"Fieber" - читать интересную книгу автора (Little Bentley)


Für Larry und Janice Weldon,

meinen Onkel und meine Tante



EINS

1.


Einen Tag früher als geplant brach Hunt Jackson auf. Mitten in der Nacht fuhr er los, während im Fernsehen noch die Conan-O'Brian-Show lief. Zwei Stunden später jagte er mit weit überhöhter Geschwindigkeit an Palm Springs vorbei und weiter in Richtung Osten. Nachdem jetzt endlich die Scheidung rechtskräftig war und Hunt obendrein seinen Job bei Boeing verloren hatte, hielt ihn nichts mehr. Er konnte tun und lassen, was er wollte, und gehen, wohin es ihm gefiel. Er war nicht mehr im alltäglichen Einerlei des Ehelebens gefangen, in den Verhaltensmustern und dem Trott, in die er verfallen war. Er fühlte sich herrlich frei, als er nun über den noch leeren, windgepeitschten Highway raste. Es war eine mondlose Nacht; zahllose Sterne funkelten am Himmel. Klar und deutlich konnte Hunt das Schimmern der Milchstraße sogar durch die getönte Windschutzscheibe des Saab hindurch erkennen.

Ein Saab.

Wann hatte Hunt sich eigentlich in einen Saab-Fahrer verwandelt? Er wusste es nicht, doch es lag schon so weit in der Vergangenheit, dass die Frage ihm beinahe müßig erschien - als gehöre es einfach dazu, sie jetzt zu stellen, auch wenn er eigentlich gar keine Antwort darauf erwartete. Durch die Windschutzscheibe sah er hoch über sich eine Sternschnuppe. Während seiner Kindheit in Tucson waren Sternschnuppen ein fester Bestandteil seines Lebens gewesen, doch erst jetzt ging ihm auf, dass er keine mehr gesehen hatte, seit er nach Süd-Kalifornien gezogen war. In den Nachrichten waren Meteoritenschauer erwähnt worden, fiel ihm jetzt wieder ein; Fernseh-Wetterfrösche hatten dieses Phänomen angekündigt und zugleich erklärt, warum man sie über Los Angeles und dem Gebiet von Orange County nicht würde sehen können - wegen der Luftverschmutzung, der Inversionswetterlage oder der »Lichtverschmutzung«. Hunt war es egal gewesen; er hatte nicht mehr darüber nachgedacht. Doch jetzt, hier draußen auf der Landstraße, begriff er, wie sehr ein sternenklarer Himmel ihm gefehlt hatte.

Mit dröhnender Hupe donnerte ein Sattelschlepper an ihm vorbei. Übermütig hupte Hunt seinerseits und ließ dazu die Lichthupe aufflammen, doch der Truck war schon weit vor ihm, und Hunts Versuch der Aufsässigkeit missglückte. Matt und kraftlos strahlte sein Fernlicht nur noch die Heckklappe des Lasters an, der in der Ferne verschwand.

Gegen drei Uhr früh erreichte er Blythe, und ehe die Sonne über Casa Grande aufging, hatte Hunt bereits Phoenix passiert und hielt Richtung Süden auf Tucson zu. Er frühstückte in einem Fast-Food-Schuppen für Trucker und bestellte eine übermäßig fettige Mahlzeit, die Eileen ihm niemals hätte durchgehen lassen; schließlich war so etwas nicht gut für die Arterien. Und so saß er hier, in einem Fernfahrer-Imbiss mitten in der Wüste, stopfte sich mit Fett und Kalorien voll und starrte auf ein handgemaltes Schild draußen, auf dem »HOLT DIE US AUS DER UN« stand.

Auch wenn die Trennung in beiderseitigem Einvernehmen erfolgt war - verzweifelt hatten sie beide versucht, dieser Hölle aus Streitereien, Geschrei und noch unschöneren Dingen zu entrinnen, zu der ihre Beziehung verkommen war -, musste Hunt in letzter Zeit doch oft an Eileen denken. Er dachte daran, wie er mit ihr zusammengelebt hatte, und versuchte jetzt, sich eine Zukunft ohne sie vorzustellen, doch es wollte ihm nicht gelingen.

Sicher, er fühlte sich freier, als er jemals gewesen war und vielleicht jemals wieder sein würde. Die ganze Welt stand ihm offen. Er konnte hingehen, wohin er wollte. Er konnte nach New Orleans oder nach New York, nach Miami oder Seattle, Chicago oder Honolulu. Aber das wollte er gar nicht, erkannte er nun. Er wollte nach Tucson. Dort war er geboren, dort war er aufgewachsen und zur Schule gegangen, dort hatte er Eileen kennen gelernt. Und jetzt zog er wie ein geprügelter Hund mit eingekniffenem Schwanz ab ...

Sollte er nicht lieber versuchen, ein neues Leben anzufangen und das eintönige Dasein abzuwerfen, in dem er sich verfangen hatte? Noch einmal von vorne anfangen? Vielleicht konnte er sein Leben in die Richtung lenken, in die er es schon längst hätte führen sollen.

Zwanzig Minuten später war Hunt wieder unterwegs, vorbei an der einsamen Schroffheit des Picacho Peak, auf dem Weg in sein altes Zuhause - nach Tucson.


In den zehn Jahren, die er fort gewesen war, hatte Tucson sich sehr verändert. Hunt fuhr durch die Außenbezirke der Stadt und versuchte sich zunächst einmal dort zurechtzufinden, ehe er sich in die Innenstadt wagen wollte. Vom Freeway aus hatte er gesehen, dass sich neue Wohnanlagen und Einkaufszentren entlang der Catalinas im Norden bis weit hinter die Ina Road erstreckten; neue Häuser kletterten im Westen immer höher in die Tucson Mountains in Richtung Gate's Pass hinauf; eine völlig neue Stadt schien südlich der I-10-Auffahrt auf dem Weg zur Mission aus dem Boden geschossen zu sein, und der Rincon District des Saguaro-Nationalparks lag jetzt nicht mehr außerhalb der Stadt, sondern unmittelbar an deren östlichem Rand.

In der Innenstadt waren viele Läden und Restaurants verschwunden; Gebäude waren abgerissen und durch neue ersetzt worden. Der ehemals einzigartige Charakter der Stadt schien einer allgemeinen Gleichförmigkeit gewichen zu sein, den typischen Zeichen der allgemeinen Kalifornisierung Amerikas, die bewirkte, dass es an jeder zweiten Ampel einen Burger King gab und jedes neu errichtete Bürogebäude leicht mediterrane Züge aufwies.

Die Gegend, in der Hunt aufgewachsen war, gab es zwar noch, aber sie sah viel schäbiger aus, als er sie in Erinnerung hatte, regelrecht heruntergekommen. Das Haus, das früher seinen Eltern gehört hatte, machte da keine Ausnahme. Wer immer jetzt dort wohnte, hatte den Vorgarten mittels Gussbeton in einen Parkplatz verwandelt. Jetzt standen dort drei Muscle-Cars aus den Sechzigerjahren in unterschiedlichen Phasen der Restaurierung; die Veranda, die Hunts Vater an der Seite des Hauses angebaut hatte, war abgerissen. Seine Eltern wären entsetzt gewesen, hätten sie das Haus jetzt sehen können. Hunt war versucht, sie anzurufen und ihnen die Bruchbude zu beschreiben, zu der das Haus verkommen war, damit sie sich noch schuldiger fühlten, es verkauft zu haben und fortgezogen zu sein. Doch dann wurde ihm klar, wie kleinlich dies wäre. In Minnesota waren seine Eltern glücklicher. Und wenn ihm das Haus wirklich so wichtig gewesen wäre - warum hatte er es seinen Eltern dann nicht abgekauft, als er die Gelegenheit dazu gehabt hatte?

Nein, das Haus war ihm gar nicht so wichtig. Er wünschte sich einfach nur, seine Eltern wären jetzt hier, weil er sich ein Zuhause wünschte - einen Ort, an den er zurückkehren konnte.

Die Nacht verbrachte er in einem Motel; im Nebenzimmer lag ein Pärchen, das sich lautstark über den Kauf eines Außenbordmotors stritt und dann ebenso lautstark zu Liebesspielchen überging. Am nächsten Morgen kaufte sich Hunt in der Lobby eine Tageszeitung und schaute beim Frühstück die Kleinanzeigen nach einem Haus oder einem Apartment durch, das er mieten konnte.

Jetzt, wo er hier war, erschien ihm die Vorstellung, sämtliche Brücken hinter sich abzubrechen, längst nicht mehr so romantisch. Plötzlich gingen ihm all die lästigen Kleinigkeiten durch den Kopf, die ein solcher Umzug unweigerlich mit sich brachte. Er würde ein Adressänderungsformular beim Postamt ausfüllen und sicherstellen müssen, dass während des Umzugs keine Rechnungen oder wichtigen Briefe verloren gingen; er musste eine neue Telefonnummer beantragen und die Familie und Freunde benachrichtigen; er musste das Abonnement der Los Angeles Times kündigen. Ganz zu schweigen davon, dass er seine Möbel und seine Habseligkeiten hierherschaffen musste.

Vielleicht war das alles den Aufwand gar nicht wert.

Doch.

Es musste sein.

Zumal es Vorteile gab. Zum Beispiel, dass die Mieten in Arizona viel niedriger waren als in Kalifornien. Für den Preis seines kleinen Ein-Zimmer-Apartments dort konnte er hier nicht bloß eine Maisonette-Wohnung mieten, sondern ein richtiges Haus - wenn auch vielleicht nicht gerade in der besten Lage der Stadt.

Genau so etwas fand Hunt dann auch bereits an diesem Morgen nach kurzer Suche: ein Lehmsteinhaus mit drei Zimmern in einer Straße im Südosten der Stadt. Das Haus stand zwischen einer heruntergekommenen Villa im Ranch-Stil und einem Bau, der kaum mehr war als eine Sperrholzhütte, die zu einer erst kürzlich erbauten, schmucken Doppelgarage gehörte. Das einzige weitere Gebäude auf dieser Straßenseite war ein Laden der Circle-K-Kette an der Ecke. Gegenüber erstreckte sich ein Baumwollfeld auf einem der Grundstücke, die irgendwelchen Großunternehmen gehörten, sodass dort weder Häuser noch Scheunen oder Schuppen benötigt wurden.

Doch so ärmlich die Gegend auch sein mochte, irgendetwas daran sprach ihn an. Es mochte nicht der eleganteste Stadtteil sein, aber die Gegend war ländlich und bodenständig, und sie erinnerte Hunt an das Tucson, in dem er aufgewachsen war. Vom kleinen Vorgarten aus konnte er im Osten die Rincons sehen, im Norden die Catalinas, und über sich einen großen Ausschnitt des Himmels. Was konnte er sich mehr wünschen?

Also hatte Hunt sein Handy gezückt und die Nummer gewählt, die unten auf dem ZU-VERMIETEN-Schild stand. Dann hatte er in der Auffahrt gewartet, dass der Eigentümer eintraf.

Fünfundvierzig Minuten später, nach einer kurzen gemeinsamen Begehung des Hauses und einem Abstecher zum Geldautomaten im Circle K, um eine Anzahlung abzuheben, konnte er das Haus haben. Natürlich musste noch seine Kreditwürdigkeit überprüft werden, aber Hunt wusste, dass er da keine Probleme zu erwarten hatte.

Eigentlich war das Haus größer, als notwendig gewesen wäre, doch Hunt gefiel der Gedanke, wieder in einem richtigen Haus zu wohnen. Es gab ihm das Gefühl, wieder solide und sesshaft zu sein, und auch wenn er nur zur Miete wohnte, hatte er jetzt ein willkommenes Gefühl der Beständigkeit, wie er es seit der Trennung von Eileen lange nicht erlebt hatte.

In Hochstimmung fuhr er zum Motel zurück. Jetzt musste er erst einmal nach Kalifornien zurück und seine Habseligkeiten zusammenpacken. Jemanden zu finden, der ihm dabei half, sollte kein Problem darstellen - in seinem Apartmentkomplex gab es ein paar Nachbarn, die er flüchtig kannte -, aber das Ausladen hier in Tucson mochte kniffliger werden. Er dachte an die Sperrholzhütte und die heruntergekommene Villa, die sich wie Buchstützen an sein neues Heim quetschten. Natürlich hätte er die Leute dort fragen können, ob sie ihm halfen, aber er wollte seine neuen Nachbarn nicht gleich mit einer Bitte belästigen.

Also versuchte er, ein paar seiner alten Kumpel anzurufen, doch keiner schien im Telefonbuch zu stehen. Hunt wurde nur zu deutlich klar, wie sehr er die Freunde von einst aus seinem Leben verbannt hatte; er hatte sich nicht die Mühe gemacht, sie im Auge zu behalten oder mit ihnen in Verbindung zu bleiben. Er hatte fast ausschließlich in der Gegenwart gelebt, hatte zugelassen, dass seine Vergangenheit sich von selbst auslöschte, und nur selten hatte er an seine Freunde aus der Kindheit, der Jugend und den ersten Jahren des Erwachsenseins gedacht.

Nun, so schien es, waren die meisten von ihnen verschwunden. Mike arbeitete als Feuerwehrmann in New York, Jordan und Eck waren beide nach Phoenix gezogen, und bei Victor wussten selbst dessen Eltern nicht, was aus ihm geworden war. Aber Joel war noch da, und dafür war Hunt sehr dankbar. Während der Grundschulzeit und in der Junior High School war Joel McCain sein bester Freund gewesen, und auch wenn sie sich später in andere Richtungen entwickelt hatten, hatte es doch immer noch eine gewisse Verbundenheit zwischen ihnen gegeben. Nun rief Hunt ihn an - dankbar, dass es noch jemand Vertrauten in dieser plötzlich so fremden Stadt gab.

Joel war Lehrer geworden und unterrichtete Sozialwissenschaften am Mountain Valley Junior College. Das war bemerkenswert, weil Joel ein gleichgültiger Schüler gewesen war - »faul« war vermutlich das bessere Wort -, und dass er selbst einmal Lehrer würde, hätte Hunt am wenigsten erwartet. Während der Junior-High-Zeit hatte Joel immer gesagt, er wolle Trucker werden. Es gäbe nichts Schöneres, hatte er behauptet, als kreuz und quer durchs Land zu fahren, dabei Musik zu hören und dafür auch noch bezahlt zu werden. Offenbar hatte Joel seine Meinung geändert, nachdem er seinen Abschluss an der High School gemacht hatte.

Joel lachte, als Hunt ihm sagte, er sei überrascht, dass Joel Lehrer geworden sei. »Ich habe mich einfach an diesen Schul-Zeitplan gewöhnt. Ich konnte mir wirklich kein Leben vorstellen, bei dem ich den Sommer über nicht frei habe. Außerdem würde es aus jedem einen vorbildlichen Collegestudenten machen, einen ganzen Sommer lang mit meinem Vater in der Sonne zu ackern. Und was ist mit dir? Was treibst du jetzt so? Bist du nur zu Besuch hier, oder wirst du bleiben?«

Hunt erzählte ihm die ganze Geschichte: Trennung, Scheidung, Verlust des Arbeitsplatzes und wie er sich aus einer Laune heraus dafür entschieden hatte, nach Tucson zurückzukehren.

»Weißt du schon, wo du wohnen kannst?«, wollte Joel wissen.

»Na ja ...«, setzte Hunt an, dem das Ganze jetzt ein wenig peinlich wurde. »Eigentlich rufe ich deswegen an. Ich habe gerade heute etwas gefunden und muss erst wieder nach Kalifornien, um meine Klamotten, Bücher und Platten zu holen - und die paar Möbel, die mir nach der Scheidung geblieben sind. Das ist nicht genug, dass sich ein Umzugsunternehmen lohnen würde, und ich dachte, dann mache ich das eben selbst, und deshalb ...«

»Deshalb brauchst du jemanden, der dir hilft.«

»Ja. Aber viel ist es nicht. Ein Bett. Ein Schlafsofa. Ein großer Fernseher. Ein Esstisch. Den Rest kann ich wahrscheinlich alleine ausräumen. Das wird vielleicht 'ne halbe Stunde dauern.«

»Mach dir keine Sorgen. Ich bin dabei. Ich wollte sowieso vorschlagen, dass wir uns mal wieder sehen.«

»Danke, Joel.«

»Was machst du heute Abend?«

»Hab noch nichts vor.«

»Warum kommst du dann nicht vorbei? Meine Frau und meine Tochter sind auf einem Pfadfindertreffen. Wir könnten über die alten Zeiten reden, ohne aufpassen zu müssen, was wir sagen.«

»Du hast eine Tochter?«

»Lilly. Ist jetzt acht.«

»Meine Güte, ich kann mich noch erinnern, als wir acht waren«, sagte Hunt. Und es kam ihm vor, als wäre das noch nicht einmal so lange her.

»Ja. Ist schon irre, wie schnell die Zeit vergeht, was?«

»Allerdings«, sagte Hunt.

Joel gab ihm die Adresse und eine Wegbeschreibung zu seinem Haus. Nachdem Hunt einen Hotel-Notizblock und einen Stift gefunden hatte, schrieb er sich alles auf. Dann verabschiedeten sich die beiden. Bis sieben Uhr - auf die Zeit hatte er sich mit Joel geeinigt - hatte er noch Zeit, also beschloss er, ein wenig durch die Gegend zu fahren und ein paar seiner Lieblingsplätze von früher aufzusuchen.

Hunt verspürte das Bedürfnis, Eileen anzurufen und ihr zu erzählen, dass er umziehen werde - warum, wusste er selbst nicht. In den letzten anderthalb Jahren waren sie nicht gerade gut miteinander ausgekommen. Außerdem waren ihre Vermögenswerte aufgeteilt; Alimente standen Eileen nicht zu, und laut Gesetz gab es keine wechselseitigen Verpflichtungen mehr. Dennoch erschien es Hunt sonderbar, dass er sich überhaupt nicht mehr um sie kümmern sollte; dass er nicht mehr verpflichtet sein sollte, sie über seinen aktuellen Aufenthaltsort in Kenntnis zu setzen. Er war es nicht gewohnt, alleine zu sein.

Den Nachmittag verbrachte er damit, durch Antiquariate und Schallplattenläden zu streunen. Ein paar seiner Lieblingsgeschäfte von früher gab es nicht mehr, doch zwei Läden der Bookmans-Kette existierten noch, und er fand ein paar Chick-Corea-Alben und den Roman Das Geheimnis der Goldmine, den er als Teenager einmal gelesen hatte. Dann schaute er sich in einem Möbellager der Heilsarmee und einem Secondhand-Laden der St. Vincent-dePaul-Society um, fand aber nicht das Richtige. Nachdem er zu seinem Motel zurückgekehrt und kurz in den Swimmingpool gesprungen war, bestellte er sich eine Pizza und aß sie, während er sich die Nachrichten anschaute. Dann machte er sich auf den Weg.

Joel wohnte in einem relativ neuen Stadtviertel, nur wenige Meilen von Hunts neuem Haus entfernt. Die Häuser waren ziemlich groß, die Vorgärten jedoch kaum der Rede wert. Das gleichförmige Aussehen der Bäume und Hecken, die aufeinander abgestimmten Briefkästen und das für die gesamte Siedlung gleiche Farbschema ließen Hunt vermuten, dass hier eine Eigentümervereinigung das Sagen hatte. Auch wenn diese Häuser offensichtlich deutlich teurer waren als das, was Hunt gerade erst angemietet hatte, hätte wohl keine Macht der Welt ihn dazu bringen können, hier einzuziehen.

Die gleichförmigen Nachbarhäuser und der weiße Geländewagen, der in Joels Einfahrt stand - und der sich kein bisschen von den Wagen unterschied, die vor den umliegenden Häusern geparkt waren -, machten Hunt anfangs skeptisch, doch Joel erwies sich als der gleiche verschrobene, lustige, ein wenig zynische Kerl, den er von früher kannte. Die Einrichtung des Hauses strafte das konventionelle Äußere Lügen, als wäre die Fassade nur eine geschickte Tarnung, um niemanden erahnen zu lassen, was sich dahinter verbarg. Das Mobiliar war auf unkonventionelle Weise bunt zusammengewürfelt. Als Bücherschrank im Wohnzimmer diente eine riesige Hausbar, von der Joel berichtete, er habe sie aus der Bar einer alten Geisterstadt hinter McGuane »gerettet«, und das Wüsten-Terrarium, das gleich daneben stand, befand sich in der übergroßen Glaskugel einer alten Zapfsäule. Auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers war ein vertrockneter Saguaro-Kaktus zu einer Stehlampe umgearbeitet worden. In Joels Arbeitszimmer stand eine Rohleder-Couch neben einem Beistelltisch, der aus einem schwarzen Felsbrocken und einer Glasscheibe bestand. Eine Wand des Zimmers wurde vom Neonschild einer vermutlich abgerissenen Hamburger-Bude eingenommen, auf dem BURGERS, FRIES, SHAKES stand.

»Coole Bude«, sagte Hunt, und seine Stimme verriet ehrliche Bewunderung.

»Nicht wahr?«

»Erinnerst du dich an unser Clubhaus? Roland hatte das Stoppschild vom Highway geklaut, und dann hatten wir noch diesen alten Spiegel, den wir im Sperrmüll gefunden und neben das Mötley-Crüe-Poster gehängt hatten, das uns Mikes Bruder geschenkt hat. Das hier«, er machte eine Armbewegung, die den ganzen Raum einschloss, »ist genau das, was wir immer wollten.«

»Ja. Das hätte uns wirklich gefallen. Vor allem das Neonschild.« Joel lachte. »Ich habe das ästhetische Empfinden eines Achtjährigen!«

»Nein, du hast es einfach nur geschafft«, sagte Hunt. »Und dafür hast du dich nicht selbst verraten müssen.«

Joel klopfte Hunt auf die Schulter. »Ich freue mich, dass du wieder da bist, alter Junge. Ich hab's bisher nicht gewusst, aber ich habe dich vermisst.«

»Ich dich auch.«

Sie gingen ins Wohnzimmer zurück.

»Hast du noch Kontakt zu den Jungs von früher?«, fragte Hunt.

Joel schüttelte den Kopf. »Nee. Ich kriege jedes Jahr eine Weihnachtskarte von Jordan, und ich schicke ihm auch eine, aber damit hat es sich auch schon.« Hunt merkte ihm an, dass ihm das Thema unangenehm war. »Ich weiß gar nicht warum. Ich habe bisher nie darüber nachgedacht, und es gibt auch keine Entschuldigung dafür.«

»Das sagt mir alles, das sagt mir alles!«, gab Hunt zurück und klang wie in alten Zeiten nach Monty Python.

»Hast du vor, die alte Truppe wieder zusammenzutrommeln?«, fragte Joel.

»Eigentlich nicht. Ich habe ein bisschen herumtelefoniert. Die meisten Jungs sind weg, in alle Himmelsrichtungen verstreut. Bei Victor wissen nicht mal die Eltern, wo er abgeblieben ist.«

Joel legte die Stirn in Falten. »Victor?«

»Ach ja, den kannte ich erst seit der Highschool. Victor hast du wahrscheinlich gar nicht kennen gelernt.«

Joel legte Musik auf und holte Bier, und die nächste Stunde saßen sie zusammen und sprachen über die alten Zeiten.

Als Hunt auf die Uhr schaute, war es schon nach acht. »Ist spät geworden«, sagte er und stand auf.

»Du musst doch nicht schon weg?«, fragte Joel.

»Nun ja, ich ...«

»Komm, bleib noch!«

»Mein Motel ist am anderen Ende der Stadt, und ich muss morgen früh raus. Bis Seal Beach ist es weit.«

»Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass du morgen schon zurück willst«, sagte Joel.

Einen Augenblick dachte Hunt nach; dann setzte er sich wieder. »Ach, was soll's.« Er betrachtete die eingerahmten Fotos der Familie, die auf dem Schrank der Stereoanlage aufgestellt waren. »Sind das deine beiden Frauen?«

»Ja.«

Hunt stand auf, um sich Joels Familie genauer anzuschauen. Er betrachtete ein Foto, das Joel zusammen mit einem hübschen jungen Mädchen in Disneyland vor dem Matterhorn zeigte, und ein weiteres Bild von demselben Mädchen, diesmal zusammen mit ihrer lächelnden Mutter am Grand Canyon, und schließlich ein Foto von allen dreien vor dem Giraffen-Gehege in einem Zoo. Irgendetwas an der Frau kam Hunt bekannt vor, und er schaute sich die Bilder genauer an, bis ihm ein Gedanke kam.

Ungläubig drehte er sich zu Joel um. »Du hast Stacy Williams geheiratet?«

Sein Freund grinste. »Jou.«

»Wow!«

»Das sage ich mir auch dauernd, jeden Tag auf's Neue.«

Die Stacy, die Hunt von früher kannte, war ausnehmend hübsch gewesen, Jahrgangsbeste an der Highschool, Cheerleaderin, Chefredakteurin der Schülerzeitung und umschwärmter Star der Schule. Sie hatte zu den Girls gehört, an die Hunt und Joel niemals herangekommen wären. Stacy Williams spielte in einer anderen Liga und hatte wahrscheinlich nicht einmal von der Existenz ihrer Bewunderer gewusst.

Und nun hatte Joel sie geheiratet!

Hunt stellte die einzige Frage, die in diesem Zusammenhang logisch war: »Wie ist das denn passiert?«

»Wir sind beide auf die University of Arizona gegangen, und da haben wir uns im Soziologiekurs wiedergetroffen. Oder besser, da hat sie mich zum ersten Mal gesehen. Ich wusste natürlich ganz genau, wer sie war, deswegen hatte ich mich neben sie gesetzt. Als ich dann beiläufig erwähnte, dass ich auf der John Adams gewesen war, hatte ich so gut wie gewonnen, denn Stacy hatte zu der Zeit niemanden und fühlte sich überfordert. Deshalb war sie froh, einen Bekannten zu treffen, mit dem sie reden konnte. Na ja, vielleicht nicht gerade einen Bekannten, aber doch jemanden, der aus der gleichen Ecke kam. Wir sind gut miteinander ausgekommen, haben zusammen gebüffelt und sind ein paarmal was trinken gegangen. Ich hätte nicht gedacht, dass daraus mehr würde oder dass ich überhaupt eine Chance bei ihr habe - schließlich war Stacy die heißeste Braut an unserer alten Schule. Dann, nach dem letzten Kurs, habe ich eine Weihnachtskarte von ihr bekommen. Sie hat sich bedankt, jemanden gehabt zu haben, mit dem sie reden konnte, und der ihr geholfen hat, ein hartes Semester zu überstehen. Unten auf die Karte hatte sie ihre Telefonnummer geschrieben. Tja, da hab ich sie kurz entschlossen zum Essen eingeladen. Bald darauf waren wir zusammen. Und nachdem wir beide unseren Abschluss hatten, habe ich sie geheiratet.«

In diesem Augenblick wurde die Haustür geöffnet, und mit großen Schritten betraten Joels Frau und seine Tochter die Diele. Sie redeten, lachten und stellten lautstark Plastiktüten vor der Garderobe ab. Stacy war noch hübscher als auf den Fotos und noch schöner als während der Highschoolzeit, und sie hatte eine sachliche, nüchterne Art, die ihren Charme nur noch betonte.

»Sie müssen Hunt sein«, sagte sie und streckte ihren Arm an Lilly vorbei, um ihm die Hand zu schütteln. »Schön, Sie kennen zu lernen. Joel hat erzählt, Sie hätten angerufen und würden vorbeikommen. Sie waren auch auf der John Adams, oder?«

Er nickte. »Und auf der Bodie Junior High.«

»Ich auch!« Stacy schob ihre Tochter zur Treppe. »Tut mir leid, dass ich hier so eine Hektik mache, aber das Treffen hat länger gedauert als erwartet, und Lilly sollte längst schlafen. Morgen ist Schule«, erklärte sie. »Ich bring sie rasch ins Bett, dann komme ich zu euch. Sag gute Nacht, Lilly!«

»Gute Nacht«, sagte das Mädchen artig.

»Gute Nacht«, sagte Hunt.

Die beiden eilten die Treppe hinauf.

Hunt schüttelte den Kopf. »Stacy Williams.«

»Jetzt Stacy McCain.«

»Du hast echt Schwein, weißt du das?«

»Oh ja, ich weiß. Warte 'nen Augenblick. Ich gehe eben rauf und sage Lilly gute Nacht. Bin gleich wieder da.«

»Okay.«

Joel ging zur Treppe.

»Sag mal, deine Frau hat nicht zufällig Single-Freundinnen?«, fragte Hunt.

Grinsend wandte Joel sich um. »Kann schon sein«, sagte er. »Gut möglich.«

2.


Nachdem er ein wenig herumtelefoniert hatte, wusste Hunt, dass es billiger sein würde, seine Habseligkeiten aus Kalifornien nicht mit einem gemieteten Laster von U-Haul oder Ryder hierherzuverfrachten, sondern mit dem Transporter einer ortsansässigen Firma namens »Eezee Rent«, die mit ihren Preisen nicht nur zehn Dollar unter dem günstigsten Angebot der Konkurrenz lag, sondern außerdem noch fünfzig Frei-Meilen anbot. Hunt stellte seinen Wagen in der Auffahrt seines neuen Hauses ab, ließ sich von Joel zu der Autovermietung fahren und machte sich dann auf die lange Fahrt nach Kalifornien; er hoffte, das Ganze werde nicht länger als zwei Tage dauern.

Kurz nach Einbruch der Dunkelheit erreichte er sein altes Zuhause und verbrachte den Rest des Abends damit, alles zusammenzupacken. Einen Großteil der Bücher und der Platten hatte er schon in Kartons gepackt, bevor er nach Arizona aufgebrochen war, doch viele Küchenutensilien, Lebensmittelvorräte, Kleidung und verschiedene Kleinigkeiten mussten noch in Kisten verstaut werden. Als Hunt sich endlich schlafen legte, war es schon nach Mitternacht.

Um sechs Uhr klingelte der Wecker. Hunt packte ein paar letzte Kleinigkeiten, ehe er sich ein schnelles Frühstück genehmigte. Es war Samstag, also waren die meisten Mitbewohner des Apartmentkomplexes zu Hause, und wie er gehofft hatte, sahen ihn die beiden Nachbarn, die er am besten kannte - Bill Curtis und David Virgil -, wie er Kisten schleppte. Sofort erboten sich die beiden, ihm beim Beladen des Lasters behilflich zu sein. Im Gegenzug lud Hunt sie zum Mittagessen ein. Am Nachmittag waren der Wagen fertig beladen und das Apartment gereinigt. Nach der Schlepperei war Hunt zu müde, um noch die Neun-Stunden-Fahrt nach Tucson anzutreten, also fuhr er zur Ocean Avenue und schlenderte am Pier des Seal Beach entlang. Seit der Trennung hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, hier spazieren zu gehen und die Fischer und die Wellen, die Möwen und die Strandnixen zu beobachten. Dabei konnte er sich am besten entspannen. Als er nun im warmen Wind, der vom Landesinneren wehte, zu Ruby's Restaurant am Ende des Piers spazierte, erkannte Hunt, dass er dies alles vermissen würde.

Die Nacht verbrachte er in einem Schlafsack auf dem Fußboden seiner alten Wohnung. Am nächsten Morgen brach er früh auf und war schon unterwegs, ehe die Sonne aufgegangen war. Kurz nach ein Uhr war er wieder in Tucson.

Als er den Laster auf die Einfahrt lenkte, sah er einen Riss in der Heckscheibe seines Pkw.

»So ein Mist«, murmelte er.

Er stieg aus und blickte unwillkürlich zum Nachbarhaus auf der linken Seite. Niemand war dort zu sehen, nur ein mürrischer, hagerer Hund, der mit einem ausgefransten Seil an einem Metallstab angebunden war, äugte zu ihm herüber. Hätte Hunt Vermutungen anstellen müssen, hätte er gesagt, dass der Ball, der Stein oder was immer das Fenster seines Wagens getroffen hatte, von dort drüben gekommen war. Hunt ging zum Heck seines Wagens und schaute sich die Scheibe genauer an. Er hatte damit gerechnet, an dem Riss Schmutzreste oder Steinsplitter zu erkennen, oder eine Stelle, an der die Glasscheibe pulvrig war vom Aufprall eines Steins oder eines anderen Gegenstands. Doch da war nichts. Es schien, als hätte der Riss in der Scheibe sich ohne äußere Einwirkung gebildet.

»Verdammt noch mal«, fluchte Hunt.

Er rief Joel an. Der kam sofort und half ihm, die Möbel auszuladen und in der Wohnung aufzustellen. Dann fuhren sie den Laster zurück zur Autovermietung. Am nächsten Morgen rief Hunt seine Versicherung an. Die Policen befanden sich noch irgendwo in einer der Kisten, die nun im Wohnzimmer standen, doch die Versichertenkarte steckte in Hunts Brieftasche. Er zog sie hervor und wählte die darauf angegebene Nummer.

Nach kurzem Klingeln informierte ihn eine Stimme vom Band, dass er das automatische Telefonsystem der United Automobile Insurance erreicht hatte.

United Automobile Insurance? Er war doch bei der Statewide Insurance versichert!

Hunt runzelte die Stirn, legte auf und wählte erneut, hörte jedoch die gleiche Bandansage. Dieses Mal blieb er in der Leitung und lauschte der Berieselungsmusik, ehe die Ansage kam: »Um mit dem nächsten verfügbaren Mitarbeiter zu sprechen, drücken Sie bitte die Null, oder bleiben Sie in der Leitung.«

Hunt drückte die Null.

»Bitte warten Sie«, sagte eine ausdruckslose, ebenfalls aufgezeichnete Frauenstimme. »Einer unserer Mitarbeiter wird gleich für Sie da sein. Bitte nennen Sie dann Ihren Namen, Ihre Versicherungsnummer sowie Automarke und Modell. Dieser Anruf kann aufgezeichnet werden, um unseren Kunden über die Qualitätssicherung einen besseren Service bieten zu können.«

Wieder setzte Berieselungsmusik ein. Hunt wartete eine Minute, zwei Minuten, fünf, sechs, sieben. Er wollte schon auflegen und erneut wählen, als die Musik verstummte und ein Mann sich meldete: »United Automobile Insurance. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«

»Hallo. Ich, äh ... Ich bin eigentlich gar nicht Kunde bei der United Automobile«, setzte Hunt zögernd an. »Ich bin bei der Statewide Insurance. Aber als ich die Nummer angerufen habe, die auf meiner Karte steht, bin ich bei Ihrer Firma gelandet.«

»Wir haben die Statewide Insurance aufgekauft. Sie hätten per Post eine entsprechende Nachricht erhalten müssen, Sir.«

»Habe ich aber nicht.«

»Nun, auf jeden Fall kümmern wir uns nun um alle ehemaligen Kunden der Statewide. Also, was kann ich für Sie tun?«

»Ich habe einen Riss in der Heckscheibe meines ...«

»Versicherungsnummer?«

Hunt blickte auf seine Karte und las die Nummer vor.

Dann folgte eine kurze Pause. »Sie sind Hunt Jackson? Und das Fahrzeug, um das es geht, ist ein Saab?«

»Ja.«

»Und Sie wohnen 114 Tenth Street, Apartment B in Seal Beach?«

»Nein, nicht mehr. Ich bin gerade nach Tucson, Arizona, umgezogen. Gestern, um genau zu sein. Ich hatte bisher noch keine Gelegenheit, die Adressänderung anzugeben, und ...«

»Wo hat sich der Unfall ereignet, Sir?«

»Ich weiß nicht genau, ob man hier von einem Unfall sprechen kann, weil ...«

»Wo ist es zu dem Zwischenfall gekommen, der zu dem Riss in der Heckscheibe geführt hat?«

»Tucson. Auf der Auffahrt vor meinem Haus.« Dann fiel ihm auf, dass er die Adresse noch gar nicht auswendig kannte. »Warten Sie einen Moment.« Er lief zur Küchenzeile, auf der er eine Kopie des Mietvertrags abgelegt hatte. Dann griff er wieder nach dem Hörer. »Das ist 2112 Jackrabbit Lane.«

»Und wie ist es passiert?«

»Das weiß ich nicht. Ich habe den Wagen in der Auffahrt geparkt und habe dann einen Laster gemietet, um meine Möbel aus Kalifornien zu holen. Ich war zwei Tage weg. Als ich zurückkam, hatte die Heckscheibe einen Sprung.«

»Wann ist das passiert?«

»Irgendwann in den letzten zwei Tagen.«

»Ich brauche eine Uhrzeit.«

»Die weiß ich nicht.«

»Mir genügt eine grobe Schätzung.«

Langsam wurde Hunt ärgerlich. »Hören Sie, können Sie mir nicht einfach sagen, wie hoch meine Selbstbeteiligung ist? Wenn ich jemanden finden kann, der mir das billiger reparieren kann, dann ...«

»Und um wie viel Uhr, sagten Sie, hat der Zwischenfall sich ereignet?«

»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, ich war zwei Tage weg! Als ich zurückkam, war die Scheibe kaputt! Es ist irgendwann in diesen zwei Tagen passiert!«

»Das muss ich schon genauer wissen.«

»Das ist doch scheißegal! Sie können eintragen, was immer Sie wollen!«

»Halb Affenarsch, viertel vor Hodensack.«

Hunt glaubte, sich verhört zu haben. »Was?«

»Das trage ich ins Feld für die Uhrzeit ein.«

»Sie können doch nicht ...«

»Die Felder müssen ausgefüllt sein, und da Sie sich als unkooperativ erweisen, bin ich gezwungen, nach eigenem Ermessen zu handeln und selbst einen Eintrag vorzunehmen. Haben Sie jetzt einen geschätzten Zeitpunkt für mich?«

»Ich habe Ihnen doch schon gesagt ...«

Im Hintergrund hörte Hunt das Klappern einer Tastatur. »Halb Affenarsch, viertel vor Hodensack.« Diesmal sprach der Mitarbeiter der Versicherungsgesellschaft die Worte mit einem übertriebenen Südstaatenakzent aus, sodass Hunt die Bindestriche im Wort »Hodensack« praktisch hören konnte: Ho-den-sack.

»Was soll denn das?«, wollte Hunt wissen. »Ich möchte mit Ihrem Abteilungsleiter sprechen!«

»Einen Moment.«

Hunt hörte ein Klicken, dann war die Leitung tot.

Dieser Blödmann hatte tatsächlich aufgelegt! Sofort wählte Hunt die Nummer erneut. Dieses Mal hatte er nach der Bandaufzeichnung und fünfminütiger Wartezeit eine Mitarbeiterin an der Strippe. Sie war freundlich und höflich und hatte keine Erklärung für das bizarre erste Gespräch. Hunt gab der Frau - »Kara«, sagte sie, mit »K« - sämtliche Informationen über die geborstene Heckscheibe, und Kara notierte alles. Sie sagte Hunt, sie brauche keine Angabe über den Zeitpunkt des Zwischenfalls und dass ein Sachverständiger noch an diesem Morgen vorbeikommen werde, um den Schaden abzuschätzen. Dann notierte sie Hunts neue Adresse und Telefonnummer und bat ihn, der Versicherung eine Kopie seiner Zulassung in Arizona zu schicken, sobald der Wagen umgemeldet war. Zum Schluss sagte sie ihm zu, eine neue Versicherungspolice, mit der neuen Adresse, werde innerhalb der nächsten Woche erstellt und ihm zugeschickt.

»Darf ich Ihnen einen Vorschlag machen?«, fragte Kara dann noch.

»Klar.«

»Sie sollten sich überlegen, eine Hausratversicherung abzuschließen. Den Statistiken zufolge, die mir hier vorliegen, wohnen Sie zwar nicht in einer Gegend mit extrem hoher Kriminalität, aber sie liegt über dem Durchschnitt, was gemeldete Fälle von Vandalismus betrifft.«

»Sind Sie denn nicht eine reine Autoversicherung?«

»Es stimmt schon, wir verkaufen tatsächlich keine Hausratversicherungen«, gab sie zu. »Aber wir arbeiten mit der All Homes Insurance zusammen, und die bieten das vollständigste Deckungskonzept auf dem ganzen Markt an, ohne Ausschlussklauseln, also sollten sie Ihnen ein faires Angebot machen können. Wenn Sie mögen, kann ich Sie gleich durchstellen.«

»Im Augenblick nicht, danke.«

»Dann möchte ich Ihnen nur noch eines empfehlen: Wenn Sie eine Hausratversicherung abschließen, sollten Sie sich für die maximale Deckungssumme entscheiden. Sie werden es brauchen.«

Sie werden es brauchen?

Aus irgendeinem Grund hörte sich das für Hunt wie eine Drohung an.

»Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«, fragte Kara.

»Was ist mit dem Mann, der als Erster meinen Anruf entgegengenommen hat? Werden Sie Ihrem Abteilungsleiter davon berichten? Ihr Kollege sollte mit einem solchen Benehmen nicht durchkommen.«

»Wie war noch mal sein Name?«

»Den hat er mir nicht genannt.«

»Seltsam. Alle Mitarbeiter im Telefondienst sind verpflichtet, sich mit Namen zu melden.«

»Offensichtlich hält der Kerl sich nicht an die Vorschriften.«

»Sind Sie sich sicher, dass er tatsächlich Mitarbeiter der United war?«

»Ich habe genau diese Nummer gewählt und das gleiche automatisierte System durchlaufen wie jetzt, ehe ich ihn an der Strippe hatte. Und er konnte die Informationen über meine Police abrufen. Also würde ich schon sagen, dass er echt war.«

»Nun, im Moment kann ich mich nur noch einmal dafür entschuldigen. Ich versichere Ihnen, dass wir den Zwischenfall untersuchen werden.«

»Danke.«

Hunt legte auf.

Seltsam, dachte er. Sehr seltsam.

3.


Zwei Wochen lang suchte Hunt erfolglos nach einer neuen Arbeitsstelle: Er las Kleinanzeigen, verschickte Lebensläufe und suchte immer wieder das Arbeitsamt auf (genauer, das »Amt für Ökonomische Sicherheit«, wie es mittlerweile beschönigend genannt wurde). Bei jeder Firma und jeder Gesellschaft füllte er Formulare aus, in jedem Krankenhaus und an jeder Schule, in jedem Stadt-, Bezirks- und Bundesamt, das Hunt nur hatte finden können. Bei den meisten jedoch standen gerade selbst Entlassungen an; es gab keine Neueinstellungen, und in dieser vor PCs geradezu überquellenden Welt schien niemand einen Experten für Großrechner zu benötigen, wie Hunt es war. Seine Abfindung hatte er fast schon aufgebraucht, und obwohl der Papierkram - der zwischen den einzelnen Staaten noch länger zu brauchen schien als ohnehin schon - endlich erledigt war und Hunt wieder Arbeitslosengeld bezog, reichte es kaum für die Miete. Hunt brauchte dringend eine Finanzspritze, doch ihm fiel keine andere Möglichkeit ein, als bei »Kelly« oder einer anderen Zeitarbeitsfirma anzuheuern und sich irgendeinen Aushilfsjob zu suchen - oder für den Mindestlohn bei einer Fast-Food-Bude anzufangen und den ganzen Tag damit zu verbringen, Hamburger zu wenden.

Wie der Zufall es wollte, schaute Hunt gerade die Stellenangebote in den Kleinanzeigen durch, als ihn Reed Abrams anrief, Chef der Personalabteilung bei der Bezirksverwaltung, um ihm einen Job anzubieten. Nur war es nicht die Stelle in der Computerabteilung, für die Hunt sich beworben hatte, sondern ein Job bei der Abteilung für Landschaftspflege: Hunt sollte Bäume beschneiden.

»Als Sie Ihre Erst-Bewerbung ausgefüllt haben, haben Sie unter ›Tätigkeitsfelder‹ auch ›Andere‹ angekreuzt«, erklärte der Personalchef. »Und das bedeutet, dass Sie im Endeffekt darum gebeten haben, bei sämtlichen zu besetzenden Stellen berücksichtigt zu werden. Und selbst wenn Sie hoffnungslos überqualifiziert sind: Es gibt tatsächlich eine freie Stelle im Landschaftspflegetrupp - eine Einstiegsstellung, für die keinerlei Berufserfahrung erforderlich ist. Auch wenn das vielleicht nicht wie ein geeigneter Job für jemanden mit Ihrer Ausbildung und Ihrer Qualifikation aussieht, möchte ich doch anmerken, dass es sehr viel einfacher ist, Sie als Quereinsteiger in eine andere Abteilung zu versetzen oder sogar zu befördern, sobald beim County neue Stellen frei werden. Im Augenblick suchen wir keine Mitarbeiter für die EDV, aber sobald das der Fall ist, werden wir uns zuerst hausintern umschauen, ehe wir die Stelle ausschreiben, und dann wären Sie in der optimalen Position.«

Hunt stellte ein paar oberflächliche Fragen und tat so, als wäre er nicht sonderlich interessiert, obwohl er bereits beschlossen hatte, die Stelle anzunehmen. Was hatte er auch für eine Wahl? Entweder beschnitt er Bäume, oder er landete in einer Frittenbude.

Abrams bat ihn, am nächsten Morgen vorbeizukommen, und gab ihm einen kurzen Überblick, was ihn dort erwartete; dann legte er auf. Einen Augenblick lang versank Hunt beinahe in Selbstmitleid. Wie sind die Helden gefallen, dachte er. Doch dieses negative Gefühl wurde rasch durch neu aufkeimenden Optimismus ersetzt. Die Bezahlung war nicht deutlich schlechter als das, was er bei manchen privaten Firmen in Tucson als Computerexperte verdient hätte, und die Sondervergütungen waren äußerst großzügig. Die Versicherungsleistungen konnten es allemal mit denen aufnehmen, die ihm sein alter Arbeitgeber Boeing seinerzeit gewährt hatte. Objektiv betrachtet war das wirklich kein schlechtes Angebot. Außerdem war Hunt ja genau deswegen hierhergekommen: Er wollte ganz von vorne anfangen, und was konnte befreiender sein als eine derartige Umstellung?

»Und«, sagte er später zu Joel, »mein Job ist ja schließlich nicht mein Leben. Er dient nur dem Geldverdienen, damit ich mein Auskommen habe.«

Hunt hatte sich seit der Scheidung tatsächlich sehr verändert. Er war nicht mehr von dem Wunsch getrieben, sich selbst zu beweisen, und er wollte nicht mehr unbedingt irgendwelche Karriere-Meilensteine erreichen. Seit seiner Kindheit hatte er sich ständig im Wettstreit mit allem und jedem gesehen, hatte um gute Noten gekämpft, um ein angesehenes College besuchen zu können, und hatte dafür gesorgt, einen Job zu bekommen, den er auch wirklich verdiente - und auch die entsprechenden Beförderungen. Hunt war erfolgreich gewesen, aber das bedeutete nicht notwendigerweise, dass er auch glücklich gewesen war. Nun sah er die Gelegenheit, es genau andersherum anzugehen und nicht mehr dem Erfolg, sondern dem Glück nachzujagen.

Joel gab ihm einen Klaps auf die Schulter. »Na dann«, sagte er. »Herzlichen Glückwunsch zu deinem neuen Job.«

»Danke«, erwiderte Hunt. »Langsam sieht alles ein bisschen besser aus.«


Um halb sechs Uhr riss der Wecker ihn aus dem Schlaf. Als Hunt sich ungeschickt durch die Dunkelheit bis zur Anrichte vortastete, wo der Wecker stand, stolperte er über einen Stuhl. Fluchend stellte er den Alarm aus, stand einen Augenblick reglos da, hielt sich an der Kante der Anrichte fest und versuchte, seinem vom Schlaf noch umnebelten Verstand zumindest einen Hauch von Wachheit aufzuzwingen. In Kalifornien war er immer schon um fünf Uhr aufgestanden, um nicht in den Berufsverkehr zu kommen, doch mittlerweile war er nicht mehr daran gewöhnt, so früh aufzustehen; es fühlte sich fast so angenehm an, als würde ihm ein Zahn gezogen.

Hunt duschte und rasierte sich. Dann stand er in Unterwäsche vor seinem Kleiderschrank und suchte etwas Passendes. Um halb acht Uhr sollte er beim Chef der Personalabteilung sein, um eine erste Einweisung zu erhalten, und um neun Uhr hatte er einen Termin mit dem Leiter der Abteilung für Landschaftspflege. Der Personalchef hatte ihm nicht gesagt, was er anziehen solle, und Hunt hatte nicht daran gedacht, eigens danach zu fragen. Eine Krawatte wäre vermutlich zu förmlich, aber saloppe Freizeitkleidung sollte er wahrscheinlich auch nicht gerade anziehen. Gab es beim Landschaftspflegetrupp nicht eigene Uniformen? Overalls in Orange oder etwas in der Art? Oder waren die für Gefängnisinsassen? Hunt wusste es nicht.

Schließlich entschied er sich für eine neue Jeans und ein schickes Hemd. Ein echter Kompromiss.

Es stellte sich heraus, dass es für den Landschaftspflegetrupp tatsächlich Uniformen gab, doch Hunt hatte sich für genau die richtige Kleidung entschieden, denn einen Großteil des Morgens verbrachte er in den Büroräumen des Bezirks-Gebäudes und sprach mit zahllosen Bürokraten, musste sich ein »Willkommen bei der Bezirksverwaltung«-Video anschauen, füllte Versicherungsformulare und Steuerformulare und Haftungsformulare aus. Kurz nach zehn wurde er dann endlich zu Steve Nash geschickt, dem ruppigen Leiter der Abteilung Landschaftspflege. Nash führte Hunt auf den Hof, erklärte ihm einige der Maschinen, mit denen Hunt zukünftig würde arbeiten müssen, und händigte ihm dann einen Karton mit einer gelbbraunen Uniform und einer Mütze aus. Danach führte er Hunt wieder ins Haus zurück, damit »der Neue« sich ein weiteres Video anschauen konnte - dieses Mal über Bäume und wie man sie zu beschneiden hatte. Nach einer halbstündigen Mittagspause hatte Hunt sich in einer Klinik zu melden, die ganz in der Nähe lag, um sich dort einer Einstellungsuntersuchung und einem Drogentest zu unterziehen. Es war fast drei Uhr, als er endlich alles hinter sich hatte.

»Soll ich dann jetzt wieder auf den Hof zurück?«, fragte er. »Ich dachte, ich solle schon heute anfangen.«

»Morgen«, erklärte der Personalchef. »Aber Ihre Einstellung hier ist erst mal als ›vorläufig‹ vermerkt, bis uns die Ergebnisse des Drogentests vorliegen und Sie eine Probezeit von sechs Monaten absolviert haben, während der Sie jederzeit ohne Angabe von Gründen entlassen werden können.«

»Und was mache ich jetzt?«

»Gehen Sie nach Hause, schlafen Sie sich aus, und melden Sie sich morgen früh um acht bei Steve im Hof.«


Als Hunt am nächsten Morgen um acht Uhr erschien, kam er zu spät. Sämtliche Lastwagen und Arbeitstrupps waren bereits aufgebrochen. Der Chef der Landschaftspflege klärte Hunt darüber auf, dass zwar die Büroleute um acht anfingen und um fünf Feierabend hatten, die Trupps hingegen immer schon um sieben losführen, im Sommer um sechs. »Dieses Mal mache ich Ihnen noch keinen Ärger, schließlich hat ja dieses Arschloch Abrams Mist gebaut, aber ab jetzt kommen Sie lieber pünktlich!«

»Mach ich«, versprach Hunt.

Misstrauisch starrte Steve ihn an. Mit seinem Schnurrbart, der untersetzten Figur und seiner beständig finsteren Miene sah er aus wie eine unsympathischere Ausgabe von Dennis Franz, der in NYPD Blue den Unerschütterlichen gemimt hatte. »Jackson«, sagte er dann mit zusammengekniffenen Augen, »was machst du eigentlich hier?«

Hunt schaute ihn verdutzt an. »Bitte?«

»Was macht ein College-Bürschchen wie du hier? Schreibst du ein Buch?«

Hunt wusste nicht, was er antworten sollte. »Nein«, sagte er schließlich. »Ich brauchte einen Job.«

»Also ist das hier für dich nur eine Übergangslösung, ja? In einem Monat oder so bist du wieder weg, wenn du was Besseres findest, und lässt uns hier im Stich, was?«

»Nein«, log Hunt.

»Jetzt hau schon ab«, sagte Steve verächtlich. »Und komm nicht noch einmal zu spät. Du bist hier noch in der Probezeit, vergiss das nicht!«

Hunt wurde einem Drei-Mann-Trupp zugeteilt - wobei er selbst der dritte Mann sein sollte -, also griff er nach der Karte, die Steve ihm reichte, und fuhr dann mit seinem Wagen zu einem Park im Osten der Stadt. Den Laster der Bezirksverwaltung fand er mühelos, doch die anderen Baumbeschneider aufzuspüren, erwies sich als problematischer. Endlich fand Hunt sie dann doch, mehrere hundert Meter von ihrem Wagen entfernt auf einem Wanderpfad, der sich in der Nähe eines ausgetrockneten Wasserlaufs durch das hügelige Gelände schlängelte.

Edward Stack, ein stämmiger Weißer, der wie ein Profiwrestler aussah, stand auf einer metallenen Trittleiter und durchtrennte mit einem langen Schnittwerkzeug die oberen Äste eines Grünholzbaums. Jorge Marquez - klein, hager und dunkel - sammelte die Schnittreste auf und lud sie in einen orangefarbenen Karren, der an einem kleinen Motorfahrzeug festgemacht war. Überschwänglich entschuldigte Hunt sich für seine Verspätung, doch seinen beiden Kollegen schien es egal zu sein. Beide legten eine Pause ein und stellten sich erst einmal vor. Unter einem Busch versteckt, stand ein Kühlbehälter mit Eis. Jorge zog drei Flaschen Snapple-Eistee mit Himbeergeschmack hervor, behielt eine für sich und reichte die beiden anderen weiter.

»Ich hab erst vor 'ner halben Stunde gefrühstückt«, lehnte Hunt ab.

»Da hast du Glück. Wir arbeiten schon eine Stunde hier, und es ist höllisch heiß«, gab Jorge zurück.

Die beiden führten ein eigenes, deutlich inoffizielleres Vorstellungsgespräch mit Hunt, während sie tranken, fragten ihn nach seinem Leben, seinen bisherigen Arbeitsstellen und wie er an diesen Job gekommen sei. Sie schienen sich keine allzu großen Sorgen zu machen, dass er noch keine Erfahrung hatte - was gut war -, und sie schienen ihn zu mögen - was noch besser war. Nachdem sie mit ihren Fragen fertig waren und offenbar zu der Ansicht gelangt waren, dass Hunt in Ordnung sei, zeigten sie ihm, was er zu tun hatte. Natürlich hatte Hunt das Video über den Baumbeschnitt gesehen, und Steve hatte ihm auch erklärt, wie das Handwerkszeug zu benutzen sei, doch dieser grobe Überblick erwies sich nun als nutzlos. Edward und Jorge zeigten Hunt stattdessen, wie man in der Praxis vorzugehen hatte, und ließen ihn erst ein wenig üben, ehe sie ihn aufforderten, die abgeschnittenen Äste aufzusammeln und im Karren zu stapeln.

»Du hast dir 'nen guten Tag ausgesucht, hier anzufangen«, sagte Jorge, während er zu dem Grünholzbaum hinüberging. »Gleich lernst du Big Laura kennen!«

»Wer ist Big Laura?«

Edward lachte leise. »Das wirst du schon sehen. Wie viel Uhr ist es, Jorgy-Baby?«

»Fast viertel nach neun!«, rief Jorge.

»Auf Big Laura kann man sich genauso verlassen wie auf den Stuhlgang meiner Oma. Unsere Laura joggt jeden Tag hier entlang. Und an Tagen, an denen wir hier sind, sagt sie gern mal ›hi‹.« Edward deutete auf den staubigen Wanderpfad. »Schau da rüber. Laura wird jeden Moment hier sein.«

Tatsächlich sah Hunt etwas Rotes zwischen den Bäumen und Büschen schimmern, und einen Augenblick später kam eine junge blonde Frau auf den Trupp zu gejoggt. Sie war hochgewachsen und kräftig gebaut; aber das war offensichtlich nicht der Grund, warum Edward und Jorge sie Big Laura nannten. Nein, die beiden Gründe dafür hüpften vor ihrem Brustkorb auf und ab wie zwei Gelee-Basketbälle und füllten sogar das weit geschnittene Sweatshirt fast bis zum Platzen aus. Als Laura an den drei Männern vorüberlief, lächelte sie freundlich, lupfte ihr Oberteil und entblößte die größten Brüste, die Hunt jemals gesehen hatte.

Dann war sie fort, hinter der Biegung des Pfades verschwunden. Edward und Jorge lachten.

»Ein paar Annehmlichkeiten bietet dieser Job schon«, sagte Jorge. Hunt schüttelte den Kopf. »Wow! Scheint wirklich so.«

»Warte erst mal den Donnerstag ab«, sagte Edward. »Was ist denn am Donnerstag?«

»Da arbeiten wir an der East Side, im Rillito-Bezirk. Gleich nebenan ist ein Neubaugebiet.«

»Und da ist auch Stripping Susan«, sagte Jorge. »Das ist ein Anblick, den du so schnell nicht vergessen wirst.«

»Stripping Susan?«

Jorge grinste. »Big Laura war nur der erste Akt. Willkommen beim Baumbeschnitt.«