"Stefan Zweig. Buchmendel (Букинист. На немецком языке)" - читать интересную книгу автора

vor zwanzig Jahren und l¤nger, hier haftete, im Unsichtbaren versteckt wie
der Nagel im Holz, etwas von meinem eigenen, l¤ngst мberwachsenen Ich.
Gewaltsam streckte und stieџ ich alle meine Sinne vor in den Raum und
gleichzeitig in mich hinein - und doch, verdammt! Ich konnte sie nicht
erreichen, diese verschollene, in mir selbst ertrunkene Erinnerung.
Ich ¤rgerte mich, wie man sich immer ¤rgert, wenn irgendein Versagen
einen die Unzul¤nglichkeit und Unvollkommenheit der geistigen Kr¤fte gewahr
werden l¤џt. Aber ich gab die Hoffnung nicht auf, diese Erinnerung doch noch
zu erreichen. Nur einen winzigen Haken, das wuџte ich, muџte ich in die Hand
kriegen, denn mein Ged¤chtnis ist sonderbar geartet, gut und schlecht
zugleich, einerseits trotzig und eigenwillig, aber dann wieder
unbeschreiblich getreu. Es schluckt das Wichtigste sowohl an Geschehnissen
als auch an Gesichtern, an Gelesenem wie an Erlebtem oft vжllig hinab in
seine Dunkelheiten und gibt nichts aus dieser Unterwelt ohne Zwang, bloџ auf
den Anruf des Willens heraus. Aber nur den flмchtigsten Halt muџ ich fassen,
eine Ansichtskarte, ein paar Schriftzмge auf einem Briefkuvert, ein
verr¤uchertes Zeitungsblatt, und sofort zuckt das Vergessene wie an der
Angel der Fisch aus der dunkel strжmenden Fl¤che vжllig leibhaft und
sinnlich wieder hervor. Jede Einzelheit weiџ ich dann eines Menschen, seinen
Mund und im Mund wieder die Zahnlмcke links bei seinem Lachen, und den
brмchigen Tonfall dieses Lachens und wie dabei der Schnurrbart ins Zucken
kommt und wie ein anderes, neues Antlitz heraustaucht aus diesem Lachen -
alles das sehe ich dann sofort in vжlliger Vision und weiџ auf Jahre zurмck
jedes Wort, das dieser Mensch mir jemals erz¤hlte. Immer aber bedarf ich, um
Vergangenes sinnlich zu sehen und zu fмhlen, eines sinnlichen Anreizes,
eines winzigen Helfers aus der Wirklichkeit. So schloџ ich die Augen, um
angestrengter nachdenken zu kжnnen, um jenen geheimnisvollen Angelhaken zu
formen und zu fassen. Aber nichts! Abermals nichts! Verschмttet und
vergessen! Und ich erbitterte mich derart мber den schlechten, eigenwilligen
Ged¤chtnisapparat zwischen meinen Schl¤fen, daџ ich mit den F¤usten mir die
Stirne h¤tte schlagen kжnnen, so wie man einen verdorbenen Automaten
anrмttelt, der widerrechtlich das Geforderte zurмckbeh¤lt. Nein, ich konnte
nicht l¤nger ruhig sitzen bleiben, so erregte mich dieses innere Versagen,
und ich stand vor lauter Arger auf, mir Luft zu machen. Aber sonderbar -
kaum daџ ich die ersten Schritte durch das Lokal getan, da begann es schon,
flirrend und funkelnd, dieses erste phosphoreszierende D¤mmern in mir.
Rechts von der Zahlkasse, erinnerte ich mich, muџte es hinмbergehen in einen
fensterlosen und nur von kмnstlichem Licht erhellten Raum. Und tats¤chlich:
es stimmte. Da war es, anders tapeziert als damals, aber doch genau in den
Proportionen, dies in seinen Konturen verschwimmende rechteckige
Hinterzimmer, das Spielzimmer. Instinktiv sah ich mich um nach den einzelnen
Gegenst¤nden, mit schon freudig vibrierenden Nerven (gleich wмrde ich alles
wissen, fмhlte ich). Zwei Billarde lungerten als grмne lautlose
Schlammteiche darin, in den Ecken hockten Spieltische, an deren einem zwei
Hofr¤te oder Professoren Schach spielten. Und in der Ecke, knapp beim
eisernen Ofen, dort, wo man zur Telefonzelle ging, stand ein kleiner
viereckiger Tisch. Und da blitzte es mich plжtzlich durch und durch. Ich
wuџte sofort, sofort, mit einem einzigen heiџen, beglмckt erschмtterten
Ruck: mein Gott, das war ja Mendels Platz, Jakob Mendels, Buchmendels, und
ich war nach zwanzig Jahren wieder in sein Hauptquartier, in das Caf© Gluck