"Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" - читать интересную книгу автора (Роулинг Джоан)

Die Widmung dieses Buches ist siebengeteilt: für Neil, für Jessica, für David, für Kenzie, für Di, für Anne und für euch, wenn ihr zu Harry gehalten habt, bis ganz zum Schluss.

Erbteil des fluches,

hässlicher sünde

blutige wunde,

schmerzen, wer trüge sie?

quälen, wer stillte sie?

wehe weh!

Einzig der erbe

heilet des hauses

eiternde wunde,

einzig mit blut'gem schnitt.

götter der finsternis

rief mein lied.

Sel'ge geister drunten in der tiefe,

wenn ihr die beschwörungsrufe hörtet,

bringt den kindern hilfe, bringt den sieg.

Aischylos, Das Opfer am Grabe


Sterben ist nur ein Uebergang aus dieser Welt in die andere, als wenn Freunde über See gehen, welche dennoch in einander fortleben. Denn Diejenigen, die im Allgegenwärtigen lieben und leben, müssen nothwendig einander gegenwärtig seyn. In diesem göttlichen Spiegel sehen sie sich von Angesicht zu Angesicht, und ihr Umgang ist so wohl frey als rein. Und wenn sie auch durch den Tod getrennt werden, so haben sie doch den Trost, daß ihre Freundschaft und Gesellschaft ihnen, dem besten Gefühle nach, beständig gegenwärtig bleibt, weil diese unsterblich ist.

William Penn, Früchte der Einsamkeit. Zweyte Abtheilung


Der fehlende Spiegel

Harrys Füße berührten eine Straße. Er sah die schmerzhaft vertraute Hauptstraße von Hogsmeade: dunkle Ladenfronten, die Umrisse schwarzer Berge hinter dem Dorf, die Kurve auf dem Weg vor ihm, der nach Hogwarts führte, und die Drei Besen, aus deren Fenstern Licht drang, und es stach ihm ins Herz, als er sich plötzlich messerscharf daran erinnerte, wie er vor fast einem Jahr hier gelandet war und dabei einen hoffnungslos geschwächten Dumbledore gestützt hatte; all das in der einen Sekunde, in der er landete – und dann, er wollte gerade Rons und Hermines Arme loslassen, geschah es.

Ein Schrei gellte durch die Luft, ähnlich dem Voldemorts, als er erkannt hatte, dass der Becher gestohlen worden war: Er zerrte an jedem Nerv in Harrys Körper, und Harry wusste sofort, dass ihr Erscheinen den Schrei ausgelöst hatte. Gerade als er die anderen beiden unter dem Tarnumhang ansah, krachte die Tür der Drei Besen auf, und ein Dutzend Todesser in Kapuzenumhängen stürmte auf die Straße, die Zauberstäbe im Anschlag.

Ron hob seinen Zauberstab, doch Harry hielt ihn am Handgelenk fest.

Es waren zu viele, sie konnten nicht alle schocken: Schon mit dem Versuch würden sie ihren Standort verraten. Einer der Todesser schwang den Zauberstab, und der Schrei verstummte und hallte in den fernen Bergen nach.

»Accio Tarnumhang!«, brüllte einer der Todesser.

Harry raffte ihn an sich, doch er machte keine Anstalten, zu entfliehen: Der Aufrufezauber war bei ihm wirkungslos geblieben.

»Bist wohl nicht unter deinem Deckchen, Potter?«, rief der Todesser, der es mit dem Zauber versucht hatte, und wandte sich dann seinen Gefährten zu: »Ausschwärmen. Er ist hier.«

Sechs von den Todessern rannten auf sie zu: Harry, Ron und Hermine wichen schnellstmöglich in die nächste Seitenstraße zurück, und die Todesser verfehlten sie nur um Zentimeter. Sie verharrten in der Dunkelheit und lauschten den hin und her eilenden Schritten, während die Lichtstrahlen von den Zauberstäben der Todesser suchend die Straße entlanghuschten.

»Lasst uns einfach wieder verschwinden!«, flüsterte Hermine. »Sofort disapparieren!«

»Tolle Idee«, sagte Ron, doch ehe Harry antworten konnte, rief ein Todesser: »Wir wissen, dass du hier bist, Potter, und du entkommst uns nicht! Wir werden euch finden!«

»Die haben auf uns gewartet«, flüsterte Harry. »Die haben diesen Zauber eingerichtet, um es mitzukriegen, wenn wir hier sind. Vermutlich haben sie auch was dafür getan, uns hier festzuhalten, in der Falle -«

»Wie wär's mit Dementoren?«, rief ein anderer Todesser. »Lasst ihnen freien Lauf, die krieg'n ihn ganz schnell!«

»Der Dunkle Lord will, dass Potter von keiner anderen Hand als seiner eigenen stirbt -«

»- un' Dementoren bringen ihn nicht um! Der Dunkle Lord will Potters Leben, nicht seine Seele. Der ist leichter umzubringen, wenn er vorher den Kuss bekommen hat!«

Zustimmendes Raunen war zu hören. Harry wurde von Entsetzen gepackt: Um Dementoren abzuwehren, würden sie Patroni erzeugen müssen, und damit würden sie sich sofort verraten.

»Wir müssen versuchen zu disapparieren, Harry!«, flüsterte Hermine.

Im selben Moment spürte er die unnatürliche Kälte über die Straße kriechen. Das Licht im ganzen Umkreis wurde weggesogen, bis hin zu den Sternen, die erloschen. In der pechschwarzen Dunkelheit spürte er, wie Hermine ihn am Arm fasste, und gemeinsam drehten sie sich auf der Stelle.

Die Luft, durch die sie sich bewegen mussten, schien fest geworden zu sein: Sie konnten nicht disapparieren; die Todesser hatten mit ihren Zaubern gute Arbeit geleistet. Immer tiefer brannte sich die Kälte in Harrys Fleisch. Er, Ron und Hermine zogen sich weiter zurück, in die Seitenstraße hinein, tasteten sich an den Mauern entlang, versuchten möglichst kein Geräusch zu machen. Dann kamen sie lautlos um die Ecke geglitten, mindestens zehn Dementoren, sichtbar, weil sie mit ihren schwarzen Umhängen und ihren schorfigen und verwesenden Händen von einer tieferen Schwärze waren als ihre Umgebung. Konnten sie die Angst in ihrer Nähe fühlen? Harry war überzeugt davon: Sie schienen jetzt schneller heranzukommen, atmeten auf jene schleppende, rasselnde Weise, die er verabscheute, witterten Verzweiflung in der Luft, waren schon dicht bei ihnen -

Er hob seinen Zauberstab: Den Kuss des Dementors konnte er, wollte er nicht erleiden, was auch immer nun gleich passieren würde. In Gedanken an Ron und Hermine flüsterte er: »Expecto patronum!«

Der silberne Hirsch brach aus seinem Zauberstab hervor und stürmte los: Die Dementoren stoben davon und von irgendwo aus der Dunkelheit kam ein triumphierender Schrei.

»Da ist er, da lang, da lang, ich hab seinen Patronus gesehen, es war ein Hirsch!«

Die Dementoren hatten sich zurückgezogen, die Sterne begannen wieder zu funkeln, und die Schritte der Todesser wurden lauter; doch ehe Harry in seiner Panik entscheiden konnte, was sie tun sollten, war das quietschende Geräusch von Riegeln zu hören, und auf der linken Seite der schmalen Straße öffnete sich eine Tür, und eine raue Stimme sagte: »Potter, hier rein, schnell!«

Er gehorchte, ohne zu zögern: Hastig schlüpften die drei durch die offene Tür.

»Nach oben, Tarnumhang anbehalten, leise!«, murmelte eine große Gestalt, während sie an ihnen vorbei auf die Straße ging und die Tür hinter sich zuschlug.

Harry hatte keine Ahnung gehabt, wo sie waren, doch nun sah er im flackernden Licht einer einzelnen Kerze die schmuddelige, mit Sägemehl ausgestreute Bar des Eberkopfs. Sie rannten hinter die Theke und durch eine zweite Tür zu einer wackligen Holztreppe, die sie eilends hochstiegen.

Oben gelangten sie in ein Wohnzimmer mit einem zerschlissenen Teppich und einem kleinen Kamin, über dem ein einzelnes großes Ölgemälde von einem blonden Mädchen hing, das auf eine gewisse abwesend süßliche Art in das Zimmer hineinblickte.

Von der Straße unten drangen Rufe zu ihnen hoch. Nach wie vor unter dem Tarnumhang, schlichen sie zu dem schmutzigen Fenster und spähten hinunter. Ihr Retter, in dem Harry nun den Wirt des Eberkopfs erkannte, war der Einzige, der keine Kapuze trug.

»Na und?«, brüllte er in eines der vermummten Gesichter. »Na und?

Wenn ihr Dementoren in meine Straße schickt, dann schick ich denen einen Patronus auf den Hals! Ich lass die nicht in meine Nähe, das hab ich euch schon mal gesagt, ich will das nicht haben!«

»Das war nicht dein Patronus!«, sagte ein Todesser. »Das war ein Hirsch, der von Potter!«

»Hirsch!«, donnerte der Wirt und zückte einen Zauberstab. »Hirsch! Du Idiot – expecto patronum!«

Etwas Großes und Gehörntes brach aus dem Zauberstab hervor: Mit gesenktem Kopf stürmte es auf die Hauptstraße zu und verschwand.

»Das war nicht das, was ich gesehen hab -«, sagte der Todesser, wenngleich etwas verunsichert.

»Die Ausgangssperre wurde verletzt, du hast den Lärm gehört«, sagte einer seiner Gefährten zu dem Wirt. »Jemand war vorschriftswidrig draußen auf der Straße – «

»Wenn ich meine Katze rausbringen will, dann tu ich das auch, und zum Teufel mit eurer Ausgangssperre!«

»Du hast den Katzenjammer-Zauber ausgelöst?«

»Und wenn? Wollt ihr mich nach Askaban karren? Mich umbringen, weil ich die Nase aus meiner eigenen Haustür gesteckt hab? Dann tut's doch, wenn ihr wollt! Aber ich hoffe für euch, dass ihr euer kleines Dunkles Mal nicht gedrückt und ihn gerufen habt. Er wird es gar nicht mögen, wegen mir und meiner ollen Katze hergeholt zu werden, oder?«

»Mach dir mal keine Sorgen um uns«, sagte einer der Todesser, »eher um dich selbst, weil du die Ausgangssperre verletzt hast!«

»Und wo wollt ihr dann Zaubertränke und Gifte verschieben, wenn mein Pub geschlossen wird? Was passiert dann mit euren kleinen Nebengeschäften?«

»Willst du uns drohen -?«

»Ich kann den Mund halten, deswegen kommt ihr doch hierher, oder?«

»Ich bleib dabei, ich hab einen Hirsch-Patronus gesehen!«, rief der erste Todesser.

»Hirsch?«, brüllte der Wirt. »Es ist ein Ziegenbock, du Flachkopf!«

»Na schön, wir haben einen Fehler gemacht«, sagte der zweite Todesser. »Aber wenn du die Ausgangssperre noch mal verletzt, sind wir nicht so nachsichtig!«

Die Todesser schritten zur Hauptstraße zurück. Hermine stöhnte erleichtert, wand sich unter dem Tarnumhang hervor und setzte sich auf einen Stuhl mit wackligen Beinen. Harry zog die Vorhänge fest zu, dann riss er den Umhang von sich und Ron herunter. Sie konnten hören, wie der Wirt unten die Tür zur Bar wieder verriegelte und dann die Treppe hochstieg.

Etwas auf dem Kaminsims erregte Harrys Aufmerksamkeit: Ein kleiner rechteckiger Spiegel war dort aufgestellt, direkt unter dem Porträt des Mädchens.

Der Wirt betrat das Zimmer.

»Ihr verfluchten Dummköpfe«, sagte er barsch und sah sie der Reihe nach an. »Was habt ihr euch dabei gedacht, hierherzukommen?«

»Danke«, sagte Harry, »wir können Ihnen nicht genug danken. Sie haben uns das Leben gerettet.«

Der Wirt grunzte. Harry näherte sich ihm, blickte hoch in sein Gesicht und versuchte zu ergründen, was sich unter dem langen, strähnigen stahlgrauen Haar und dem Bart verbarg. Er trug eine Brille. Die Augen hinter den schmutzigen Gläsern waren von einem durchdringenden, strahlenden Blau.

»Es ist Ihr Auge, das ich in dem Spiegel gesehen habe.«

Im Zimmer herrschte Stille. Harry und der Wirt schauten einander an.

»Sie haben Dobby geschickt.«

Der Wirt nickte und sah sich nach dem Elfen um.

»Dachte, er wäre bei euch. Wo habt ihr ihn gelassen?«

»Er ist tot«, sagte Harry. »Bellatrix Lestrange hat ihn umgebracht.«

Im Gesicht des Wirts zeigte sich keine Regung. Nach einer Weile sagte er: »Tut mir leid, das zu hören. Ich mochte diesen Elfen.«

Er wandte sich ab und entzündete Lampen, indem er mit seinem Zauberstab leicht dagegenstieß, ohne auch nur hinzusehen.

»Sie sind Aberforth«, sagte Harry zu dem Mann, der ihm den Rücken zugekehrt hatte.

Der Mann sagte weder ja noch nein, sondern bückte sich nur, um das Kaminfeuer zu entfachen.

»Wie sind Sie an den gekommen?«, fragte Harry und ging hinüber zu Sirius' Spiegel, dem Gegenstück dessen, den er fast zwei Jahre zuvor zerbrochen hatte.

»Hab ihn vor etwa 'nem Jahr von Dung gekauft«, sagte Aberforth.

»Albus hat mir erklärt, was es ist. Hab versucht, dich im Auge zu behalten.

«

Ron keuchte.

»Die silberne Hirschkuh!«, sagte er aufgeregt. »Waren das auch Sie?«

»Wovon redest du?«, sagte Aberforth.

»Jemand hat uns eine Hirschkuh als Patronus geschickt!«

»So pfiffig, wie du bist, könntest du glatt ein Todesser sein, Junge. Hab ich nicht gerade bewiesen, dass mein Patronus ein Ziegenbock ist?«

»Oh«, sagte Ron. »Jaah ... also, ich hab Hunger!«, fügte er trotzig hinzu, als sein Magen ein mörderisches Knurren von sich gab.

»Ich hab was zu essen«, sagte Aberforth, ging gemächlich aus dem Zimmer und kam kurze Zeit später mit einem großen Laib Brot, etwas Käse und einem Zinnkrug voll Met zurück, was er alles auf einen kleinen Tisch vor dem Kamin stellte. Gierig aßen und tranken sie, und eine Zeit lang herrschte Stille, in der nur das Prasseln des Feuers, das Klirren von Kelchen und Kaugeräusche zu hören waren.

»Nun denn«, sagte Aberforth, als sie sich satt gegessen hatten und Harry und Ron schläfrig und schlapp in ihren Sesseln hingen. »Wir müssen überlegen, wie ihr am besten hier rauskommt. Nachts geht es nicht, ihr habt gehört, was passiert, wenn jemand während der Dunkelheit nach draußen geht: Der Katzenjammer-Zauber geht los und dann sind sie hinter euch her wie Bowtruckles auf der Jagd nach Doxyeiern. Und ein zweites Mal lassen die mir wohl nicht einen Hirsch als Ziegenbock durchgehen. Wartet bis Tagesanbruch, dann endet die Ausgangssperre und ihr könnt euren Tarnumhang wieder anziehen und euch zu Fuß auf den Weg machen.

Verschwindet sofort aus Hogsmeade, geht hoch in die Berge, von da aus könnt ihr disapparieren. Vielleicht trefft ihr Hagrid. Seit sie versucht haben, ihn zu verhaften, versteckt er sich dort oben in einer Höhle zusammen mit Grawp.«

»Wir gehen nicht weg«, sagte Harry. »Wir müssen nach Hogwarts rein.

«

»Sei nicht albern, Junge«, entgegnete Aberforth.

»Wir müssen«, sagte Harry.

»Ihr müsst nur eins«, sagte Aberforth und beugte sich vor: »So weit wie möglich von hier wegkommen.«

»Sie verstehen nicht. Es bleibt nicht viel Zeit. Wir müssen ins Schloss.

Dumbledore – ich meine, Ihr Bruder – wollte, dass wir -«

Der Schein des Feuers ließ Aberforths schmutzige Brillengläser für einen Moment undurchsichtig werden, sie nahmen ein leuchtendes, ausdrucksloses Weiß an, was Harry an die blinden Augen der Riesenspinne Aragog erinnerte.

»Mein Bruder Albus wollte viel«, sagte Aberforth, »und während er seine grandiosen Pläne verwirklichte, hatten ständig andere Leute den Schaden. Geh weg von dieser Schule, Potter, verlass, wenn möglich, das Land. Vergiss meinen Bruder und seine schlauen Pläne. Er ist dort, wo nichts von alldem ihm was anhaben kann, und du schuldest ihm überhaupt nichts.«

»Sie verstehen nicht«, sagte Harry erneut.

»Oh, wirklich nicht?«, sagte Aberforth leise. »Du glaubst, dass ich meinen eigenen Bruder nicht verstanden habe? Glaubst, du hättest Albus besser gekannt als ich?«

»Das meinte ich nicht«, sagte Harry, der sich träge im Kopf fühlte vor Erschöpfung und von dem Übermaß an Essen und Wein. »Es ist ... er hat mir eine Aufgabe hinterlassen.«

»Hat er, ja?«, sagte Aberforth. »Nette Aufgabe, hoffe ich? Angenehm?

Leicht? Etwas, das man einem unausgebildeten Zaubererjungen zutrauen würde, ohne dass er sich übernimmt?«

Ron lachte ziemlich bitter auf. Hermine wirkte angespannt.

»Ich – sie ist nicht leicht, nein«, sagte Harry. »Aber ich muss -«

»gt;Ich musslt;? Warum gt;Ich musslt; ?Er ist tot, oder etwa nicht?«, erwiderte Aberforth schroff. »Lass es bleiben, Junge, ehe du es auch bist!

Rette dich selbst! «

»Ich kann nicht.«

»Warum nicht?«

»Ich -« Harry fühlte sich in die Ecke gedrängt; er konnte es nicht erklären, deshalb ergriff er die Offensive. »Aber Sie kämpfen doch auch, Sie sind im Orden des Phönix -«

»Ich war es«, sagte Aberforth. »Der Orden des Phönix ist erledigt. Du-weißt-schon-wer hat gesiegt, es ist vorbei, und jeder, der etwas anderes behauptet, macht sich selbst was vor. Hier wirst du nie sicher sein, Potter, er will dich um jeden Preis haben. Deshalb verschwinde ins Ausland, geh und versteck dich, rette deine Haut. Am besten, du nimmst die beiden hier mit.« Sein Daumen zuckte in Richtung Ron und Hermine. »Sie werden ihr Leben lang in Gefahr sein jetzt, wo alle wissen, dass sie mit dir zusammengearbeitet haben.«

»Ich kann nicht fortgehen«, sagte Harry. »Ich habe eine Aufgabe -«

»Übertrag sie jemand anderem!«

»Das geht nicht. Ich muss es selber machen. Dumbledore hat alles erklärt -«

»Oh, hat er das, tatsächlich? Und er hat dir alles gesagt, er war offen zu dir?«

Harry wollte von ganzem Herzen »Ja« sagen, doch aus irgendeinem Grund kam dieses einfache Wort nicht über seine Lippen. Aberforth schien zu wissen, was in ihm vorging.

»Ich kannte meinen Bruder, Potter. Er hat die Geheimniskrämerei schon als kleines Kind gelernt. Geheimnisse und Lügen, damit sind wir aufgewachsen, und Albus ... der war ein Naturtalent.«

Der Blick des alten Mannes wanderte zu dem Gemälde des Mädchens über dem Kaminsims. Nun, da Harry sich genauer umsah, stellte er fest, dass es das einzige Bild in dem Zimmer war. Es gab weder ein Foto von Albus Dumbledore noch von sonst jemandem.

»Mr Dumbledore?«, sagte Hermine ziemlich zaghaft. »Ist das Ihre Schwester, Ariana? «

»Ja«, sagte Aberforth kurz angebunden. »Hast wohl Rita Kimmkorn gelesen, was, Mädchen?«

Selbst im rosigen Licht des Feuers war deutlich zu sehen, dass Hermine rot angelaufen war.

»Elphias Doge hat sie uns gegenüber erwähnt«, sagte Harry, um Hermine in Schutz zu nehmen.

»Der alte Trottel«, murmelte Aberforth und trank einen weiteren kräftigen Schluck Met. »Ist meinem Bruder wirklich in den Hintern gekrochen. Tja, wie so viele andere auch, ihr drei eingeschlossen, so wie's ausschaut.«

Harry schwieg. Er wollte jetzt nicht die Zweifel und Ungewissheiten über Dumbledore äußern, die ihn schon seit Monaten Umtrieben. Er hatte seine Entscheidung getroffen, als er Dobbys Grab ausgehoben hatte; er hatte beschlossen, den gewundenen, gefährlichen Weg weiterzugehen, den ihm Albus Dumbledore gewiesen hatte, es hinzunehmen, dass Dumbledore ihm nicht alles gesagt hatte, was er wissen wollte, und stattdessen einfach Vertrauen zu haben. Er wollte nicht wieder zweifeln, er wollte nichts hören, was ihn von seinem Ziel ablenken konnte. Er begegnete Aberforths Blick, der dem seines Bruders so frappierend ähnlich war: Auch Aberforths hellblaue Augen erweckten den Eindruck, als würden sie den Gegenstand ihres Interesses röntgen, und Harry glaubte, dass Aberforth wusste, was er dachte, und ihn dafür verachtete.

»Professor Dumbledore hat Harry sehr geschätzt«, sagte Hermine mit leiser Stimme.

»Ach, wirklich?«, sagte Aberforth. »Komisch, wie viele von den Leuten, die mein Bruder so sehr geschätzt hat, am Ende schlimmer dran waren, als wenn er sie einfach in Ruhe gelassen hätte.«

»Was soll das heißen?«, fragte Hermine atemlos.

»Lass mal gut sein«, sagte Aberforth.

»Aber so was sagt man nicht einfach so dahin!«, erwiderte Hermine.

»Meinen Sie – meinen Sie Ihre Schwester? «

Aberforth sah sie finster an: Seine Lippen bewegten sich, als würde er auf den Worten herumkauen, die er zurückhielt. Dann brachen sie aus ihm hervor.

»Als meine Schwester sechs Jahre alt war, wurde sie angegriffen, aus dem Hinterhalt, von drei Muggeljungen. Sie hatten gesehen, wie sie zauberte, hatten durch die Hecke im hinteren Garten gespäht; sie war noch ein Kind, sie hatte nicht die Kontrolle darüber, in diesem Alter hat das keine Hexe und kein Zauberer. Was sie sahen, hat ihnen Angst eingejagt, schätze ich. Sie zwängten sich durch die Hecke, und als sie ihnen den Trick nicht zeigen konnte, ist es ein bisschen mit ihnen durchgegangen, während sie versuchten, dem kleinen Ungeheuer die Sache auszutreiben.«

Hermines Augen waren riesig im Licht des Feuers; Ron sah aus, als sei ihm ein wenig schlecht. Aberforth stand auf, er war so groß wie Albus, und in seinem Zorn und dem heftigen Schmerz wirkte er plötzlich Furcht erregend.

»Was sie taten, hat Ariana zugrunde gerichtet: Sie war nie wieder dieselbe. Sie wollte nicht mehr zaubern, aber die Magie ließ sie nicht los: Sie kehrte sich in ihr Inneres und machte sie verrückt, sie brach aus ihr heraus, wenn sie sie mal nicht zügeln konnte, und zeitweise war Ariana sonderbar und gefährlich. Aber meistens war sie lieb, und ängstlich, und harmlos.

Und mein Vater ist den verfluchten Kerlen hinterher, die es getan hatten«, sagte Aberforth, »und hat sie angegriffen. Dafür haben sie ihn dann nach Askaban gesteckt. Er hat nie gesagt, warum er es getan hat, denn wenn das Ministerium erfahren hätte, was aus Ariana geworden war, hätte man sie für immer im St. Mungo weggesperrt. Man hätte in ihr eine ernste Bedrohung des Internationalen Geheimhaltungsabkommens gesehen, so unausgeglichen, wie sie war, wo doch Magie aus ihr herausbrach, wenn Ariana sie nicht mehr zurückhalten konnte.

Wir brauchten einen sicheren und friedlichen Ort für sie.

Wir zogen um, verbreiteten überall, dass sie krank sei, und meine Mutter kümmerte sich um sie und versuchte dafür zu sorgen, dass sie ruhig und zufrieden blieb.

Ich war ihr Lieblingsbruder«, sagte Aberforth, und als er es sagte, wirkte er trotz seiner Falten und des zotteligen Bartes wie ein schmuddeliger Schuljunge. »Nicht Albus, der war immer oben in seinem Zimmer, wenn er zu Hause war, las seine Bücher und zählte seine Auszeichnungen, führte seine Korrespondenz mit gt;den angesehensten magischen Persönlichkeiten der Zeitlt;«, höhnte Aberforth. »Er wollte nicht mit ihr belästigt werden.

Mich hat sie am liebsten gemocht. Ich konnte sie zum Essen bewegen, wenn sie es bei meiner Mutter nicht wollte, ich konnte sie besänftigen, wenn sie einen ihrer Wutanfälle hatte, und wenn sie ruhig war, half sie mir immer, die Ziegen zu füttern.

Dann, als sie vierzehn war ... ich war nicht da, müsst ihr wissen«, sagte Aberforth. »Wenn ich da gewesen wäre, hätte ich sie beruhigen können. Sie hatte einen ihrer Wutanfälle, und meine Mutter war nicht mehr die Jüngste, und ... es war ein Unfall. Ariana hatte es nicht unter Kontrolle. Aber meine Mutter starb dabei.«

Harry empfand eine schreckliche Mischung aus Mitleid und Abscheu; er wollte nichts mehr davon hören, doch Aberforth redete weiter, und Harry fragte sich, wie lange es wohl her war, dass er zum letzten Mal darüber gesprochen hatte; ob er es überhaupt jemals getan hatte.

»Damit hatte sich also Albus' Weltreise mit dem kleinen Doge erledigt.

Die beiden kamen zum Begräbnis meiner Mutter nach Hause, und dann ist Doge alleine losgezogen, und Albus hat sich als Familienoberhaupt häuslich niedergelassen. Ha!«

Aberforth spuckte ins Feuer.

»Ich hätte mich um sie gekümmert, das hab ich ihm auch gesagt, mir war die Schule egal, ich wäre zu Hause geblieben und hätte es gemacht. Er meinte zu mir, dass ich meine Ausbildung abschließen müsse und dass er jetzt die Aufgaben meiner Mutter übernehmen werde. Ein ziemlicher Abstieg für Mister Überflieger, da gibt's keine Lorbeeren, wenn man sich um seine halb verrückte Schwester kümmert und drauf aufpasst, dass sie nicht alle paar Tage das Haus in die Luft sprengt. Aber einige Wochen lang hat er sich ganz vernünftig angestellt ... bis er kam.«

Und nun breitete sich ein ausgesprochen gefährlicher Ausdruck auf Aberforths Gesicht aus.

» Grindelwald. Und endlich hatte mein Bruder einen Ebenbürtigen, mit dem er reden konnte, jemanden, der genauso klug und talentiert war wie er selbst. Dass er sich um Ariana kümmern wollte, war nun nicht mehr so wichtig, während sie ihre ganzen Pläne für die neue Ordnung der Zaubererwelt ausbrüteten und Heiligtümer suchten und was auch immer sie sonst noch interessierte. Grandiose Pläne zum Besten der gesamten Zaubererschaft, und wenn ein einzelnes junges Mädchen dabei vernachlässigt wurde, was spielte das schon für eine Rolle, wo Albus doch für das größere Wohl arbeitete?

Aber nach ein paar Wochen hatte ich wirklich genug davon. Es war fast Zeit für mich, nach Hogwarts zurückzukehren, also sagte ich den beiden, direkt ins Gesicht, wie dir jetzt«, und Aberforth blickte hinab auf Harry, und es brauchte wenig Phantasie, um ihn sich als drahtigen, zornigen Teenager vorzustellen, der seinem älteren Bruder gegenübertrat. »Ich sagte zu ihm, am besten, du gibst es jetzt auf. Ihr könnt sie nirgendwo anders hinbringen, ihr Zustand verbietet das, ihr könnt sie nicht mitnehmen, wohin auch immer ihr gehen wollt, um eure klugen Reden zu halten und zu versuchen, euch eine Gefolgschaft zusammenzutrommeln. Das gefiel ihm nicht«, sagte Aberforth, und der Schein des Feuers auf seinen Brillengläsern verdeckte für einen Moment seine Augen: Wieder schimmerten die Gläser hell und blind. »Grindelwald hat das überhaupt nicht gefallen. Er wurde wütend. Er meinte, was für ein dummer kleiner Junge ich sei, der versuche, sich ihm und meinem genialen Bruder in den Weg zu stellen ... ob ich nicht verstehen würde, dass meine arme Schwester nicht mehr versteckt werden müsse, wenn sie einmal die Welt verändert und die Zauberer aus dem Untergrund geführt und den Muggeln gezeigt hätten, wo sie hingehörten?

Und es gab Streit... und ich zog meinen Zauberstab und er seinen, und ich bekam den Cruciatus-Fluch zu spüren, vom besten Freund meines Bruders – und Albus versuchte ihn aufzuhalten, und dann haben wir uns alle drei einen Kampf geliefert, und bei den blitzenden Lichtern und dem Knallen ist sie ausgerastet, das hielt sie nicht aus -«

Alle Farbe wich aus Aberforths Gesicht, als hätte er eine tödliche Wunde erlitten.

»- und ich glaube, sie wollte helfen, aber sie wusste nicht recht, was sie tat, und ich weiß nicht, wer von uns es war, es hätten alle drei sein können

– und sie war tot.«

Beim letzten Wort versagte ihm die Stimme und er sank in den nächsten Sessel. Hermines Gesicht war tränennass und Ron war fast so bleich wie Aberforth. Harry verspürte nichts als Abscheu: Er wünschte, er hätte es nicht gehört, wünschte, er könnte seine Gedanken davon reinwaschen.

»Es tut mir ... es tut mir so leid«, flüsterte Hermine.

»Fort«, krächzte Aberforth. »Für immer fort.«

Er wischte sich an seinem Ärmelaufschlag die Nase ab und räusperte sich.

»'türlich ist Grindelwald abgehauen. Er hatte schon ein bisschen was auf dem Kerbholz, in dem Land, wo er hergekommen war, und er wollte nicht, dass Ariana noch dazukam. Und Albus war frei, nicht wahr? Frei von der Last seiner Schwester, frei, um der größte Zauberer der -«

»Er war niemals frei«, sagte Harry.

»Wie bitte?«, sagte Aberforth.

»Niemals«, sagte Harry. »In der Nacht, als Ihr Bruder starb, nahm er einen Zaubertrank, der ihn in den Wahnsinn trieb.

Er fing an zu schreien, flehte jemanden an, der nicht da war. Tu ihnen nicht weh, bitte ...tu doch mir weh.«

Ron und Hermine starrten Harry an. Er hatte nie im Detail geschildert, was sich auf der Insel im See abgespielt hatte: Die Ereignisse, die auf seine und Dumbledores Rückkehr nach Hogwarts gefolgt waren, hatten das alles völlig in den Schatten gestellt.

»Er meinte, wieder dort zu sein, mit Ihnen und Grindelwald, da bin ich mir sicher«, sagte Harry und erinnerte sich daran, wie Dumbledore gewimmert und gefleht hatte. »Er meinte, er würde dabei zusehen, wie Grindelwald Ihnen und Ariana Schmerzen zufügte ... es war eine Folter für ihn; wenn Sie ihn damals gesehen hätten, würden Sie nicht behaupten, er wäre frei gewesen.«

Aberforth schien in die Betrachtung seiner eigenen, knotigen und geäderten Hände versunken. Nach einer langen Pause sagte er: »Wie kannst du sicher sein, Potter, dass mein Bruder nicht stärker am größeren Wohl interessiert war als an dir? Wie kannst du sicher sein, dass du nicht entbehrlich bist, genau wie meine kleine Schwester?«

Ein Eissplitter schien Harrys Herz zu durchbohren.

»Ich glaube das nicht. Dumbledore hat Harry geliebt«, sagte Hermine.

»Warum hat er ihm dann nicht befohlen, sich zu verstecken?«, schoss Aberforth zurück. »Warum hat er nicht zu ihm gesagt, pass auf dich auf, so und so kannst du überleben?«

»Weil«, sagte Harry, ehe Hermine antworten konnte, »weil man manchmal an mehr denken muss als an die eigene Sicherheit! Manchmal muss man an das größere Wohl denken! Das hier ist Krieg!«

»Du bist siebzehn, Junge!«

»Ich bin volljährig, und ich werde weiterkämpfen, auch wenn Sie aufgegeben haben!«

»Wer behauptet, dass ich aufgegeben hätte?«

»gt;Der Orden des Phönix ist erledigt«, wiederholte Harry.

»gt;Du-weißt-schon-wer hat gesiegt, es ist vorbei, und jeder, der etwas anderes behauptet, macht sich selbst was vor.lt;«

»Ich sage nicht, dass mir das gefällt, aber es ist die Wahrheit!«

»Nein, das ist es nicht«, sagte Harry. »Ihr Bruder wusste, wie man Du-weißt-schon-wen erledigen kann, und er hat dieses Wissen an mich weitergegeben. Ich werde weitermachen, bis ich mein Ziel erreicht habe –oder sterbe. Glauben Sie nicht, dass ich nicht weiß, wie das enden könnte.

Ich weiß es seit Jahren.«

Er machte sich darauf gefasst, dass Aberforth spotten oder ihm widersprechen würde, doch das tat er nicht. Er blickte nur finster vor sich hin.

»Wir müssen nach Hogwarts rein«, sagte Harry noch einmal. »Wenn Sie uns nicht helfen können, warten wir bis zur Morgendämmerung, lassen Sie in Ruhe und versuchen auf eigene Faust, einen Weg zu finden. Wenn Sie uns helfen können – nun, dann wäre jetzt ein geschickter Zeitpunkt, darüber zu reden.«

Aberforth verharrte reglos in seinem Sessel und starrte Harry mit diesen Augen an, die denen seines Bruders so ungeheuer ähnlich waren. Endlich räusperte er sich, stand auf, ging um den kleinen Tisch herum und trat auf das Porträt Arianas zu.

»Du weißt, was zu tun ist«, sagte er.

Sie lächelte, wandte sich um und ging davon, nicht wie Leute in Porträts dies sonst immer taten, seitlich aus ihrem Rahmen hinaus, sondern durch eine Art langen Tunnel, der hinter ihr gemalt war. Sie sahen zu, wie ihre schmächtige Gestalt immer kleiner wurde, bis die Dunkelheit sie schließlich verschluckte.

»Ähm – was -?«, setzte Ron an.

»Es gibt jetzt nur noch einen Weg hinein«, sagte Aberforth. »Ihr müsst wissen, laut meinen Informanten werden sämtliche alten Geheimgänge an beiden Enden beobachtet, Dementoren schleichen überall um die Grenzmauern herum, und in der Schule wird regelmäßig patrouilliert. Noch nie wurde Hogwarts so streng bewacht. Wie wollt ihr irgendwas unternehmen, wenn ihr mal drin seid, wo doch Snape Schulleiter ist und die Carrows seine Stellvertreter sind ... nun, das ist eure Sache, oder? Ihr sagt, ihr seid bereit zu sterben.«

»Aber was ...?«, sagte Hermine, die mit gerunzelten Brauen Arianas Bild betrachtete.

Ein winziger weißer Punkt war am Ende des gemalten Tunnels erschienen, und er wuchs und wuchs, während Ariana jetzt wieder auf sie zukam. Doch wurde sie von jemandem begleitet, der größer war als sie und aufgeregt an ihrer Seite humpelte. Sein Haar war länger, als Harry es je an ihm gesehen hatte; er schien mehrere tiefe Wunden im Gesicht abbekommen zu haben, und seine Kleider waren zerrissen und zerfetzt. Die beiden Gestalten wurden immer größer, bis ihre Köpfe und Schultern das gesamte Porträt einnahmen. Dann schwang das ganze Bild vor wie eine kleine Tür in der Wand und gab den Eingang zu einem echten Tunnel frei.

Und aus dem Tunnel kletterte, mit stark gewucherten Haaren, zerschnittenem Gesicht, zerrissenem Umhang, der echte Neville Longbottom, der vor Freude aufschrie, vom Kaminsims heruntersprang und rief: »Ich wusste, dass ihr kommen würdet! Ich wusste es, Harry!«