihr die beschwörungsrufe hörtet,

bringt den kindern hilfe, bringt den sieg.

Aischylos, Das Opfer am Grabe


Sterben ist nur ein Uebergang aus dieser Welt in die andere, als wenn Freunde über See gehen, welche dennoch in einander fortleben. Denn Diejenigen, die im Allgegenwärtigen lieben und leben, müssen nothwendig einander gegenwärtig seyn. In diesem göttlichen Spiegel sehen sie sich von Angesicht zu Angesicht, und ihr Umgang ist so wohl frey als rein. Und wenn sie auch durch den Tod getrennt werden, so haben sie doch den Trost, daß ihre Freundschaft und Gesellschaft ihnen, dem besten Gefühle nach, beständig gegenwärtig bleibt, weil diese unsterblich ist.

William Penn, Früchte der Einsamkeit. Zweyte Abtheilung


Neunzehn Jahre später

Dieses Jahr schien es überraschend schnell Herbst zu werden. Der Morgen des ersten September war frisch und golden wie ein Apfel, und während die kleine Familie über die holprige Straße auf den großen verrußten Bahnhof zuwackelte, glitzerten der Qualm von Autos und der Atem der Fußgänger wie Spinnennetze in der kalten Luft. Zwei große Käfige klapperten oben auf den schwer beladenen Gepäckwagen, die die Eltern schoben: Die Eulen darin schrien empört, und das rothaarige Mädchen, das sich an den Arm ihres Vaters geklammert hatte, lief heulend hinter ihren Brüdern her.

»Nicht mehr lange, dann darfst du auch gehen«, sagte Harry zu ihr.

»Zwei Jahre«, schniefte Lily. »Ich will jetzt gehen!«

Die Pendler starrten neugierig auf die Eulen, als sich die Familie auf die Absperrung zwischen den Bahnsteigen neun und zehn zuschlängelte.

Mitten in all dem Lärm wehte Albus' Stimme zu Harry zurück; seine Söhne hatten den Streit fortgesetzt, den sie im Auto begonnen hatten.

»Ich will nicht! Ich will nicht nach Slytherin!«

»James, nun lass mal gut sein!«, sagte Ginny.

»Ich hab nur gesagt, dass es bei ihm sein könnte«, erwiderte James und grinste seinen jüngeren Bruder an. »Das stimmt doch auch. Er könnte nach Slytherin kommen -«

Aber James begegnete dem Blick seiner Mutter und verstummte. Die fünf Potters steuerten auf die Absperrung zu. Mit einem etwas hochnäsigen Blick über die Schulter auf seinen jüngeren Bruder übernahm James den Wagen von seiner Mutter und rannte los. Einen Moment später war er verschwunden.

»Ihr schreibt mir doch?«, fragte Albus sofort seine Eltern, indem er es ausnutzte, dass sein Bruder für kurze Zeit nicht dabei war.

»Jeden Tag, wenn du möchtest«, sagte Ginny.

»Nicht jeden Tag«, sagte Albus rasch. »James meint, dass die meisten nur etwa einmal im Monat Briefe von zu Haus kriegen.«

»Wir haben James letztes Jahr dreimal die Woche geschrieben«, sagte Ginny.

»Und glaub am besten nicht alles, was er dir über Hogwarts erzählt«, warf Harry ein. »Der macht gerne mal Späße, dein Bruder.«

Seite an Seite schoben sie den zweiten Gepäckwagen und beschleunigten allmählich ihre Schritte. Als sie die Barriere erreichten, zuckte Albus, doch der Zusammenprall blieb aus. Stattdessen tauchte die Familie auf Bahnsteig neundreiviertel wieder auf, der durch den dichten weißen Dampf verschleiert war, der aus dem scharlachroten Hogwarts-Express quoll. Undeutliche Gestalten schwärmten durch den Nebel, in dem James bereits verschwunden war.

»Wo sind sie?«, fragte Albus beklommen und starrte auf die verschwommenen Wesen, an denen sie auf ihrem Weg über den Bahnsteig vorbeikamen.

»Wir finden sie schon«, beteuerte Ginny.

Aber in dem dichten Dampf war es schwierig, irgendein Gesicht auszumachen. Die Stimmen, die niemandem zu gehören schienen, klangen unnatürlich laut. Harry glaubte Percy zu hören, der volltönend einen Vortrag über Flugbesenvorschriften hielt, und war ziemlich froh über die Ausrede, nicht anhalten und hallo sagen zu müssen ...

»Ich glaube, da sind sie, Al«, sagte Ginny plötzlich.

Eine Gruppe von vier Leuten am allerletzten Waggon tauchte aus dem Nebel auf. Ihre Gesichter waren erst zu erkennen, als Harry, Ginny, Lily und Albus direkt vor ihnen standen.

»Hi«, sagte Albus und er klang ungeheuer erleichtert.

Rose, die bereits ihren brandneuen Hogwarts-Umhang trug, strahlte ihn an.

»Gut eingeparkt, ja?«, fragte Ron Harry. »Ich jedenfalls schon. Hermine hat nicht geglaubt, dass ich eine Fahrprüfung bei den Muggeln bestehen könnte, stimmt's? Sie dachte, ich müsste dem Prüfer einen Verwechslungszauber auf den Hals jagen.«

»Nein, dachte ich nicht«, sagte Hermine. »Ich hatte vollstes Vertrauen in dich.«

»Übrigens hab ich ihm tatsächlich einen verpasst«, flüsterte Ron Harry zu, als sie gemeinsam Albus' Koffer und Eule auf den Zug hoben. »Ich hab nur vergessen, in den Seitenspiegel zu schauen, und ehrlich gesagt, dafür kann ich auch einen Superspürsinns-Zauber benutzen.«

Zurück auf dem Bahnsteig, stellten sie fest, dass Lily und Hugo, Rose'

jüngerer Bruder, eine angeregte Diskussion darüber führten, in welches Haus der Sprechende Hut sie stecken würde, wenn sie endlich nach Hogwarts gehen würden.

»Wenn du nicht nach Gryffindor kommst, enterben wir dich«, sagte Ron, »aber mach dir bloß keinen Stress.«

»Ron!«

Lily und Hugo lachten, aber Albus und Rose machten ernste Gesichter.

»Er meint es nicht so«, sagten Hermine und Ginny, aber Ron schenkte ihnen keine Beachtung mehr. Er suchte Harrys Blick und nickte verstohlen zu einer etwa fünfzig Meter entfernten Stelle hin. Der Dampf hatte sich für einen Moment gelichtet und vor dem wabernden Nebel hoben sich deutlich die Umrisse dreier Menschen ab.

»Schau, wer da ist.«

Draco Malfoy stand dort, mit Frau und Sohn, in einen dunklen Mantel gehüllt, der bis zur Kehle zugeknöpft war.

Seine Stirn wurde schon etwas kahl, was das spitze Kinn noch deutlicher hervorhob. Sein Junge, der ebenfalls neu in die Schule kam, ähnelte Draco ebenso sehr, wie Albus Harry ähnelte. Draco bemerkte, dass Harry, Ron, Hermine und Ginny ihn anstarrten, worauf er kurz nickte und sich wieder abwandte.

»Das ist also der kleine Scorpius«, sagte Ron mit leiser Stimme. »Pass bloß auf, dass du ihn in jeder Prüfung schlägst, Rosie. Gott sei Dank hast du den Grips deiner Mutter geerbt.«

»Ron, um Himmels willen«, sagte Hermine, halb streng, halb belustigt.

»Hetz sie doch nicht gegeneinander auf, noch ehe sie mit der Schule angefangen haben!«

»Du hast Recht, tut mir leid«, sagte Ron, konnte es sich jedoch nicht verkneifen, hinzuzufügen: »Sieh aber zu, dass du dich nicht allzu sehr mit ihm anfreundest, Rosie. Großpapa Weasley würde es dir nie verzeihen, wenn du einen Reinblüter heiraten würdest.«

»Hey!«

James war wiederaufgetaucht; er war seinen Koffer, seine Eule und den Gepäckwagen losgeworden und platzte offensichtlich vor Neuigkeiten.

»Dahinten ist Teddy«, sagte er atemlos und wies über die Schulter zurück in die wogenden Dampfwolken. »Hab ihn eben gesehen! Und ratet mal, was er macht? Er knutscht mit Victoire!«

Er starrte zu den Erwachsenen hoch, offenbar enttäuscht, dass sie gar nicht reagierten.

»Unser Teddy! Teddy Lupin! Knutscht mit unserer Victoire! Unserer Cousine! Und ich hab Teddy gefragt, was er da treibt -«

»Du hast sie gestört?«, sagte Ginny. »Du bist ja haargenau wie Ron -«

»- und er meinte, er wäre gekommen, um sie zu verabschieden! Und dann hat er zu mir gesagt, dass ich verschwinden soll. Er knutscht mit ihr!«, fügte James hinzu, als ob er Sorge hätte, sich nicht klar ausgedrückt zu haben.

»Oh, es war wunderbar, wenn sie heiraten würden!«, flüsterte Lily entzückt. »Dann würde Teddy wirklich zu unserer Familie gehören!«

»Er kommt ja jetzt schon ungefähr viermal die Woche zum Abendessen«, sagte Harry. »Warum laden wir ihn nicht einfach ein, bei uns zu leben, und lassen es damit gut sein?«

»Jaah!«, sagte James begeistert. »Mir macht es nichts aus, ein Zimmer mit Al zusammen zu haben – Teddy könnte meins kriegen!«

»Nein«, sagte Harry bestimmt, »du und Al werdet euch erst dann ein Zimmer teilen, wenn ich das Haus zum Abriss freigebe.«

Er sah auf die lädierte alte Uhr, die einst Fabian Prewett gehört hatte.

»Es ist fast elf, ihr steigt jetzt besser ein.«

»Vergiss nicht, Neville liebe Grüße von uns auszurichten!«, sagte Ginny zu James, während sie ihn umarmte.

»Mum! Ich kann einem Professor doch nicht liehe Grüße ausrichten!«

»Aber du kennst Neville doch -«

James verdrehte die Augen.

»Draußen ja, aber in der Schule ist er Professor Longbottom, oder? Ich kann doch nicht in Kräuterkunde gehen und ihm liebe Grüße ausrichten ...«

Er schüttelte den Kopf über seine törichte Mutter und machte seinen Gefühlen Luft, indem er seinem Bruder einen Tritt verpasste.

»Wir sehen uns später, Al. Nimm dich vor den Thestralen in Acht.«

»Ich dachte, die wären unsichtbar? Du hast gesagt, die wären unsichtbar!«

Aber James lachte nur, erlaubte seiner Mutter, ihn zu küssen, umarmte flüchtig seinen Vater und sprang dann auf den sich rasch füllenden Zug. Sie sahen ihn winken, dann spurtete er den Gang entlang, um nach seinen Freunden zu suchen.

»Vor Thestralen muss man keine Angst haben«, erklärte Harry Albus.

»Das sind freundliche Wesen, die sind überhaupt nicht gruselig. Außerdem werdet ihr nicht in den Kutschen zur Schule gefahren, sondern in den Booten.«

Ginny küsste Albus zum Abschied.

»Wir sehen uns an Weihnachten.«

»Mach's gut, Al«, sagte Harry, als sein Sohn ihn umarmte. »Vergiss nicht, dass Hagrid dich für nächsten Freitag zum Tee eingeladen hat. Treib dich nicht mit Peeves rum. Kämpf mit keinem, ehe du gelernt hast, wie es geht. Und lass dich von James nicht auf den Arm nehmen.«

»Was ist, wenn ich ein Slytherin werde?«

Die geflüsterten Worte waren allein für seinen Vater bestimmt, und Harry wusste, nur der Moment der Abreise hatte Albus zu dem Eingeständnis bringen können, wie groß und ehrlich diese Furcht war.

Harry kauerte sich nieder, so dass Albus' Gesicht ein wenig über seinem eigenen war. Albus hatte als einziges von Harrys drei Kindern Lilys Augen geerbt.

»Albus Severus«, sagte Harry leise, so dass niemand außer Ginny es hören konnte, die taktvollerweise so tat, als würde sie Rose zuwinken, die schon im Zug war, »du bist nach zwei Schulleitern von Hogwarts benannt.

Einer von ihnen war ein Slytherin, und er war wahrscheinlich der mutigste Mann, den ich je kannte.«

»Aber, nur mal angenommen -«

»- dann wird das Haus Slytherin einen ausgezeichneten Schüler gewonnen haben, nicht wahr? Es spielt für uns keine Rolle, Al. Aber wenn es dir wichtig ist, dann kannst du dich für Gryffindor und gegen Slytherin entscheiden. Der Sprechende Hut berücksichtigt deine Wahl.«

»Wirklich? «

»Bei mir hat er das auch getan«, sagte Harry.

Das hatte er noch keinem seiner Kinder erzählt, und als er es sagte, sah er Erstaunen in Albus' Gesicht. Doch nun schlugen die Türen den ganzen scharlachroten Zug entlang zu, und die verschwommenen Silhouetten der Eltern strömten zu Abschiedsküssen und allerletzten Ermahnungen herbei.

Albus sprang in den Waggon und Ginny schloss die Tür hinter ihm.

Schüler lehnten sich ganz in ihrer Nähe aus den Fenstern. Eine Vielzahl von Gesichtern, im Zug wie auf dem Bahnsteig, war offenbar Harry zugewandt.

»Warum glotzen die alle so?«, wollte Albus wissen, während er und Rose die Hälse reckten, um einen Blick auf die anderen Schüler zu werfen.

»Mach dir darüber keine Gedanken«, sagte Ron. »Es ist wegen mir. Ich bin extrem berühmt.«

Albus, Rose, Hugo und Lily lachten. Der Zug setzte sich in Bewegung, und Harry ging neben ihm her und beobachtete das schmale Gesicht seines Sohnes, das schon glühte vor Aufregung. Harry lächelte und winkte unentwegt, auch wenn es wie ein kleiner schmerzlicher Verlust war, seinen Sohn von sich weggleiten zu sehen ...

Die letzten Dampfschwaden lösten sich in der Herbstluft auf. Der Zug fuhr in eine Kurve. Harry hatte immer noch die Hand zum Abschied erhoben.

»Er wird es schon schaffen«, murmelte Ginny.

Als Harry sie ansah, ließ er gedankenverloren die Hand sinken und berührte die Blitznarbe auf seiner Stirn.

»Ich weiß, das wird er.«

Die Narbe hatte Harry seit neunzehn Jahren nicht geschmerzt. Alles war gut.