"Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" - читать интересную книгу автора (Роулинг Джоан)

Die Widmung dieses Buches ist siebengeteilt: für Neil, für Jessica, für David, für Kenzie, für Di, für Anne und für euch, wenn ihr zu Harry gehalten habt, bis ganz zum Schluss.

Erbteil des fluches,

hässlicher sünde

blutige wunde,

schmerzen, wer trüge sie?

quälen, wer stillte sie?

wehe weh!

Einzig der erbe

heilet des hauses

eiternde wunde,

einzig mit blut'gem schnitt.

götter der finsternis

rief mein lied.

Sel'ge geister drunten in der tiefe,

wenn ihr die beschwörungsrufe hörtet,

bringt den kindern hilfe, bringt den sieg.

Aischylos, Das Opfer am Grabe


Sterben ist nur ein Uebergang aus dieser Welt in die andere, als wenn Freunde über See gehen, welche dennoch in einander fortleben. Denn Diejenigen, die im Allgegenwärtigen lieben und leben, müssen nothwendig einander gegenwärtig seyn. In diesem göttlichen Spiegel sehen sie sich von Angesicht zu Angesicht, und ihr Umgang ist so wohl frey als rein. Und wenn sie auch durch den Tod getrennt werden, so haben sie doch den Trost, daß ihre Freundschaft und Gesellschaft ihnen, dem besten Gefühle nach, beständig gegenwärtig bleibt, weil diese unsterblich ist.

William Penn, Früchte der Einsamkeit. Zweyte Abtheilung


Der Dunkle Lord erhebt sich

Die beiden Männer kamen aus dem Nichts, erschienen wenige Meter voneinander entfernt auf dem schmalen, mondhellen Weg. Einen Augenblick verharrten sie reglos, die Zauberstäbe einander auf die Brust gerichtet; dann erkannten sie sich, verbargen die Zauberstäbe unter ihren Umhängen und gingen rasch in dieselbe Richtung.

»Neuigkeiten?«, fragte der Größere der beiden.

»Hervorragende«, antwortete Severus Snape.

Der Weg war links von niedrigen wilden Brombeersträuchern gesäumt, rechts von einer säuberlich beschnittenen hohen Hecke. Die langen Umhänge schlugen den Männern beim Gehen um die Knöchel.

»Dachte schon, ich war zu spät«, sagte Yaxley, dessen grobe Gesichtszüge immer wieder nicht zu sehen waren, wenn das Mondlicht von den Ästen überhängender Bäume gebrochen wurde. »War etwas komplizierter, als ich erwartet hatte. Aber ich hoffe, er wird zufrieden sein.

Du bist dir wohl sicher, dass du freundlich empfangen wirst?«

Snape nickte, sagte aber nichts weiter. Sie bogen nach rechts in eine breite Zufahrt ein, die vom Weg abzweigte. Auch die hohe Hecke machte einen Bogen und zog sich weiter, über das imposante schmiedeeiserne Doppeltor hinaus, das den Männern den Weg versperrte. Keiner der beiden hielt inne: Stumm hoben sie den linken Arm wie zum Gruß und gingen mitten hindurch, als wäre das dunkle Metall aus Rauch.

Die Eibenhecken dämpften das Geräusch ihrer Schritte. Irgendwo zu ihrer Rechten raschelte es. Yaxley zog erneut seinen Zauberstab und zielte damit über den Kopf seines Begleiters, doch das Rascheln stammte nur von einem makellos weißen Pfau, der majestätisch auf der Hecke entlangstolzierte.

»Hat es sich immer gut gehen lassen, Lucius. Pfauen ...« Schnaubend schob Yaxley den Zauberstab wieder unter seinen Umhang.

Am Ende des geraden Zufahrtsweges nahm ein stattliches Herrenhaus in der Dunkelheit Gestalt an, in den Rautenfenstern im unteren Stockwerk schimmerten Lichter. Irgendwo in dem dunklen Garten hinter der Hecke plätscherte ein Brunnen. Snape und Yaxley eilten über knirschenden Kies zur Haustür, die nach innen schwang, als sie sich näherten, ohne dass irgendjemand zu sehen war, der sie geöffnet hätte.

Die große Eingangshalle war schwach beleuchtet und luxuriös ausgestattet, ein prächtiger Teppich bedeckte fast den gesamten steinernen Boden. Die Augen der fahlgesichtigen Porträts an den Wänden folgten Snape und Yaxley, während sie vorbeigingen. Die beiden Männer blieben vor einer massiven Holztür stehen, die in den nächsten Raum führte, und zögerten einen Herzschlag lang, dann drückte Snape die bronzene Türklinke herunter.

Der Salon war voller Menschen, die schweigend an einem langen verzierten Tisch saßen. Die eigentlichen Möbel des Raumes waren achtlos an die Wände geschoben worden. Licht kam von einem prasselnden Feuer unter einem hübschen marmornen Kaminsims, über dem ein goldener Spiegel aufragte. Snape und Yaxley blieben einen Moment auf der Schwelle stehen. Während ihre Augen sich an das spärliche Licht gewöhnten, lenkte ein äußerst merkwürdiges Detail der Szenerie ihren Blick nach oben: Eine offenbar bewusstlose menschliche Gestalt hing mit dem Kopf nach unten über dem Tisch und drehte sich langsam um sich selbst, wie an einem unsichtbaren Seil aufgehängt und reflektiert in dem Spiegel und in der leeren, polierten Tischfläche unter ihr. Keiner der vor diesem seltsamen Anblick Versammelten nahm Notiz davon, außer ein blasser junger Mann, der beinahe direkt daruntersaß. Er konnte anscheinend nicht an sich halten und spähte etwa im Minutenabstand nach oben.

»Yaxley. Snape«, sagte eine hohe, klare Stimme vom Kopfende des Tisches her. »Ihr kommt äußerst spät.«

Der gesprochen hatte, saß direkt vor dem Kamin, weshalb es für die Neuankömmlinge zunächst schwierig war, mehr als seine Silhouette zu erkennen. Als sie jedoch näher traten, leuchtete sein Gesicht durch die Düsternis, haarlos, schlangenähnlich, mit Schlitzen als Nasenlöchern und funkelnden roten Augen mit senkrechten Pupillen. Er war so blass, dass ein perlmuttartiger Glanz von ihm auszugehen schien.

»Severus, hierher«, sagte Voldemort und deutete auf den Platz direkt zu seiner Rechten. »Yaxley – neben Dolohow.«

Die beiden Männer nahmen die ihnen zugewiesenen Plätze ein. Fast alle am Tisch folgten Snape mit den Blicken, und er war es auch, den Voldemort zuerst ansprach.

»Nun?«

»Herr, der Orden des Phönix hat die Absicht, Harry Potter am nächsten Samstag bei Einbruch der Dunkelheit von seinem gegenwärtigen sicheren Aufenthaltsort wegzubringen.«

Rund um den Tisch wurde das Interesse spürbar stärker: Manche erstarrten, andere rutschten unruhig auf ihren Stühlen hin und her, alle sahen wie gebannt zu Snape und Voldemort.

»Samstag ... bei Einbruch der Dunkelheit«, wiederholte Voldemort.

Seine roten Augen fixierten Snapes schwarze mit solcher Eindringlichkeit, dass einige Zuschauer wegsahen, offenbar aus Angst, sie selbst könnten von dem flammenden Blick versengt werden. Snape jedoch schaute ruhig zurück in Voldemorts Gesicht, und nach ein, zwei Augenblicken krümmte sich Voldemorts lippenloser Mund zu einer Art Lächeln.

»Gut. Sehr gut. Und diese Information stammt -«

»Von der Quelle, über die wir gesprochen haben«, sagte Snape.

»Herr.«

Yaxley hatte sich vorgeneigt und blickte über den langen Tisch zu Voldemort und Snape. Alle Gesichter wandten sich ihm zu.

»Herr, ich habe anderes gehört.«

Yaxley wartete, doch Voldemort sagte nichts, deshalb fuhr er fort:

»Dawlish, der Auror, hat beiläufig erwähnt, dass Potter erst am Dreißigsten fortgebracht wird, in der Nacht bevor er siebzehn wird.«

Snape lächelte.

»Meine Quelle hat mir gesagt, dass man plant, eine falsche Spur zu legen; das wird sie wohl sein. Dawlish wurde mit Sicherheit einem Verwechslungszauber unterworfen. Es wäre nicht das erste Mal, er gilt als anfällig.«

»Herr, ich versichere Euch, Dawlish schien absolut überzeugt«, sagte Yaxley.

»Wenn er unter einem Verwechslungszauber steht, dann ist er natürlich überzeugt«, sagte Snape. »Ich versichere dir, Yaxley, dass das Aurorenbüro beim Schutz von Harry Potter in Zukunft keine Rolle mehr spielen wird.

Der Orden glaubt, dass wir das Ministerium infiltriert haben.«

»Da liegt der Orden dann mal richtig, was?«, sagte ein untersetzter Mann, der unweit von Yaxley saß; er brach in ein pfeifendes Kichern aus, das hie und da den Tisch entlang erwidert wurde.

Voldemort lachte nicht. Sein Blick war nach oben gewandert, zu dem Körper, der sich langsam über den Köpfen drehte, und er war offenbar in Gedanken versunken.

»Herr«, fuhr Yaxley fort, »Dawlish glaubt, dass sie einen ganzen Trupp von Auroren einsetzen werden, um den Jungen wegzubringen -«

Voldemort hob eine große weiße Hand, und Yaxley verstummte sofort und sah grollend zu, wie Voldemort sich wieder an Snape wandte.

»Wo wollen sie den Jungen als Nächstes verstecken? «

»Im Haus eines Ordensmitglieds«, sagte Snape. »Der Ort bekam der Quelle zufolge sämtlichen Schutz, den der Orden und das Ministerium gemeinsam aufbieten können. Ich denke, wenn er einmal dort ist, haben wir kaum Chancen, ihn zu fangen, Herr, es sei denn natürlich, das Ministerium fällt vor dem nächsten Samstag. Dann hätten wir vielleicht die Möglichkeit, genügend von diesen Zauberbannen zu finden und aufzuheben, um auch die restlichen durchbrechen zu können.«

»Nun, Yaxley?«, rief Voldemort den Tisch hinunter und der Feuerschein glitzerte seltsam in seinen roten Augen. »Wird das Ministerium bis nächsten Samstag gefallen sein?«

Erneut drehten sich alle Köpfe. Yaxley straffte die Schultern.

»Herr, dazu habe ich gute Neuigkeiten. Es ist mir – unter Schwierigkeiten und mit großer Mühe – gelungen, Pius Thicknesse einem Imperius-Fluch zu unterwerfen.«

Viele um Yaxley herum wirkten beeindruckt; sein Nachbar, Dolohow, ein Mann mit einem langen, verzerrten Gesicht, klopfte ihm auf den Rücken.

»Das ist ein Anfang«, sagte Voldemort. »Aber Thicknesse ist nur ein einziger Mann. Scrimgeour muss von unseren Leuten umringt sein, ehe ich handle. Ein gescheiterter Anschlag auf das Leben des Ministers würde mich weit zurückwerfen.«

»Ja – Herr, das ist wahr – aber Ihr wisst, dass Thicknesse als Leiter der Abteilung für Magische Strafverfolgung nicht nur zum Minister persönlich regelmäßigen Kontakt hat, sondern auch zu den Leitern aller anderen Ministeriumsabteilungen. Nun, da wir einen so hochrangigen Beamten unter unserer Kontrolle haben, wird es, denke ich, leicht sein, auch die anderen zu unterwerfen, und dann können sie alle gemeinsam daran arbeiten, Scrimgeour zu stürzen.«

»Vorausgesetzt, dass unser Freund Thicknesse nicht entdeckt wird, ehe er die anderen umgedreht hat«, sagte Voldemort. »Jedenfalls bleibt es unwahrscheinlich, dass das Ministerium vor nächstem Samstag in meiner Hand ist. Wenn wir nicht an seinem Bestimmungsort an den Jungen herankommen, dann muss es getan werden, während er unterwegs ist.«

»Hier sind wir im Vorteil, Herr«, sagte Yaxley, der offenbar unbedingt ein gewisses Maß an Lob einheimsen wollte. »Wir haben inzwischen mehrere Leute in die Abteilung für Magisches Transportwesen eingeschleust. Wenn Potter appariert oder das Flohnetzwerk benutzt, werden wir das sofort erfahren.«

»Er wird weder das eine noch das andere tun«, sagte Snape. »Der Orden vermeidet jede Transportart, die vom Ministerium überwacht oder geregelt wird; sie misstrauen allem, was mit denen zu tun hat.«

»Umso besser«, sagte Voldemort. »Er wird aus der Deckung kommen müssen. Da ist er leichter zu fassen, wesentlich leichter.«

Voldemort sah wieder zu dem sich langsam drehenden Körper hoch, während er fortfuhr: »Ich werde mich persönlich um den Jungen kümmern.

Was Harry Potter anbelangt, hat es zu viele Fehler gegeben. Manche davon waren meine eigenen. Dass Potter noch lebt, ist mehr meinen Irrtümern zuzuschreiben als seinen Erfolgen.«

Die Tischgesellschaft beobachtete Voldemort besorgt, ihren Mienen nach hatten sie alle Angst, womöglich dafür verantwortlich gemacht zu werden, dass Harry Potter immer noch am Leben war. Voldemort jedoch, weiterhin dem bewusstlosen Körper über ihm zugewandt, schien mehr mit sich selbst zu sprechen als mit irgendeinem von ihnen.

»Ich war leichtsinnig, und so haben Glück und Zufall, die alles zerstören außer die bestgeschmiedeten Pläne, meine Vorhaben vereitelt. Aber jetzt weiß ich es besser. Ich habe die Dinge begriffen, die ich früher nicht begriffen habe. Ich muss derjenige sein, der Harry Potter tötet, und der werde ich sein. «

Bei diesen Worten, und offenbar als Antwort darauf, ertönte ein plötzliches Wehklagen, ein schrecklicher, lang gezogener Schrei voller Qual und Schmerz. Viele der um den Tisch Versammelten blickten verdutzt nach unten, denn der Schrei schien unter ihren Füßen hervorgedrungen zu sein.

»Wurmschwanz«, sagte Voldemort, ohne dass sich an seinem ruhigen, nachdenklichen Ton etwas verändert hätte und ohne dass er die Augen von dem sich drehenden Körper hoch oben abwandte, »habe ich dir nicht Anweisung gegeben, unseren Gefangenen ruhig zu halten?«

»J-ja, Herr«, keuchte ein kleiner Mann an der unteren Hälfte des Tisches, der so tief versunken dagesessen hatte, dass es auf den ersten Blick aussah, als wäre sein Stuhl leer. Nun kletterte er von seinem Sitz, huschte aus dem Raum und hinterließ dabei nichts als ein merkwürdiges silbernes Schimmern.

»Wie ich gerade sagte«, fuhr Voldemort fort und blickte wieder in die gespannten Gesichter seiner Anhänger, »ich habe etwas begriffen. Ich werde mir zum Beispiel von einem von euch einen Zauberstab ausleihen müssen, ehe ich mich auf den Weg mache, um Potter zu töten.«

Die Gesichter um ihn herum zeigten schieres Entsetzen; er hätte genauso gut ankündigen können, dass er sich einen ihrer Arme ausleihen wolle.

»Keine Freiwilligen?«, sagte Voldemort. »Wir werden sehen ... Lucius, ich wüsste keinen Grund, warum du noch einen Zauberstab besitzen solltest.«

Lucius Malfoy blickte auf. Im Schein des Feuers wirkte seine Haut gelblich und wächsern, seine Augen lagen tief in ihren Höhlen und waren umschattet. Als er sprach, war seine Stimme heiser.

»Herr?«

»Deinen Zauberstab, Lucius. Ich verlange deinen Zauberstab.«

»Ich ...«

Malfoy warf einen Seitenblick auf seine Frau. Sie starrte geradeaus, nicht minder blass als er, mit langen blonden Haaren, die ihr über den Rücken fielen, doch unter dem Tisch umschlossen ihre schlanken Finger kurz sein Handgelenk. Bei dieser Berührung schob Malfoy die Hand unter seinen Umhang, zog einen Zauberstab heraus und reichte ihn Voldemort, der ihn vor seine roten Augen hielt und scharf musterte.

»Woraus ist er?«

»Ulme, Herr«, flüsterte Malfoy.

»Und der Kern?«

»Drachen – Drachenherzfaser.«

» Gut«, sagte Voldemort. Er zog seinen eigenen Zauberstab hervor und verglich die Längen.

Lucius Malfoy machte eine unwillkürliche Bewegung; für den Bruchteil einer Sekunde schien es, als erwartete er, Voldemorts Zauberstab im Austausch gegen seinen eigenen zu bekommen. Voldemort entging die Geste nicht und seine Augen weiteten sich gehässig.

»Dir meinen Zauberstab geben, Lucius? Meinen Zauberstab?«

Einige der Versammelten kicherten.

»Ich habe dir die Freiheit gegeben, Lucius, ist dir das nicht genug? Mir ist jedoch aufgefallen, dass du und deine Familie in letzter Zeit alles andere als glücklich ausseht... Was missfällt dir an meiner Anwesenheit hier in deinem Haus, Lucius?«

»Nichts – nichts, Herr!«

»Solche Lügen, Lucius ...«

Die sanfte Stimme schien weiterzuzischen, auch als der unbarmherzige Mund sich nicht mehr bewegte. Der ein oder andere Zauberer unterdrückte mühsam ein Schaudern, als das Zischen lauter wurde; sie hörten, wie etwas Schweres unter dem Tisch über den Boden glitt.

Die riesige Schlange tauchte auf und kroch langsam an Voldemorts Stuhl empor. Sie kam immer höher, scheinbar unendlich lang, und blieb über Voldemorts Schultern liegen: Ihr Hals war dick wie der Oberschenkel eines Mannes; ihre Augen mit den senkrechten Schlitzen als Pupillen blinzelten nicht. Voldemort streichelte das Geschöpf geistesabwesend mit seinen langen, dünnen Fingern, während er immer noch zu Lucius Malfoy sah.

»Warum wirken die Malfoys so unglücklich über ihr Los? Ist meine Rückkehr, mein Aufstieg zur Macht, nicht genau das, was sie angeblich so viele Jahre lang ersehnt haben?«

»Natürlich, Herr«, sagte Lucius Malfoy. Mit zitternder Hand wischte er sich Schweiß von der Oberlippe. »Wir haben es ersehnt – wir tun es immer noch.«

Links neben Malfoy nickte seine Frau auf eine merkwürdige, steife Art, die Augen von Voldemort und der Schlange abgewandt. Rechts neben ihm warf sein Sohn Draco, der die ganze Zeit zu dem trägen Körper oben hinaufgestarrt hatte, einen kurzen Blick auf Voldemort und sah gleich wieder weg, aus Angst, ihre Blicke könnten sich kreuzen.

»Herr«, sagte eine dunkelhaarige Frau an der unteren Hälfte des Tisches mit vor Erregung erstickter Stimme, »es ist eine Ehre, Euch hier im Haus unserer Familie zu haben. Es kann keine höhere Freude geben.«

Sie saß neben ihrer Schwester, der sie mit ihrem dunklen Haar und den schweren Augenlidern im Aussehen ebenso wenig ähnelte wie in Haltung und Gebaren; während Narzissa starr und teilnahmslos dasaß, beugte sich Bellatrix zu Voldemort hin, denn Worte allein konnten ihr Verlangen nach Nähe nicht zum Ausdruck bringen.

»Keine höhere Freude«, wiederholte Voldemort, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt, indem er Bellatrix musterte. »Bei dir, Bellatrix, heißt das eine ganze Menge.«

Röte stieg ihr ins Gesicht; aus ihren Augen quollen Freudentränen.

»Ihr wisst, Herr, dass ich nichts als die Wahrheit sage!«

»Keine höhere Freude ... sogar im Vergleich zu dem glücklichen Ereignis, das, wie ich höre, diese Woche in deiner Familie stattgefunden hat? «

Sie starrte ihn an, mit geöffneten Lippen, offensichtlich verwirrt.

»Ich weiß nicht, was Ihr meint, Herr.«

»Ich spreche von deiner Nichte, Bellatrix. Und von eurer, Lucius und Narzissa. Sie hat soeben den Werwolf geheiratet, Remus Lupin. Wie stolz ihr sein müsst.«

Höhnisches Gelächter brach um den Tisch herum aus. Viele beugten sich vor und tauschten hämische Blicke; einige schlugen mit den Fäusten auf den Tisch. Die große Schlange, der die Unruhe nicht behagte, öffnete weit das Maul und zischte wütend, doch die Todesser hörten es nicht, so sehr freuten sie sich über die Demütigung von Bellatrix und den Malfoys.

Bellatrix' Gesicht, eben noch strahlend vor Glück, hatte ein hässliches, fleckiges Rot angenommen.

»Sie ist keine Nichte von uns, Herr«, rief sie durch den allgemeinen Ausbruch von Heiterkeit. »Wir – Narzissa und ich -haben unsere Schwester nicht mehr zu Gesicht bekommen, seit sie den Schlammblüter geheiratet hat. Diese Göre hat mit keiner von uns etwas zu tun, ebenso wenig wie irgendein Biest, das sie heiratet.«

»Was sagst du dazu, Draco?«, fragte Voldemort, und obwohl seine Stimme leise war, übertönte sie die Pfiffe und das Hohngelächter. »Wirst du den Babysitter für die Bälger spielen?«

Die Stimmung wurde noch ausgelassener; Draco Malfoy schaute bestürzt seinen Vater an, der in seinen eigenen Schoß hinabstarrte, dann erhaschte er den Blick seiner Mutter. Sie schüttelte beinahe unmerklich den Kopf, dann starrte auch sie wieder ausdruckslos auf die Wand gegenüber.

»Genug«, sagte Voldemort und streichelte die zornige Schlange.

»Genug.«

Und das Gelächter erstarb augenblicklich.

»Viele unserer ältesten Familienstammbäume werden mit der Zeit etwas kränklich«, sagte er, während Bellatrix atemlos und flehentlich zu ihm hinsah. »Man muss seinen Baum stutzen, damit er gesund bleibt, nicht wahr? Die Teile wegschneiden, welche die Gesundheit des Übrigen bedrohen.«

»Ja, Herr«, flüsterte Bellatrix und ihre Augen schwammen erneut in Tränen vor Dankbarkeit. »Bei erster Gelegenheit!«

»Die sollst du bekommen«, sagte Voldemort. »Und wie in deiner Familie, so auch in der Welt... Wir werden das Krebsgeschwür wegschneiden, das uns verseucht, bis nur noch die von wahrem Blut zurückbleiben ...«

Voldemort hob Lucius Malfoys Zauberstab, richtete ihn direkt auf die sich langsam drehende Gestalt, die über dem Tisch hing, und versetzte ihm einen winzigen Schlenker. Die Gestalt kam mit einem Stöhnen zu Bewusstsein und begann gegen unsichtbare Fesseln zu kämpfen.

»Erkennst du unseren Gast, Severus?«, fragte Voldemort.

Snape schaute hinauf zu dem kopfüber hängenden Gesicht. Nun sahen alle Todesser hoch zu der Gefangenen, als hätte man ihnen die Erlaubnis erteilt, Neugierde zu zeigen. Während sie sich zum Licht des Feuers hin drehte, sagte die Frau mit gebrochener und grauenerfüllter Stimme:

»Severus! Helfen Sie mir!«

»Ah, ja«, sagte Snape, als die Gefangene sich langsam wieder wegdrehte.

»Und du, Draco?«, fragte Voldemort, während er mit seiner freien Hand die Schnauze der Schlange streichelte. Draco schüttelte ruckartig den Kopf.

Nun, da die Frau erwacht war, schien er außerstande, sie weiter anzusehen.

»Aber du hast ja auch keinen Unterricht bei ihr genommen«, sagte Voldemort. »Für die von euch, die es nicht wissen: Heute Abend ist Charity Burbage unser Gast, die bis vor kurzem an der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei gelehrt hat.«

Verständnisvolles Raunen ging um den Tisch. Eine derbe, bucklige Frau mit spitzen Zähnen lachte gackernd.

»Ja ... Professor Burbage hat den Kindern von Hexen und Zauberern alles über die Muggel beigebracht ... dass sie gar nicht so anders sind als wir ... «

Einer der Todesser spuckte auf den Boden. Charity Burbage drehte sich und sah Snape erneut ins Gesicht.

»Severus ... bitte ... bitte ...«

»Schweig«, sagte Voldemort und schnippte noch einmal mit Malfoys Zauberstab, worauf Charity verstummte, als ob sie geknebelt worden wäre.

»Nicht genug damit, dass sie den Verstand von Zaubererkindern verdirbt und besudelt, hat Professor Burbage letzte Woche auch noch eine flammende Verteidigung der Schlammblüter im Tagespropheten geschrieben. Sie sagt, dass Zauberer diese Diebe ihres Wissens und ihrer Magie akzeptieren müssten. Die abnehmende Zahl der Reinblüter ist laut Professor Burbage ein höchst wünschenswertes Phänomen ... sie würde uns am liebsten alle mit Muggeln paaren ... oder sogar noch lieber mit Werwölfen ...«

Diesmal lachte niemand: Zorn und Verachtung lagen unverkennbar in Voldemorts Stimme. Charity Burbage drehte sich zum dritten Mal zu Snape. Tränen rannen ihr von den Augen in die Haare. Snape erwiderte ihren Blick, völlig teilnahmslos, während sie sich langsam wieder von ihm abkehrte.

»Avada Kedavra.«

Der grüne Lichtblitz erhellte den Raum bis in alle Ecken. Charity stürzte mit einem dröhnenden Schlag hinab auf den Tisch, der bebte und knarrte.

Etliche Todesser warfen sich in ihren Stühlen zurück. Draco fiel von seinem zu Boden.

»Abendessen, Nagini«, sagte Voldemort leise und die große Schlange glitt mit wiegenden Bewegungen von seinen Schultern auf das polierte Holz.